Panorama

Warnungen wurden teils ignoriert Regenmengen in Spanien kamen nicht überraschend

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In einigen Hotspots fielen zwischen 450 und 600 Liter Regen pro Quadratmeter.

In einigen Hotspots fielen zwischen 450 und 600 Liter Regen pro Quadratmeter.

(Foto: picture alliance/dpa/EUROPA PRESS)

Extreme Regenfälle und daraus resultierende Fluten halten Spanien seit Tagen in Atem. Fast 100 Menschen verlieren ihr Leben. Dabei prognostizieren Experten die möglichen Mengen korrekt. Die steigen aber in den letzten Jahren stetig, erklärt ntv-Wetterexperte Björn Alexander.

ntv.de: Wie vorhersagbar waren die katastrophalen Wassermassen in Spanien?

Björn Alexander: Bereits am vergangenen Wochenende, spätestens aber am vergangenen Montag war die Größenordnung des Unwetter-Ereignisses absehbar. Allerdings nur dann, wenn man auch wirklich alle möglichen Wettermodelle mit einbezogen hat - besonders die Maximalabschätzungen.

Warum?

Diese beziffern, wie groß das Potenzial in einer Extremwetterlage ist. Leider zeigt die Erfahrung, dass diese Abschätzungen in den vergangenen Jahren immer häufiger tatsächlich erreicht wurden und weiterhin werden.

Was heißt das konkret bei den spanischen Unwettern?

Das Gros der Wettercomputer berechnete von Montag bis einschließlich Mittwoch Regensummen von 150 bis 250 Liter je Quadratmeter. Der Schwerpunkt im Bereich Valencia stand ebenfalls schon fest. Hier zeigten manche Berechnungen 400 Liter Regen pro Quadratmeter und mehr. Die Spitzenreiter waren zu diesem Zeitpunkt zwei globale Wettermodelle, die die Prognosen auf 450 bis knapp 600 Liter je Quadratmeter hochgeschraubt hatten - was in Summe am Ende auch durchaus der Realität entsprach.

Vor welchen weiteren Wettergefahren konnte man anhand der Berechnungen noch warnen?

Grundsätzlich gesehen vor Gewittern und Sturmböen. Mit einem kürzeren Vorlauf, aber spätestens am Dienstag, vor großem Hagel und einer erhöhten Tornadogefahr. Inwieweit die Menschen vor Ort tatsächlich vorgewarnt und gewarnt wurden, ist allerdings von hier aus schwer zu beurteilen. Wichtig ist dann aber auch, dass diese Warnungen ernst genommen werden. Es soll wohl Betreibende von Firmen gegeben haben, die ihre Belegschaft trotz der Warnungen in die Firma zitiert haben sollen. Das ist grob fahrlässig!

Wie kann es überhaupt zu solchen immensen Wassermassen kommen?

Ein entscheidender Baustein der aktuellen, außergewöhnlichen Wetterlagen ist die mittlerweile höhere Wassertemperatur im Mittelmeer. Ähnlich wie im vergangenen Jahr, als es beispielsweise am östlichen Mittelmeer durch Unwettertief "Daniel" über 1000 Liter Regen je Quadratmeter gab und später der Norden von Libyen von einer tödlichen Flutkatastrophe heimgesucht wurde, hat sich das Mittelmeer im Sommer auf Rekordniveau aufgeheizt. Locker mit 2 bis teils über 5 Grad oberhalb des langjährigen Mittels.

Mit welchen Folgen?

Das warme Mittelmeerwasser ist ein enormer Energiespeicher. Kommen nun Tiefdruckgebiete mit kühlerer Luft oder die sogenannten Kaltlufttropfen ins Spiel, dann kann sich eine äußerst explosive Mischung mit sehr hohem Unwetter- und Niederschlagspotenzial ergeben. Das Meereswasser speichert die Wärme sehr lange, sodass die Gefahr von Extremwetter bis in den Herbst oder frühen Winter hinein besteht.

Die Unwettersaison ist also noch nicht vorbei?

Sehr wahrscheinlich nicht. Immerhin sind der Süden Europas und der Norden Afrikas rund ums Mittelmeer auch als Region der subtropischen Winterregengebiete bekannt. Dass also die Tiefs ab dem Herbst bis in den Süden kommen, ist ganz normal. Die wärmere Luft kann aber mittlerweile mehr Feuchte aufnehmen und damit mehr Regen abgeben. Die enorme Überhitzung des Mittelmeers bietet den Sprengstoff für noch extremere Ereignisse.

ntv-Wetterexperte Björn Alexander.

ntv-Wetterexperte Björn Alexander.

(Foto: ntv)

Welche Rolle spielen die örtlichen Gegebenheiten?

Die sind natürlich immer ein entscheidender Faktor. In Spanien sind die Böden im Vergleich zu unseren in Mitteleuropa geringmächtiger - also weniger stark und durch die sommerliche Trockenheit per se versiegelter.

Was bedeutet das?

Dadurch findet kaum Pufferung statt und die Wassermassen fließen größtenteils oberflächlich ab. Je nach Reliefenergie - also dem Höhenunterschied zwischen höchstem und tiefstem Punkt eines Gebietes - und Gefälle, den vorhanden Rückhaltebecken und dem Zuschnitt des Einzugsgebietes können dadurch reißende, lebensbedrohliche Blitz- und Sturzfluten aber auch großflächige Überschwemmungen entstehen. Im Prinzip ein chaotisches und zu diesem Zeitpunkt auch nur schwer vorhersagbares System der Wassermassen mit enormer Wucht und Kraft. Ähnlich wie bei der Ahrtalflut im Sommer 2021.

Wie war es damals?

Auch bei dieser Katastrophe waren die Prognosen der Wettercomputer in Bezug auf den Regen und die Niederschlagsmengen akkurat. Nur fehlen bei diesen Extremen die Vergleiche aus der Vergangenheit. Sprich: Immer dann, wenn Unwetter ein noch nicht bekanntes Ausmaß annehmen, dann sind die Auswirkungen so enorm, dass es im Vorfeld kaum vorstellbar ist. Umso wichtiger ist im Umkehrschluss aber auch, dass das Warnwesen tadellos funktioniert und entsprechend umgesetzt wird. Gleichzeitig müssen wir von der reinen Wettervorhersage auch mehr zu Live-Überflutungsberechnungen kommen, also die Frage beantworten: Lösen 200 Liter eine Sturzflut aus und wenn ja, wie schnell und in welchem Gebiet?

Quelle: ntv.de

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