Panorama

"El Chapo", der Drogenkönig Bei Unpünktlichkeit tötete er per Kopfschuss

Joaquin "El Chapo" Guzman wird am 8. Januar 2016 in Mexiko abgeführt.

Joaquin "El Chapo" Guzman wird am 8. Januar 2016 in Mexiko abgeführt.

(Foto: REUTERS)

Der ehemals mächtigste Drogenboss der Welt muss für den Rest seines Lebens hinter Gitter. Das Leben des Mexikaners "El Chapo" ist die Geschichte eines Krieges.

Seine Haftbedingungen in den Vereinigten Staaten sind hart. Joaquín Guzmán alias "El Chapo" war jahrzehntelang anderes gewöhnt. Der ehemals mächtigste Drogenboss der Welt hat Gewicht verloren. Er darf keine Ohrstöpsel tragen, damit er Anordnungen der Wärter permanent hören und Folge leisten kann. 23 Stunden pro Tag sitzt der 62-Jährige in Einzelhaft, seine Frau Emma Coronel darf er nicht sehen. Sportliche Betätigung an der freien Luft ist ihm verboten, weil die Staatsanwaltschaft eine Flucht per Hubschrauber befürchtet. Nun hat ein Gericht in New York das Strafmaß für El Chapo, "den Kurzen", verkündet: Lebenslang, plus 30 Jahre.

El Chapo wurde erstmals im Jahr 1993 in Guatemala festgenommen, nach Mexiko ausgeliefert und verurteilt. Nachdem ihm im im Jahr 2001 die Flucht gelang, baute er im Untergrund das Sinaloa-Kartell gemeinsam mit Ismael "El Mayo" Zambada García zur mächtigsten Drogenorganisation der Welt aus; mit Mexiko als ihrem Drehkreuz zwischen den USA, Europa und Asien.

Es dauerte 13 Jahre, bis El Chapo wieder gefasst wurde und ins Hochsicherheitsgefängnis bei Altiplano nahe Mexiko-Stadt gesperrt, und nur etwas mehr als ein Jahr, bis ihm von dort eine zweite Flucht gelang. "Ich liefere mehr Heroin, Methamphetamin, Kokain und Marihuana als irgendwer sonst in der Welt", brüstete sich der Drogenkönig danach.

Ein paar Monate später, im Januar 2016, erwischten ihn Sicherheitskräfte in seinem Heimatstaat Sinaloa erneut. Mexiko lieferte ihn 2017 an die USA aus, wo er vor Gericht gestellt wurde. In seinem Vierteljahrhundert als Kartellchef, so hat es die US-Bundesanwaltschaft ausgerechnet, verdiente Guzmán 12,6 Milliarden US-Dollar. Mit der Verkündung des Strafmaßes gegen den Drogenboss neigt sich eine schier unfassbare Geschichte ihrem Ende zu.

Erst Bauer, dann "Staatsfeind Nummer Eins"

El Chapo wächst in bescheidenen Verhältnissen auf und beginnt seine kriminelle Karriere in den 1970er Jahren mit Marihuana-Anbau in Sinaloa. Für einen Drogenboss organisiert er den Transport der Ware an die US-Grenze per Flugzeug. Guzmán macht sich einen Namen mit seiner Gnadenlosigkeit. Kommen etwa Schmuggler zu spät zum verabredeten Treffpunkt, tötet er sie per Kopfschuss. Das Guadalajara-Kartell, die größte mexikanische Drogenorganisation in den 1980ern, hört von ihm und rekrutiert ihn. Guzmán steigt zum Logistiker des Kartellchefs Félix Gallardo auf und organisiert Drogentransporte über Land, See und Luft aus Kolumbien nach Mexiko. Danach wird die Ware in die USA gebracht.

