Panorama

Palästinenser unter Beschuss "Der Geruch des Todes ist in Gaza allgegenwärtig"

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Die Menschen versuchen, ihre Familienangehörigen aus den Trümmern zu retten. Doch oft kommt jede Hilfe zu spät.

Die Menschen versuchen, ihre Familienangehörigen aus den Trümmern zu retten. Doch oft kommt jede Hilfe zu spät.

(Foto: Reuters)

Die Gewaltspirale im Nahen Osten dreht sich unerbittlich weiter: Als Reaktion auf das Hamas-Massaker beschießt Israel den Gazastreifen mit unzähligen Raketen. Wohnhäuser und Schulen werden zerstört, ganze Familien unter Tonnen von Beton begraben. Eine Flucht ist für die meisten Palästinenser unmöglich.

Im Krankenhaus Al-Schifa im Gazastreifen steht der 25-jährige Akram Al-Haddad am Bett seines kleinen Neffen Abdelrahman Al-Duss. Der anderthalbjährige Junge und seine Eltern sind bei einem Luftangriff der israelischen Armee schwer verletzt worden, sein vierjähriger Bruder und 16 weitere Menschen sind tot. Das Haus der Familie im Viertel Al-Saytun im Südosten von Gaza sei zerstört worden, erzählt Akram der AFP. Jetzt bangt er um das Leben seines Neffen. Währenddessen dreht sich die Gewaltspirale im Nahen Osten unerbittlich weiter.

Am vergangenen Samstag überfallen Hamas-Terroristen in einem gleichermaßen überraschenden und verheerendem Anschlag Israel. Sie feuern Tausende Raketen auf israelische Dörfer und Städte, massakrieren Siedler, Soldaten und Festival-Besucher, brandschatzen und verschleppen Zivilisten. Mehr als 1200 Menschen sterben. Seitdem nimmt Israel den Gazastreifen unter Dauerbeschuss.

Inzwischen gleicht Gaza einem Trümmerfeld. Schulen liegen in Schutt und Asche, Wohnhäuser wurden weggesprengt und ganze Familien unter Tonnen von Beton begraben. In den Lärm von Raketeneinschlägen und Sirenen mischen sich die verzweifelten Schreie der Bewohner. "Die Menschen weinen um ihre Kinder, die sie unter den Trümmern zurücklassen mussten", erzählt Sanitäter Amir Ahmed der "New York Times". "Sie flehen uns an, hineinzugehen und ihre Kinder aus den Trümmern zu holen."

Doch die Möglichkeiten der Rettungskräfte sind begrenzt. Mit der vollständigen Belagerung des Gazastreifens durch Israel ist die Stromversorgung unterbrochen, Treibstoffvorräte sind fast erschöpft und die Gefahr, selbst durch Luftangriffe Israels getroffen zu werden, ist hoch. Selbst wenn sie zerstörte Gebäude erreichten, so Ahmed, könnten sie nur wenig tun. "Wenn wir zu den getroffenen Orten fahren, nehmen wir lediglich die Verletzten und Toten mit, die außerhalb der Gebäude liegen", sagt sein Kollege Naseem Hassan der Zeitung. Verletzte und Leichen unter den Trümmern könnten sie nicht ausgraben. "Wir brauchen Bulldozer und schweres Gerät. Doch wir haben nichts davon." Hassan fährt seit 25 Jahren Krankenwagen in Gaza, doch einen Krieg wie diesen hätte er noch nie erlebt.

"Die Menschen kommen in Stücken an"

Nicht nur auf den Straßen von Gaza, auch in den wenigen Krankenhäusern der Enklave spielen sich ähnlich dramatische Szenen ab. "Die Menschen kommen in Stücken an", berichtet Mahmoud Matar, Leiter der Chirurgie des Krankenhauses Al-Schifa, der BBC. Er und seine Kollegen seien völlig überwältigt von den vielen Verletzten und Toten. "Wir fühlen uns alle hilflos. Wir können ihnen nicht helfen."

Die Zahl der Toten durch die israelischen Luftangriffe auf Gaza ist nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums mittlerweile auf 1100 gestiegen. Zudem gebe es mehr als 5000 Verletzte. "Die Familien hier haben gesehen, wie ihre Häuser über ihren Köpfen zerstört und alle bis auf vielleicht ein oder zwei Personen, die mit schrecklichen Verletzungen ins Krankenhaus kamen, getötet wurden", sagt Matar. "Der Geruch des Todes ist in Gaza allgegenwärtig."

Ein Ende der Vergeltungsschläge ist dabei nicht in Sicht - im Gegenteil. Experten zufolge wird sich das Tempo der Angriffe mit Israels "vollständiger Belagerung" und einer anstehenden Bodenoffensive wahrscheinlich noch beschleunigen. Ein Sprecher des israelischen Militärs sagte am Mittwoch, die Szenen, die sich in den kommenden Tagen in Gaza abspielen werden, seien "schwer zu verstehen und zu ertragen". Die Palästinenser sollten die angegriffenen Gebiete - in einigen Fällen ganze Stadtteile oder Städte - verlassen.

Gazastreifen wird zum "Freiluftgefängnis"

Laut UN sind bereits 340.000 Menschen aus ihren Wohnungen geflüchtet. Doch die mehr als zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens können nirgendwo hin. Es gibt keine Luftschutzbunker. Viele verstecken sich in Schulen oder Krankenhäusern. Doch auch dort sind sie vor Angriffen nicht sicher. Nach UN-Angaben wurden 9 Krankenwagen, 13 Gesundheitseinrichtungen und 20 Schulen von israelischen Raketen getroffen. Auch eine Flucht ins Ausland ist so gut wie unmöglich. Die einzige Grenze zu Ägypten ist dicht, die restlichen blockiert Israel - nunmehr seit 16 Jahren.

Israel, das den Gazastreifen seit 1967 kontrolliert, verteidigt die Blockade als notwendig, um Angriffe der Hamas auf Israelis zu verhindern. Die Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen verurteilen dies seit Langem. Der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zufolge verwandelt die Blockade den Gazastreifen in ein "Freiluftgefängnis", zerstört die Wirtschaft und verstärkt die lokale Unterstützung für die radikalislamische Hamas.

Angesichts des Hamas-Großangriffs am Wochenende hat die israelische Regierung die Blockade weiter verschärft, unter Protest von Menschenrechtsorganisationen. "Kein Stromschalter wird umgelegt, kein Wasserhydrant geöffnet und kein Treibstofftransporter wird einfahren, bis die entführten israelischen Geiseln nach Hause zurückkehren", sagte Israels Energieminister Israel Katz. Eine humanitäre Katastrophe für den Gazastreifen: Strom gibt es nur wenige Stunden am Tag und Zugang zu sauberem Trinkwasser hatten selbst vor dem Krieg nur fünf Prozent der palästinensischen Haushalte.

Auch der Chirurg Matar versucht derzeit verzweifelt, Trinkwasser aufzutreiben, wie er der BBC sagt. Seit Tagen ist er fast ununterbrochen im Einsatz. Sein Krankenhaus Al-Schifa, das größte im Gazastreifen, kann die Flut an Verletzten längst nicht mehr bewältigen. Der Operationssaal sei im Dauerbetrieb, alle 500 Betten seien voll belegt, sagt er dem britischen Sender. Draußen schlagen im Stundentakt die Raketen ein. Er sei zwar Chirurg, sagt Matar, aber selbst er könne "den Anblick der vielen Toten nicht mehr ertragen".

Quelle: ntv.de

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