Panorama

Flut überrascht Anwohner Bürgermeister in Valencia: "Waren gefangen wie Ratten"

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Viele Anwohner, vor allem in Valencia, suchen auch auf eigene Faust nach ihren vermissten Angehörigen.

Viele Anwohner, vor allem in Valencia, suchen auch auf eigene Faust nach ihren vermissten Angehörigen.

(Foto: REUTERS)

Spanien erlebt die schwerste Flutkatastrophe des Landes seit 1996. Mindestens 150 Menschen sterben, Tausende werden noch vermisst oder sind eingeschlossen. Das verheerende Ausmaß der Schäden ist vor allem auf die fehlende Vorbereitungszeit zurückzuführen. Anwohner berichten.

"Die Menschen waren zunächst sogar sehr glücklich", erinnert Remedios, der eine Bar im spanischen Utiel in Valencia besitzt, an die Stunden vor der Jahrhundertflut. Die Region hatte zuletzt unter Dürre und Wasserknappheit gelitten, der am Dienstag einsetzende Regen sorgte zunächst für Erleichterung. "Aber um 12 Uhr mittags brach der Sturm dann richtig über uns herein und wir hatten alle ziemliche Angst", fährt Remedios im Gespräch mit dem "Guardian" fort. Die Stimmung kippte innerhalb kürzester Zeit, als der Barbesitzer und seine Kunden den Ernst der Lage erkannten. Ein 73-Jähriger habe ihm gesagt, er habe eine solche Katastrophe in seinem ganzen Leben noch nicht erlebt, berichtet Remedios über die auf das Unwetter folgende Flut.

Spanien erlebt derzeit die schwerste Flutkatastrophe des Landes seit 1996. Innerhalb eines Tages fiel am Dienstag in Teilen Spaniens so viel Regen wie sonst in einem ganzen Jahr. Schon jetzt berichten die Behörden von mindestens 150 Toten, unzählige weitere Menschen befinden sich noch in lebensbedrohlichen Situationen oder werden vermisst. Zudem sind Hunderttausende Menschen ohne Strom, zahlreiche Straßen gesperrt, Brücken zerstört, der Zugverkehr lahmgelegt. Bilder von etlichen Fahrzeugen, die durch die Wassermassen zu Schrottbergen formiert wurden, gehen um die Welt.

"Das Viertel ist zerstört, es ist buchstäblich in Trümmern", fasst Christian Viena, ein Barbesitzer aus der besonders betroffenen Region Valencia, die Zerstörung zusammen. "Alles ist ein einziges Wrack, alles ist bereit, weggeworfen zu werden." Wie hoch der durch die jüngste Flut verursachte materielle Schaden ausfallen wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch kaum absehbar.

"Schlimmster Tag meines Lebens"

Die verheerenden Ausmaße der Folgen des Unwetters sind vor allem auf die kaum vorhandene Vorbereitungszeit zurückzuführen. Der Fluss sei innerhalb von "drei bis vier Minuten" über die Ufer getreten, berichtet etwa eine Bewohnerin des Dorfes L'Alcudia in der besonders stark betroffenen Region Valencia dem spanischen Sender TVE. "Die ganze Landschaft hat sich in sehr kurzer Zeit komplett verändert." Unzählige Straßen verwandelten sich blitzschnell in reißende Ströme. Die Menschen wurden damit an Ort und Stelle von den Wassermassen überrascht - eine Chance, sich in Sicherheit zu bringen, gar Vorkehrungen zu treffen, gab es kaum.

"Autos und Müllcontainer flossen einfach die Straße hinunter", schildert Ricardo Gabaldón, der Bürgermeister von Utiel, die Lage im spanischen Fernsehen. "Das Wasser stieg auf drei Meter an." Der vergangene Dienstag sei für ihn der schlimmste Tag seines Lebens gewesen. "Wir waren wie Ratten gefangen", erinnert er sich an die ausweglose Lage.

Wer konnte, rettete sich auf Haus- oder Autodächer. Ein 57-jähriger Mann erzählte der Zeitung "El País" etwa, er habe in Paiporta nahe der Provinzhauptstadt Valencia auf einem Bauwagen Zuflucht gesucht und von dort aus mehreren Menschen im Wasser helfen wollen. "Ich hielt sie an der Hand fest, aber die Strömung war so brutal und so schnell, dass wir getrennt wurden und sie von der Flut fortgerissen wurden."

Mann klettert aus Autofenster, Familie überlebt nicht

Die spanische Regierung gab jüngst bekannt, dass in einer ersten Phase der Rettungsarbeiten, nach etwa 70 Einsätzen aus der Luft, alle Menschen, die auf Häuserdächer geflüchtet waren, gerettet wurden. Trotzdem werde befürchtet, dass die Opferzahl noch weiter steigt. Zwar gibt es bisher keine offizielle Gesamtzahl der Vermissten. Dennoch sind laut Medienberichten nach wie vor viele Tausende Menschen in ihren Häusern oder Büros, in Einkaufszentren oder Schulen eingeschlossen.