In den 1980ern beginnen zugleich die Vereinigten Staaten, ihre Anti-Drogen-Politik deutlich auszuweiten. Grund dafür ist auch der Einfluss des kolumbianischen Drogenbosses Pablo Escobar, zwischenzeitlich einer der reichsten Männer der Welt. Die US-Antidrogenbehörde DEA agiert dafür auch im Ausland - offiziell, weil der Drogenhandel linke Guerillagruppen wie die Farc oder die ELN in Kolumbien finanziert. In Mexiko agiert die DEA nicht so offenkundig. Als jedoch das Guadalajara-Kartell dort einen Undercover-Agent der USA gefangen nimmt, foltert und tötet, nutzt Guzmán die Folgen, um seine Stellung auszubauen.

Im Jahr 1989 wird Gallardo festgenommen und das Geschäft danach auf verschiedene Schultern verteilt. Darunter sind auch die von El Chapo, der das Sinaloa-Kartell gründet und seinen Einfluss damit weiter vergrößert. Anfang der 1990er Jahre führt er einen Krieg gegen das Tijuana-Kartell, auf dessen Höhepunkt die Häscher seiner Gegner einen katholischen Erzbischof mit 14 Schüssen durchlöchern, weil sie dessen Auto mit Guzmáns verwechselt haben. Der Tat bezichtigt wird El Chapo. Zeitungen und Fernsehstationen zeigen sein Gesicht. Der Drogenboss ist nun eine geächtete Person in der Öffentlichkeit, will nach El Salvador fliehen und wird auf dem Weg dahin in Guatemala festgenommen.

Das Sinaloa-Kartell ist zu dieser Zeit das wohlhabenste und mächtigste in Mexiko. Für die befürchtete Haft hat Guzmán vorgesorgt. Für den Schutz seiner Familie legt er 200 Millionen Dollar auf den Tisch, für die Weiterführung seiner Geschäfte nochmal so viel. Im Gefängnis genießt El Chapo Sonderstatus, weil ihm Untergebene regelmäßig Koffer voller Schmiergeld bringen, mit dem sich Wärter zu Dienern degradieren lassen, heißt es später in Berichten. Im Jahr 2001 entkommt er aus seiner Haft und wird aus dem Untergrund laut US-Behörden zum "mächtigsten Drogenschmuggler der Welt", dem "Paten der Drogenwelt".

Mehr als nur Verbrechen

Das Leben von El Chapo ist mehr als eine Reihe krimineller Machenschaften, sondern erzählt auch viel über die Eskalationsstufen des "Anti-Drogenkriegs" und die Rolle der USA. Als der Drogenboss im Jahr 2006 einen tödlichen Konflikt mit konkurrierenden Schmuggelnetzwerken fördert und die Gewalt weiter eskaliert, erklärt der mexikanische Präsident Felipe Calderón den Kartellen offiziell den Krieg. Geld dafür fließt auch aus den USA. Zugleich versuchen die Vereinigten Staaten vor allem, die Kokainproduktion in Kolumbien zu verringern, sind mit ihrem Milliarden Dollar umfassenden "Plan Colombia" jedoch nur mäßig erfolgreich.

Im Mexiko kommt bei den Operationen der Armee wundersamerweise vor allem Guzmáns Organisation glimpflich davon. Spekulationen zufolge soll es einen Deal zwischen ihm, Calderón und der DEA geben: Der Boss liefert immer wieder hochrangige Mitglieder seines eigenen und des Juárez-Kartells ans Messer und genießt im Gegenzug Immunität. So kann das Sinaloa-Kartell seine Geschäfte auf Kosten der Konkurrenz ausbauen. Im Jahr 2011 zählt Guzmán zu den zehn reichsten Menschen Mexikos - trotz oder grade wegen des staatlichen Krieges gegen die Drogenkartelle. Um seiner Verhaftung zu entgehen, ist Guzmán zudem permanent unterwegs, unterhält eine Vielzahl von Zufluchtshäusern und Berichten zufolge einen Führungsstab von rund 300 Personen.

