Panorama

Deutschland hat 'nen KnallDer lange Abschied vom Silvester-Feuerwerk

27.12.2025, 10:01 Uhr Foto-AutorenboxVon Torsten Landsberg
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Lärm, Luftverschmutzung, Verletzungen - der Zauber von Feuerwerk hat auch eine andere Seite. (Foto: picture alliance/dpa)

Eine klare Mehrheit spricht sich für ein bundesweites Böllerverbot aus. Ein Blick in die Niederlande zeigt: Von der alljährlichen Scheindebatte bis zum Gesetz ist es ein langer Weg.

Wer sich nicht sicher ist, in welchem Monat wir uns befinden, kann den Dezember eindeutig an der aufflammenden Debatte über ein bundesweites Böllerverbot erkennen. Anfang Dezember geht sie verlässlich los, je nach ruhigem oder örtlich chaotischem Verlauf der Silvesternacht ebbt sie in der Regel bis Mitte Januar ab - auf Wiedervorlage in elf Monaten. Jährlich grüßt das Murmeltier.

Unter dem Motto #BöllerCiao spricht sich ein breites Bündnis aus Polizeigewerkschaften, Umwelt- und Tierschutzvereinen sowie Gesundheits- und Ärzteverbänden für ein Verbot der privaten Knallerei aus. In einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL/ntv schließen sich der Forderung erneut 60 Prozent der Befragten an. Die Zahlen sind seit Jahren konstant. Nach den teils schweren Ausschreitungen vor einem Jahr sind in Berlin aktuell sogar 75 Prozent für ein Verbot.

In den Niederlanden bewegten sich die Umfragewerte lange Zeit auf dem gleichen Niveau. Im April dieses Jahres hat das Parlament in Den Haag mit dem Gesetz Veilige jaarwisseling (Sicherer Jahreswechsel) reagiert und ein landesweites Verbot der privaten Feuerwerke verabschiedet, es gilt ab dem Jahreswechsel 2026/27. Die Befürworter des Verbots haben einen langen Weg zurückgelegt: Bereits im Jahr 2014 hatten Ärzte und Fachleute das Vuurwerkmanifest (Feuerwerksmanifest) veröffentlicht, mit dem sie auf die Gefahren und Folgen der privaten Feuerwerke hinwiesen.

"Das Manifest gab der schweigenden Mehrheit eine Stimme", sagt der Augenarzt und Mitinitiator Jan Tjeerd de Faber im Gespräch mit ntv.de. Großen Zulauf fand es aber erst nach einer Tragödie zum Jahreswechsel 2019/2020. Zwei 12 und 13 Jahre alte Jungen hatten in der Eingangshalle eines Wohnblocks mit Feuerwerkskörpern hantiert, einen klemmten sie zwischen die Polster einer dort abgestellten Couch mit Kunststoff-Überzug. Es war ein eigentlich harmloser "Bodenwirbel", der auch für Kinder geeignet ist und nicht knallt, sondern sich am Boden dreht und Funken schlägt.

Die Couch ging in Flammen auf, die sich rasend schnell ausbreiteten. Als der Brand den Strom im Haus lahmlegte, war eine vierköpfige Familie im Aufzug gefangen. Der vierjährige Sohn und der Vater starben an einer Rauchvergiftung, die damals achtjährige Tochter und ihre Mutter überlebten schwer verletzt. "Damit hatten private Feuerwerkskörper ihr harmloses Image verloren", sagt Jan Tjeerd de Faber.

"Ein ganzes Land in Geiselhaft"

Innerhalb kurzer Zeit sammelte die Initiative 750.000 Unterschriften für das Böllerverbot, die Zustimmung in der Bevölkerung stieg auf 70 Prozent. "Da nur zehn Prozent der Bevölkerung Feuerwerkskörper verwenden, argumentierten wir, dass diese Minderheit nicht mit ihren gefährlichen Waffen ein ganzes Land in Geiselhaft nehmen darf." Besonders in den sozialen Medien argumentiere diese Minderheit bis heute lautstark, wie schön, sicher und gesellig Feuerwerkskörper seien.

Auch in Deutschland planen laut der aktuellen Forsa-Umfrage nur 16 Prozent der Befragten, Raketen oder Böller zu kaufen. Die Gewerkschaft der Polizei Berlin hat mit einer Petition bislang mehr als 2,3 Millionen Unterschriften für ein bundesweites Verbot gesammelt, die Deutsche Umwelthilfe weitere rund 760.000. Trotz überlasteter Notaufnahmen und Angriffen auf Einsatzkräfte argumentieren Befürworter der privaten Feuerwerke und manche Politiker, friedlich böllernde Menschen sollten nicht dafür bestraft werden, dass sich wenige nicht an Regeln halten und über die Stränge schlagen.

"Die Verletzungen zeigen, wie unsicher private Feuerwerke sind", sagt dagegen Jan Tjeerd de Faber, "die Hälfte der Verletzten sind unbeteiligte Personen, das ist vollkommen unsozial." Der Augenarzt versorgt Kinder am Augenkrankenhaus in Rotterdam, für das Verbot engagiert er sich seit einer Schicht an Silvester 2003. Ein kleiner Junge war durch einen Böller am Auge verletzt worden, der damals junge Arzt konnte es nicht retten. "Private Feuerwerkskörper verursachen mehr Schaden als Freude. Wenn Sie das nicht glauben, schauen Sie sich Silvester in meinem Operationssaal um."

Keine Statistik über ambulante Behandlungen

Die Zahl der Schwerverletzten durch Unfälle mit Feuerwerkskörpern ist laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) ziemlich konstant: 2019 gab es 96 Fälle, 2023 waren es 117 und 2025 mussten 100 Fälle stationär versorgt werden. Diese Angaben beziehen sich allerdings nur auf Verletzungen wie abgerissene Finger oder Hände, schwerste Brandverletzungen oder den Verlust des Sehvermögens.

Bei näherer Betrachtung gibt diese Statistik wenig her, wie die DKG selbst hervorhebt: "Der weitaus überwiegende Teil der feuerwerksbedingten Verletzungen wird in den Notaufnahmen beziehungsweise im niedergelassenen Bereich ambulant behandelt." Leichtere und mittlere Verletzungen werden nicht einheitlich nach Feuerwerksursache erfasst, folglich gibt es darüber keine verlässlichen Daten. "Die DKG geht davon aus, dass in den Notaufnahmen in der Silvesternacht ein Vielfaches der stationären Fallzahl ambulant versorgt wird."

Das Argument, man könne aus städtischen Böller-Exzessen wie in Berlin keine Rückschlüsse für das ganze Land ziehen, legt nahe, dass die Böllerei in anderen Gegenden kein Problem darstellt. Tatsächlich sind aus der Silvesternacht 2024/25 fünf Todesfälle dokumentiert, die auf das Hantieren mit Feuerwerkskörpern zurückgehen - alle in ländlichen Regionen. Schäden für die Umwelt, für Tiere im Haus und in der Natur sowie die gesundheitlichen Risiken für den Menschen, etwa durch Feinstaub, spielen in der öffentlichen Diskussion fast gar keine Rolle - allen Warnungen von Verbänden und Experten zum Trotz.

Wie kommt man voran, wenn eine unaufgeregte Debatte auf Basis der Fakten nicht möglich ist? In den Niederlanden sei es genau so gewesen, erinnert sich Jan Tjeerd de Faber. "Es war wie im Film 'Und täglich grüßt das Murmeltier', es war so frustrierend." Für ein Umdenken auch unter Politikern des rechten Lagers hätten letztlich Berichte über ein internes Polizeimemo im Januar dieses Jahres gesorgt. Die "Dutch News" schrieb nach erneuten Übergriffen in der Silvesternacht von einem "tiefen Einblick in die Frustration und Verzweiflung innerhalb der Polizei". Die Beamten wollten nicht mehr als Zielscheiben fungieren, viele überlegten, ob der Beruf für sie noch der richtige sei.

Die Übergriffe zeigen auch das Dilemma von regionalen Verboten auf: Amsterdam und Rotterdam hatten private Feuerwerke bereits vor einigen Jahren verboten, dennoch konnten Feuerwerkskörper andernorts gekauft und dann auch in den Verbotszonen eingesetzt werden. An einem flächendeckenden Verbot führe deshalb kein Weg vorbei, meint Jan Tjeerd de Faber, der leidenschaftlichen Freizeit-Feuerwerkern empfiehlt, sich einfach zu professionellen Pyrotechnikern ausbilden zu lassen. "Dann können sie sich von den lokalen Gemeinden für ein professionelles Feuerwerk bezahlen lassen, das ist eine sichere Alternative."

Quelle: ntv.de

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