Aus der Schmoll-Ecke Der Ficki-ficki-Stadtrat, der nicht den Schwanz einzieht


"Ehrlich. Kritisch. Unabhängig." lautet das Motto der "Wählerinitiative unabhängiger Bürger". Im Bild Mannheims Stadtrat Julien Ferrat am Ufer der Friesenheimer Insel.
(Foto: picture alliance/dpa)
Ein Kommunalpolitiker in Mannheim plant für August einen "FKK-Swinger-Urlaub mit interessantem Politikprogramm". Es ist der Beweis, dass Politik endgültig zur Satire wird und zur Bühne von Selbstdarstellern verkommt, die nicht mehr alle Tassen im Schrank haben.
Der Ficki-ficki-Stadtrat ist in seiner Eigenwahrnehmung ein echter Demokrat, für den "ausschließlich die Kraft des Arguments entscheidend ist", einer der Politiker, der nicht nur die nackte Wahrheit kennt, sondern auch den Mut hat, sie der Bevölkerung zu verkünden. Seine Ausführungen im Parlament - es geht um den Haushalt der Stadt Mannheim in diesem und im kommenden Jahr - beginnt er deshalb mit einer Warnung an die Menschen im Saal und jene, die seine Jahrhundert-Rede im Livestream verfolgen. "Wer die Wahrheit nicht verkraftet, hat jetzt noch die Möglichkeit, den Saal unbeschadet zu verlassen oder das Fenster seines Internetbrowsers zu schließen, bevor es zu spät ist."
Falls Sie sich Sorgen machen: Niemand, der den Verkündungen des Ficki-ficki-Stadtrats gelauscht hat - einschließlich meiner Person, wie Sie unschwer an dieser Kolumne erkennen können - ist gestorben oder hat sonst Schaden genommen. Die Ansprache war auf einer offenen Skala der Erwartbarkeit im nicht messbaren Bereich. "Die Wahrheit" sieht demnach so aus: "Die Bürger erwarten von der Politik, dass um die besten Ideen für die Stadt gerungen wird und parteitaktische Überlegungen in den Hintergrund rücken." Darauf muss man erst einmal kommen. Spektakulär!
Der Ficki-ficki-Stadtrat wirbt dafür, "unnötige Ausgaben" zu reduzieren. Darauf muss man erst einmal kommen. Wow! Als Beispiel nennt der Wahrheitsverkünder das Nationaltheater Mannheim. Der Subventionsbedarf dieser "Geldverbrennungsmaschine", in der Friedrich Schillers "Die Räuber" 1782 uraufgeführt worden war, "hat ein Ausmaß jenseits von Gut und Böse". Ich vermute nicht, dass der Ficki-ficki-Stadtrat mit dieser Behauptung auf Friedrich Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" verweisen wollte, in dem es heißt: "Starke Wasser reißen viel Gestein und Gestrüpp mit sich fort, starke Geister viel dumme und verworrene Köpfe."
"Es kommt nicht auf die Länge an"
Jedenfalls: "Wer beim Nationaltheater die Augen verschließt, hat sich aus dem ernst zu nehmenden Spektrum verabschiedet." In dem sich der Ficki-ficki-Stadtrat selbstverständlich wähnt. Und gerne hätte er viel länger gesprochen als diese vier Minuten, die ihm nur zustanden, weil DIE MANNHEIMER, die er vertritt, keinen Fraktionsstatus haben. Die "Wählerinitiative unabhängiger Bürger" mit dem Motto "Ehrlich. Kritisch. Unabhängig.", die der Ficki-ficki-Stadtrat selbst gegründet hat, schreibt sich übrigens in Trumpscher Manier durchgehend in Großbuchstaben. Immerhin nutzt der ehrliche, kritische und unabhängige Ficki-ficki-Stadtrat das Ausmaß seiner Redezeit zu einem Kalauer (der mich zu der Hahaha-Überschrift dieser Kolumne animierte): "Wie schon einst eine sehr weise Frau sagte: 'Es kommt nicht auf die Länge an, sondern darauf, was man damit macht'."
Wer könnte die "weise Frau" von "einst" gewesen sein? Beate Uhse, Eva Braun oder Tante Hilde? Egal. Damit halten wir uns nicht auf. Der Ficki-ficki-Stadtrat hat ohnehin Wichtigeres zu tun, als sich um Details zu kümmern. Im "Mannheimer Morgen" las ich, dass er "mit insgesamt 300 Anträgen den städtischen Haushaltsentwurf verändern" will oder wollte. Der Zeitung zufolge sagte der Ficki-ficki-Stadtrat - wiederum in Trumpscher Selbstherrlichkeit -, sein Paket mit Änderungswünschen sei nicht nur das dickste, sondern auch "das beste, das jemals vorgelegt wurde". Als ein "unkonventionelles Beispiel" habe er "mindestens an einem Samstag im Monat eine FKK-Swinger-Nacht" im größten städtischen Freibad von Mannheim vorgeschlagen.