Viel weiter nördlich erklärt die Stadt Chicago Guzmán im Jahr 2013 wegen seines Einflusses zum "Feind Nummer Eins", die erste Maßnahme dieser Art seit Al Capone im Jahr 1930. Vor seiner Festnahme im Februar 2014 ist das Sinaloa-Kartell der größte Drogenlieferant in die Vereinigten Staaten. Sogar aus Südostasien importiert es Heroin, Marihuana sowie die Zutaten für Methamphetamine, die Guzmán in Drogenlaboren in Mexiko zusammenmischen lässt. Das Kokain kommt weiterhin aus Kolumbien.

Die mexikanischen Behörden sperren den Drogenboss in ein Hochsicherheitsgefängnis, alle seine Schritte werden von Videokameras beobachtet. Fast alle, denn sogar El Chapo gestehen sie ein Minimum an Privatsphäre zu: in der Dusche seiner Zelle. Am Abend des 11. Juli 2015 wird der Drogenboss dort das letzte Mal gesehen. Es dauert 25 Minuten, bis die Wärter nachsehen, was er so lange in der Dusche macht. Sie finden nicht Guzmán, aber den Eingang zu einem zehn Meter tiefen, eineinhalb Kilometer langen Tunnel, der auf einer naheliegenden Baustelle endet. Der Fluchtweg ist professionell gebaut; 1,70 Meter hoch, beleuchtet, belüftet, ein Motorrad befindet sich darin.

Riskante Prahlerei

Diesmal setzen die mexikanischen Behörden unter Präsident Enrique Peña Nieto alles mögliche in Bewegung, um den prominenten Geflohenen so schnell wie möglich wieder einzufangen. Hubschrauber steigen auf, Kontrollpunkte werden eingerichtet, Flüge gestoppt, Interpol und andere gewarnt, damit El Chapo nicht ins Ausland entkommt. Es hilft nicht. Unter anderem werden fünf Geheimdienstmitarbeiter wegen Guzmáns Flucht angeklagt.

Wenn der Drogenboss jemals Skrupel hatte, legt er sie jetzt komplett beiseite: Im Oktober 2015 lässt er sich von Schauspieler Sean Penn für das "Rolling Stone"-Magazin interviewen. El Chapo prahlt darin, er habe eine "Flotte von Narco-U-Booten, Flugzeuge, Lkw und Boote" für seinen Drogenschmuggel. Die Unvorsichtigkeit bringt die Ermittler auf seine Spur, doch der Drogenboss flieht während einer Razzia durch einen Abwasserkanal.

Drei Monate später, jetzt in einem Versteck an der Pazifikküste, entkommt er zunächst wieder durch einen Kanal und stiehlt unter vorgehaltener Waffe ein Auto. Guzmán kommt nur 20 Kilometer weit, dann stoppt ihn die mexikanische Bundespolizei.

Laut Medienberichten bietet El Chapo den Polizisten Geld, Ländereien und Jobs an, damit sie ihn laufen lassen. Die Beamten lehnen ab. Guzmán droht: "Ihr werdet alle sterben!" Doch seine ausschwärmenden Killer, 40 sollen es gewesen sein, sind nicht schnell genug - der Drogenboss bleibt gefangen.

In den Vereinigten Staaten ist Guzmán einer Vielzahl von Verbrechen angeklagt, darunter Drogenschmuggel, Geldwäsche, Entführungen und Morde. Ein mexikanischer Bundesrichter wird beim Joggen nahe Mexiko City ermordet. Er ist an den Auslieferungsbemühungen beteiligt. Nach viel juristischem Hin und Her wird Guzmán schließlich im Januar 2017 in die USA gebracht.

Im November 2018 beginnt in New York ein wochenlanger Gerichtsprozess. Guzmán plädiert auf nicht schuldig. Sein Anwalt behauptet, das Kartell sei nicht von seinem Klienten, sondern seinem Weggefährten Ismael "El Mayo" Zambada geführt worden. Das Gericht sieht das anders. El Chapo wird in allen zehn Anklagepunkten schuldig gesprochen. Und nun, nach Jahrzehnten des Drogenkrieges und der Flucht, soll er für immer hinter Gittern bleiben.

Quelle: ntv.de

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