Panorama

Schwarzer Philosoph Europas "Anton Wilhelm Amo war kein Exot oder Außenseiter"

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Die Mohrenstraße in Berlin-Mitte bekommt einen neuen Namen.

Die Mohrenstraße in Berlin-Mitte bekommt einen neuen Namen.

(Foto: imago images/Steinach)

Nach jahrelangem Streit wird die Berliner Mohrenstraße nach Anton Wilhelm Amo benannt - ein Gericht gab grünes Licht. Der britische Historiker Jeff Bowersox wirbt dafür, den ersten schwarzen Philosophen Europas als jemanden zu sehen, der "uns etwas Unerwartetes über die Vergangenheit erzählen kann".

ntv.de: Amo kam 1707 in Amsterdam an den Hof von Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg. Er war ihm "geschenkt" worden. Was wissen wir darüber?

Jeff Bowersox: Leider kennen wir keine Details. Es gibt im Wesentlichen zwei Theorien: Die eine besagt, dass er von Europäern gekauft oder versklavt und gegen seinen Willen in die Niederlande verschleppt wurde. Wir wissen, dass Amos Bruder versklavt worden war. Die andere These, die in der Wissenschaft eher vertreten wird, geht davon aus, dass er von Vermittlern vor Ort, wahrscheinlich Missionaren, rekrutiert und nach Europa geschickt wurde.

Ist sein afrikanischer Name bekannt?

Wir nehmen an, dass Amo der Name ist, den er nach seiner Geburt bekam. Die christlichen Vornamen Anton Wilhelm - oder die lateinische Version Antonius Guilielmus - erhielt er bei der Taufe. Sie waren für jede Position innerhalb der höfischen Gesellschaft erforderlich.

Was ist der größte Verdienst von Anton Wilhelm Amo?

Bowersox ist Associate Professor für deutsche Geschichte am University College London und befasst sich seit vielen Jahren "mit der Historie der Schwarzen und dem Schwarz-Sein in den deutschsprachigen Ländern vom Mittelalter bis zur Gegenwart".

Bowersox ist Associate Professor für deutsche Geschichte am University College London und befasst sich seit vielen Jahren "mit der Historie der Schwarzen und dem Schwarz-Sein in den deutschsprachigen Ländern vom Mittelalter bis zur Gegenwart".

(Foto: privat)

Betrachten wir ihn als historische Figur aus seiner eigenen Zeit heraus, bestanden seine größten Leistungen wahrscheinlich in seinen Beiträgen zu den philosophischen Debatten über die Natur von Geist und Körper. Er war der erste Afrikaner, der in Europa an einer christlichen Universität studierte. Ich bin kein Experte für Philosophie, aber meines Wissens war Amo ein Verteidiger von Gottfried Wilhelm Leibniz und Christian Wolff. Letzterer war wie Amo an der Universität in Halle tätig. Leibniz und Wolff gehörten zu den bedeutendsten deutschen Philosophen Ende des 17. beziehungsweise 18. Jahrhunderts und bedrohten mit ihren Ansichten die Autorität der Kirche. Amos wichtigstes Werk ist seine Dissertation "De iure Maurorum in Europa" ("Über das Recht der Mohren in Europa"), die leider verloren gegangen ist. Der Inhalt ist durch zeitgenössische Berichte überliefert.

Warum ist sie so wertvoll?

Er stellte darin die juristischen Rechtfertigungen der Sklaverei infrage. Ich glaube, dass Amos Dissertation, die als Streitschrift gedacht war, für die Diskussion über Argumente, die Sklaverei in Europa zu beenden, wichtiger gewesen sein könnte, als ihr zugestanden wird. Es ist unmöglich, darüber ein sicheres Urteil zu fällen, da die Arbeit verschollen ist. Unabhängig davon halte ich ist es für richtig und wichtig, Amo als "Insider" innerhalb der deutschen akademischen Debatten und der universitären Kultur im Allgemeinen zu betrachten, anstatt davon auszugehen, dass er wegen seiner Hautfarbe lediglich als Exot oder Außenseiter galt. Er wurde ernst genommen. Aber wir können ihn auch als eine historische Figur deuten, die uns etwas Unerwartetes über die Vergangenheit erzählen kann.

Das da wäre?