Wie etwa Águeda Serrano. Die Direktorin einer Schule in Requena, eine Gemeinde in Valencia, sagt "El País", dass sie die Nacht mit 25 Schülern im Schulgebäude verbracht hat. Der Regen hatte sie am Dienstag während des Unterrichts überrascht, ein Verlassen der Schule sei nicht mehr möglich gewesen. Obwohl das Gebäude nicht überflutet wurde, sahen sie, "wie sich eine Treppe in einen Wasserfall verwandelte, was beängstigend war". Serrano erklärt, dass es allen gut gehe. "Aber so etwas haben wir noch nie erlebt, weder wir noch unsere Vorfahren."

Besonders schlimm traf es zudem jene Menschen, die in ihren Autos von den Wassermassen überrascht wurden. Antonio Tarazona war etwa gerade auf dem Weg von Paiporta nach Valencia, als er bemerkte, dass sie die Straßen in Flüsse verwandelten. Mit im Auto waren seine Frau und ihr drei Monate altes Baby. "Das Auto begann zu schwimmen", berichtet Tarazona dem spanischen Fernsehen. Nachdem er das Auto an einem Schild festgebunden hatte, kletterte er aus dem Fenster und versuchte, seine Tochter in Sicherheit zu bringen, was ihm nicht gelang. Dann zog die Strömung das Auto nach unten. "Das Letzte, was ich sah, war, wie sie vom Autodach aus um Hilfe riefen", so Tarazona. Der 59-Jährige versuchte vergebens, zu ihnen zu gelangen. Nachdem er schließlich in eine Notunterkunft gebracht worden war, hoffte er, dass seine Familie überlebt hatte. Doch am Mittwochabend erklärte ihm die Guardia Civil, dass sie die Leichen seiner Frau und seiner Tochter gefunden hatten.

"Hatte das Gefühl, wir landen im Meer"

Beatriz Garrote überlebte die Überflutung in ihrem Auto. Doch auch die Valencianerin steht noch Stunden nach ihrer Rettung unter Schock, die Heimfahrt von ihrer Arbeit am Dienstagabend sei kaum weniger als eine "apokalyptische Situation" gewesen. Ihr Auto blieb auf der Autobahn V-30 stecken, sagt sie "El País", viele Ausfahrten seien bereits gesperrt gewesen. "Plötzlich begannen die beiden Fahrspuren, die den Ausfahrten der Städte am nächsten lagen, zu überfluten", fährt sie fort. "Als ich das Wasser einen Zentimeter unter mir sah, hatte ich Angst. Ich wusste nicht, woher es kam oder was los war." Der Straßenabschnitt, auf dem sich Garrote befand, war innerhalb einer halben Stunde überflutet.

"Wir waren gefangen, sahen keinen Ausweg und mussten eine sehr starke Strömung überqueren. Es war eine kritische Situation. Ich hatte das Gefühl, dass wir in einer halben Stunde im Meer hätten landen können", berichtet sie. "Wir wussten nicht, ob wir das Richtige taten oder nicht, ob wir uns immer tiefer in die Höhle des Löwen begaben." Insgesamt sieben Stunden harrte Garrote so in ihrem Auto aus, bis sie nach einer Rettungsaktion in eine Notunterkunft gebracht wurde.

Wie Garrotte wurden etliche weitere Menschen in ihren Autos eingesperrt. Am Mittwochabend schätzte ein Sprecher der Polizeieinheit Guardia Civil etwa, dass auf den Autobahnen A3 und A7 noch 1200 Menschen in Autos, Bussen oder Lastwagen gefangen seien. Wie viele bisher befreit wurden, ist noch nicht bekannt.

"Leider sind wir nicht optimistisch"

Während die Rettungsarbeiten und die Suche nach Vermissten und Eingeschlossenen unter Mithilfe des Militärs weiter laufen, versuchen auch die Bewohner selbst, ihre Angehörigen zu finden, oft über Aufrufe in sozialen Medien, Fernseh- oder Radiosendungen. Über den spanischen Sender RTVE startete Leonardo Enrique aus der valencianischen Stadt Riba-roja beispielsweise einen Aufruf, um seinen Sohn zu finden. "Ich habe seit gestern um 6.55 Uhr nichts mehr von ihm gehört", sagt Leonardo Enrique. "Es regnete stark und dann erhielt ich eine Nachricht, dass der Lieferwagen überflutet wurde und er von einem anderen Fahrzeug angefahren wurde. Das war das Letzte, was ich gehört habe."

Mehr zum Thema

Die spanische Verteidigungsministerin Margarita Robles geht nicht davon aus, dass es den Einsatzkräften gelingen wird, alle vermissten Menschen zu retten. Auf die Frage des Radiosenders Cadena Ser, ob die Zahl der Opfer noch steigen könnte, antwortet sie: "Leider sind wir nicht optimistisch." Die Teams seien ständig im Einsatz, sagt sie, allerdings hätten sie auch 50 mobile Leichenhallen mitgebracht.

Zumal die Gefahr noch nicht gebannt ist. "Wir können nicht davon ausgehen, dass diese katastrophale Episode schon beendet ist", sagt Ministerpräsident Pedro Sánchez in einer Fernsehansprache. So drohen in den am stärksten betroffenen Regionen im Osten Valencias sowie in anderen Gebieten an der Nordostküste weitere heftige Regenfälle. Sánchez appelliert an die Menschen in den Regionen, zu Hause zu bleiben. "Bitte, bleibt zu Hause, achtet auf die Aufrufe der Rettungsdienste."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen