GdP-Chef Kopelke für Böllerverbot"Die gesamte Blaulichtwelt hat ein Problem mit dieser Sprengkraft"

Jedes Jahr kommt es an Silvester zu Übergriffen auf Einsatzkräfte, Böller werden zur Waffe. Jochen Kopelke von der Gewerkschaft der Polizei fordert ein Verbot der Feuerwerkskörper und richtet klare Forderungen an die derzeit laufende Innenministerkonferenz der Länder.
ntv.de: Herr Kopelke, Sie fordern ein Böllerverbot zu Silvester. Haben Sie keine Freude an Feuerwerk?
Jochen Kopelke: Ich bin ein großer Freund von Wunderkerzen und diesen ganz kleinen Knallern, die man mit der Familie vor der Haustür benutzen kann. Ich sehe, wie das meine Kinder freut. Ansonsten interessieren mich Raketen und Böller nicht mehr.
Wenn Sie an Silvester denken, was für Gefühle kommen dann hoch?
Da gibt es zwei Varianten. Einmal, wenn man dienstfrei hat, das Feiern mit der Familie. Mit Bleigießen, gutem Essen und schönem Austausch. Das andere ist, wenn man Dienst hat. Da ist es wichtig, in einem guten Team zu sein. Man weiß nie, was kommt.
Sicher spielt Alkohol eine große Rolle, aber wie sieht es mit Böllern und Feuerwerkskörpern aus?
Früher nahm man die leere Sektflasche und steckte da seine zwei Raketen rein und hat sie in den Himmel geschossen. Mittlerweile kaufen die Leute ganze Batterien, die 10 oder 15 Minuten feuern. Eine Rakete reicht nicht mehr, man will eine richtige Show. Uns begegnen auch viele Schreckschusspistolen.
Wer feuert mit Schreckschusspistolen?
Das ist Machogehabe von jungen Männern, meist aus dem arabischen Raum stammend, die die Knarre rausholen und in der Gruppe ballern. Da haben wir gute Konzepte, die fangen wir mit Zivilstreifen relativ gut weg. Wenn schon leicht alkoholisierte Menschengruppen aufeinandertreffen, gibt es die ersten, die mit ihren Raketenbatterien auf andere Menschen oder Polizisten feuern.
Welche Entwicklung sehen Sie?
Der große Unterschied zu noch vor fünf oder zehn Jahren ist die Masse, das dauerhafte Schießen, das erleben wir regelmäßig. Im vorletzten Jahr wollte ein Polizist den Streifenwagen verlassen und jemand hat mit einer Batterie durchgehend auf die Tür des Polizeiautos geschossen. Da brauchen wir genügend Kräfte, um diese Täter festzunehmen.
Sie fordern ein Böllerverbot, aber wenn Sie die Tätergruppen identifizieren können und Masse das Problem ist - wäre es nicht eine Möglichkeit die Polizeiarbeit auf die Tätergruppen auszurichten und Feuerwerkskörper teurer zu machen, damit weniger in Umlauf sind?
Ja, es gibt ganz verschiedene Ansätze. Auch eine Nachweispflicht für Schreckschusswaffen wäre sinnvoll. Die Einfuhr von billigem und hochgefährlichem Sprengstoff müsste ebenfalls besser unterbunden werden. Man könnte auch zumindest einzelne pyrotechnische Klassen verbieten. Aber wir kommen nirgendwo voran. So ist die einzige Möglichkeit, die Polizeistärken hochzufahren. Nehmen Sie das Beispiel Berlin. Vor zwei Jahren hat es dort richtig gescheppert. Letztes Jahr hat man so viele Kräfte auf die Straße gebracht, dass an jeder Ecke ein Polizist stand.
Klingt doch ganz vernünftig.
Nein, damit haben wir als Gewerkschaft der Polizei ein Problem. Das sind unsere Leute und sie werde das ganze Jahr über so verheizt. Beim Fußball fahren wir die Kräfte hoch, bei Großdemonstrationen fahren wir sie hoch und nehmen sie aus der Alltagsarbeit. Schwerpunktkontrollen zur Einbruchskriminalität fallen weg, auch Straßenverkehrskontrollen zu Handy, Alkohol, Drogen. Wir müssen unheimlich flexibel sein. Wegen all dieser Lagen heißt es: "Morgen musst du arbeiten, übermorgen mal sehen." Deswegen schließen wir uns diesem Bündnis für ein Böllerverbot an.
Ein Böllerverbot müsste man auch durchsetzen. NRW-Innenminister Herbert Reul sagt, das gehe gar nicht.
Ich finde solche Worte von einem Innenminister befremdlich. Ein Böllerverbot bedeutet ja auch ein Verkaufsverbot. Da fahren Eltern also nicht mehr in den Baumarkt, decken sich mit Feuerwerksbatterien ein und verteilen sie an ihre minderjährigen Kinder. Den Effekt sieht Herbert Reul offenbar nicht.
Kann man den Verkauf wirklich unterbinden?
Natürlich gibt es den illegalen Verkauf. Aber so schnell fährt man auch nicht nach Tschechien und macht sich dort den Kofferraum voll. Man müsste auch unentdeckt zurückkehren. Es gibt aber noch weitere Vorteile eines Verbots.
Welche?
Wir könnten auch schon vor Silvester einschreiten, wenn jemand Böller hat. In der eigentlichen Nacht müssen wir nicht aufs Sprengen warten, sondern können gleich handeln, wenn wir jemanden mit tütenweise Feuerwerkskörpern sehen. Wir müssen dann auch nicht mehr nachweisen, dass jemand tatsächlich absichtlich einen Sprengsatz auf einen Menschen geworfen hat. Das ist sehr schwierig. Wenn schon der Besitz strafbar ist, macht es das wesentlich einfacher.
Trotz allem: Die meisten Menschen gehen verantwortungsvoll mit Feuerwerk um. Bestraft man mit einem Verbot nicht die Falschen? Auf die Gefahr hin, dass die Chaoten weiter Chaos machen?
Ja, das ist leider so. Es gibt sehr viele Menschen, die das richtig gut machen, die eine tolle Nachbarschaft haben und die keine Böller auf Polizisten werfen. Die empören sich auch darüber und unterstützen uns. Sie fragen aber auch: Warum soll ich nicht mehr böllern dürfen, wenn ich doch alles richtig mache? Das verstehe ich. Deswegen fordern wir ja, dass Kommunen und Regionen Handlungsfähigkeit bekommen. Wenn Herbert Reul nicht in ganz NRW Böller verbieten darf, dann soll er wenigstens erlauben, dass Kommunen auch Verbote nutzen dürfen. Aber selbst das wollen die politisch Verantwortlichen nicht. Sie verweigern sich dem Thema. Dabei zeigen Umfragen, dass eine Mehrheit für ein Böllerverbot ist. Auch im ländlichen Raum, nicht zuletzt weil der Lärm Tiere in Panik versetzt. Ich glaube, die Debatte darüber tut Deutschland gut.
Was fordern Sie konkret von der derzeit laufenden Innenministerkonferenz?
Wenn die Innenministerkonferenz prügelnden Ultras im Fußball das Stadion verbieten will, warum dann nicht auch Menschen die Böller wegnehmen, die an Silvester Polizisten auf der Straße angreifen? Ich sehe da keinen Unterschied. Ich verstehe nicht, warum im Fußball Dinge verboten werden, aber auf der Straße, im Alltag, nicht. Die Innenminister nehmen das Thema Böllerverbot nicht ernst. Ich erwarte eine ernsthafte Diskussion und 2026 ein anderes Silvester.
Der Bremer Innensenator hat gefordert, zumindest den Ländern zu erlauben, Böller zu verbieten. Wäre das also ein Kompromiss?
Das wäre ein Fortschritt, nur müsste das auch umgesetzt werden. Wie viel Druck und Probleme müssen noch entstehen, bis man endlich zu einer Entscheidung kommt? Ich bin gespannt, was unsere Dienstherren uns zumuten. Dann müssen sie am 1. Januar an unseren Dienststellen stehen und sich uns erklären, wenn unsere Kleidung verbrannt ist, uns das Trommelfell geplatzt ist, uns der Helm vom Kopf gerissen wurde, unser Streifenwagen zerstört wurde. Aber das Problem geht weit über die Polizei hinaus.
Wie meinen Sie das?
Wir sind Teil einer Blaulichtfamilie, in der alle darunter leiden. Von der Polizei, über die Feuerwehr, über den Rettungsdienst, bis ins Krankenhaus. Die gesamte Blaulichtwelt hat ein Arbeitsschutzproblem mit dieser Sprengkraft, zu der mittlerweile auch Kugelbomben gehören. Die Innenminister müssen diese Entwicklung stoppen. Wo landen wir denn dann in zwei, drei Jahren? Wenn es immer mehr wird, immer doller, immer mehr Knarren? Es ist die Aufgabe von politischen Entscheidungsträgern auch mal weiter zu denken und die Entwicklung der alltäglichen Gewalt auf der Straße und im Suff an Silvester erst recht. Das muss die Innenministerkonferenz ernst nehmen.
Mit Jochen Kopelke sprach Volker Petersen