Die Details seines Lebens zeigen uns einerseits, dass die deutschen Länder zu Amos Zeit vielfältiger und mit anderen Teilen der Welt verbunden waren, als es meist angenommen wird. Und andererseits, dass die Deutschen zu Amos Zeit über die menschliche Verschiedenheit in einer Weise nachdachten, die noch nicht durch die modernen "wissenschaftlichen" Vorstellungen von biologischer und hierarchischer Unterscheidung definiert war. Dies fing erst im 19. Jahrhundert an. Man könnte es auch simpler sagen.

Tun Sie es, bitte. Klingt sehr spannend.

Europa und Deutschland waren nicht immer einfach ein "weißer" Ort, Europäer und Deutsche betrachteten sich in dieser Zeit nicht einmal unbedingt als "weiß". Amo ist ein Beispiel für Afrikaner und ihre Nachkommen, die fester Bestandteil des höfischen und elitären Lebens waren. In dieser Hinsicht ist Amos Existenz wichtig, um mächtige Mythen über das vermeintlich einheitliche Weiß-Sein der europäischen oder deutschen Vergangenheit infrage zu stellen. Das, was wir heute als Diversität bezeichnen, ist nicht erst in der Zeit nach 1945 mit der Kolonial- und Arbeitsmigration entstanden, sondern ist seit mehr als einem Jahrtausend ein konstantes Merkmal der europäischen Geschichte gewesen.

Zugleich gibt es die Vermutung, dass Amo Deutschland Richtung Afrika verlassen hat, weil er zunehmend Rassismus zu spüren bekommen habe. Was sagen Sie dazu?

Es existieren tatsächlich Hinweise, aber es ist umstritten, ob das wirklich der Grund war, was ihn zurück nach Westafrika trieb. Er war Gegenstand eines skurrilen Gedichts, das ihn 1747 dafür verspottete, einer aristokratischen Frau namens Astrine den Hof zu machen. In dem Gedicht antwortet Astrine auf einen angeblichen Liebesbrief Amos mit den Worten, dass "meine Seele doch nie Mohren lieben" und dass ein "Mohr bey mir auf dieser Erden Niemahlen glücklich werden" könne.

Das hört sich nach offenem Rassismus an - aus heutiger Sicht. Aber war es damals so gemeint? Ging es vielleicht schlicht um die Etikette, die im 18. Jahrhundert von größtmöglicher Bedeutung war?

Es ist sehr einfach, die der Angebeteten zugeschriebenen Zitate als eine Aussage von offenem Rassismus zu interpretieren. Doch ist es wichtig zu beachten, dass die modernen Ideen von Rassenunterschieden zu diesem Zeitpunkt noch nicht weit verbreitet und etabliert waren. Außerdem war der Begriff des "Mohren" in jener Epoche normaler Wortschatz. Der "Mohr" war, wenn man so will, zwar eine akzeptierte Figur innerhalb des höfischen und elitären Lebens. Doch er war auch jemand, der aufgrund der Natur der Klassenunterschiede - und nicht der Rasse - niemals eine Aristokratin als Ehefrau hätte gewinnen können.

Allerdings verließ Amo sehr schnell nach Erscheinen des Gedichtes Deutschland und kehrte nach Afrika zurück.

Ja, er verschwand recht bald. Aber ohne weitere Quellen ist es unmöglich, schlüssig zu sagen, ob er ging, weil er rassistisch beschimpft und regelrecht verfolgt worden ist. Möglich ist auch, dass er Liebeskummer hatte und Reißaus nahm, wie das auch heute unglücklich Verliebte zu pflegen tun. Eine dritte Variante ist ebenfalls denkbar. Er verließ Deutschland, weil er seine mächtigen akademischen Gönner verloren hatte und nun Gefahr lief, von Behörden bestraft zu werden, die gegen kritische Philosophen vorgingen.

Was denken Sie selbst?

Ich tippe auf Letzteres. Obwohl ich nicht bezweifle, dass es in der damaligen philosophischen Debatte mehr Kritiker gab, die bereit waren, ihn als "Mohr" anzugreifen, als solche, die ihn als afrikanischen Gelehrten lobten.

Mit Jeff Bowersox sprach Thomas Schmoll

Quelle: ntv.de

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