Bildungsreise in die FKK-Hochburg
Denn dem Ficki-ficki-Stadtrat liegt nicht allein die nackte Wahrheit am Herzen, sondern auch das Sexuelle am Penis. Im Mai veröffentlichte er im Amtsblatt von Mannheim ein Foto von sich, das ihn zeigt, wie ihn nicht Gott, aber seine Eltern schufen, nur mit einem Schild über der Stelle, wo sich normalerweise das Organ befindet, das ihn zum Ausscheiden von Urin und Samen befähigt. In einem Text dazu ruft er die Menschheit zu einer "politischen Bildungsfahrt" ins französische Agde am Mittelmeer auf. Der Stadtteil Cap d'Agde ist ein Tummelplatz von FKK-Fans und Swingern.
Der Ficki-ficki-Stadtrat hält den Ort für ein "Vorzeigeprojekt für staatlich geplante Stadtentwicklung zur Stärkung der lokalen Wirtschaft". Das mag so sein. In jedem Fall ist die Idee des Ficki-ficki-Stadtrats ein Vorzeigeprojekt für den Trend, dass Politik endgültig zur Satire wird und zur Bühne von Selbstdarstellern verkommt, die nicht mehr alle Tassen im Schrank haben, falls ihnen nicht sogar der ganze Schrank abhandengekommen ist. Da liegt die Mannheimer CDU nah an der Wahrheit, wenn sie das Vorhaben als "hirnverbrannt" bezeichnet, weil es "der Politik eher schadet" und "nichts Sinnvolles" enthält, "was die Stadt, was die Menschen in dieser Stadt nach vorne bringt. Es ist einfach nur so ein bisschen zum Fremdschämen."
Der Ficki-ficki-Stadtrat will es dennoch durchziehen. Anfang August soll es, wie der Wahrheitsverkünder öffentlich mitteilte, für acht Tage nach Frankreich gehen. Vorher will er ein mehrtägiges "Trainingslager mit Outdoor-Sex" auf der Friesenheimer Insel, ein Eiland im Gebiet Mannheims, geleitet haben. "Sich da behutsam heranzutasten, ist für die Reisevorbereitung sinnvoll", ließ der Ficki-ficki-Stadtrat die geneigte Öffentlichkeit wissen. Bei dem anstehenden "FKK-Swinger-Urlaub mit interessantem Politikprogramm" geht es ums "Angucken": den Strand, "Swingerclubs und so weiter und so fort". Allerdings: "Es gibt auch eine politische Komponente", etwa Gespräche mit dem Tourismusbüro, Vertretern der Stadtverwaltung sowie Hoteliers.
Amtsdeutsch statt Volksnähe
Da der Ficki-ficki-Stadtrat den angeblichen politischen Aspekt der Fahrt betont, kommt einem schon mal die Frage in den Sinn: Schießt die Stadt Mannheim öffentliches Geld für "politische Bildungsreisen" dieser Art zu? Eine Frau wollte es wissen und wandte sich Anfang Juli über das Portal "Frag den Staat" an die Kommune. Die reagierte so, wie man das von einer anständigen deutschen Verwaltung erwartet: mit unverständlichem Amtsdeutsch, als hätte sie von dem Begriff der Volksnähe noch nie gehört.
"Wir verlängern die Frist zur Bearbeitung nach § 7 Abs. 7 Satz 2 LIFG wegen des potenziellen Umfangs bzw. Komplexität, der grundsätzlichen Natur des Antragsgegenstands geschuldet, und zu prüfenden möglichen Drittbetroffenheiten um zwei Monate." Dagegen protestierte die Fragestellerin. Die Antwort der Stadt: "Für eine Auskunftserteilung, mittels derer Zugang zu amtlichen Informationen nach dem LIFG gewährt wird, ist gemäß § 10 Abs. 1 LIFG in Verbindung mit Tarifstelle 5 des Gebührenverzeichnis 1 der Satzung der Stadt Mannheim über die Erhebung von Gebühren für öffentliche Leistungen ausgenommen Benutzungsgebühren vom 19. Dezember 2006 (Verwaltungsgebührensatzung) eine Gebühr zu erheben. § 10 Abs. 3 LIFG für einfache Fälle findet auf Stellen der Gemeinden (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 LIFG) keine Anwendung." Es folgten noch ähnliche Sätze.
Und dann noch: "Im Übrigen wird für die von Ihnen begehrte Auskunft ein Verwaltungsaufwand von 10 angefangenen 15 Minuten prognostiziert, der bei einer Gebührenmessung nach der Verwaltungsgebührensatzung zugrunde zu legen ist. Eine zu erhebende Gebühr beträgt hiernach höchstens € 177,00. Bitte teilen Sie uns mit, ob Sie den Antrag insoweit unter diesen Voraussetzungen weiterverfolgen möchten." Die Frau: "Guten Tag. Ich ziehe meine Anfrage zurück." Jawoll! So geht Politik, die den Glauben an die Demokratie erhält.
Quelle: ntv.de