Aus der Schmoll-Ecke Die Ampel ist an allem schuld - und Merz ein Rechtspopulist


Manche haben das Gefühl, CDU-Parteichef Merz rede der AfD nach dem Mund.
(Foto: dpa)
Die Grünen bringen Bronzen zurück nach Afrika, aber Ricarda Lang kann nicht sagen, wie hoch die Durchschnittsrente in Deutschland ist. Wundert sich noch jemand über den Höhenflug der AfD? Unser Kolumnist nicht.
Als Thomas Schmoll eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt. Die Kundigen und Beleidigten unter Ihnen werden jetzt erregt rufen: Ergreifet den Dieb! Plagiat! Natürlich ist das billig abgekupfert, eine Ferkelei, einfach meinen Namen an die Stelle von Gregor Samsa zu setzen. Sehen Sie es mir nach, ich meine es nur gut mit Ihnen. Wir sind im Kafka-Jahr und ein bisschen Kultur schadet (auch Ihnen) nicht, geschätzte Leserschaft. Nur von Luft und Krieg allein kann keiner leben. Umso mehr freu ich mich, dass sie diese Kolumne angeklickt haben, geschrieben von einem alten weißen Mann, der sich kulturell jede Menge angeeignet hat, wenn auch nur in Form von Wissen. Ich trage keine Rastalocken und mache kein Yoga auf Matten mit dem heiligen Om-Zeichen. Om!
Als Intellektueller werde ich, obwohl politisch nicht völlig korrekt, gerne zu Abendessen eingeladen, damit ich über Gott und die Welt der Barockoper plaudere. Man gibt mir Gelegenheit, mein Bedauern zum Ausdruck zu bringen, wie schade es ist, dass von Claudio Monteverdi nur drei Opern erhalten geblieben sind. Was heißt, nur drei, frage ich dann in die großäugige Runde und antworte selbst: Immerhin drei, die 300 Jahre Krieg und Plündern überstanden haben, bevor sie wiederentdeckt wurden. Wir Jammer-Deutschen sind schrecklich, sehen das Glas immer halb leer, führe ich dann aus. Das lockert die Runde auf. In Wahrheit bin ich tief betrübt darüber, dass es nur drei sind. Langweile ich Sie?
Natürlich erwartet man von mir, dass ich im Kafka-Jahr etwas Kluges zu Kafka sage, wobei ich nicht verraten werde, dass ich ihn für leicht überschätzt halte, das hört man in Kulturkreisen genauso ungern, wie wenn ich erkläre, dass ich die Witze von Jan Böhmermann öde und die von Lisa Eckhart grandios finde. Ups. Hätte ich das lieber lassen sollen? Neuerdings schweige ich in solchen Runden, weil ich nicht als erwachendes Ungeziefer gelten möchte, mir die Kraft zum Diskutieren ausgeht, es keinen Spaß macht und zunehmend sinnlos erscheint. Vor einigen Wochen nannte eine Frau Friedrich Merz einen Populisten, weil er das Bürgergeld wieder abschaffen will, was ja gar nicht geht, da er nicht an der Regierung ist. Om!
Die Welt geht vor die Hunde
Noch vor ein, zwei Jahren hätte ich leidenschaftlich widersprochen und irgendetwas über die Rolle der Opposition zum Besten gegeben. Nun schweige ich vor mich hin, lenke das Thema wieder auf Monteverdi und sehne mich nach meiner Wohnung. Wozu noch reden, dafür gab es Anne Will und gibt es nun Carmen Miosga. Im Grunde ist ja auch alles gesagt. Für jene, die auf dem Mars leben, fasse ich die Lage kurz zusammen: Alles geht den Bach runter, die Ampel ist an allem schuld (außer am Klimawandel), Merz ein Rechtspopulist, die Demokratie auf der Kippe, die Stärke der Alternative für Durchgeknallte ein Elend, kommt aber nicht von ungefähr, weil sehr viele Leute dem irren Versprechen glauben, dass Deutschland wieder "normal" wird, weshalb schon mal in hochgradig geheimen Sitzungen besprochen wird, wie man Ausländer und Migranten möglichst massenhaft loswerden kann.
Ich lese, dass das alles nicht so gemeint und jeder der Anwesenden ganz privat auf der kleinen Wannsee-Konferenz war, niemand von millionenfacher Deportation gesprochen und der Herr Kanzler doch im "Spiegel" gesagt hat: "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben." Es macht müde, noch empört zu sein. Es macht müde, erklären zu müssen, wo der Unterschied zwischen der kleinen Wannsee-Konferenz und dem liegt, was der Herr Kanzler meinte. Es macht müde, die Hilflosigkeit einer Nation zu erleben, die sich nicht vertraut und es sich nicht zutraut, einen Orbán zu verhindern. Es macht müde zu wissen, dass Muslime wie immer weiterhin schweigend Döner verkaufen und denen, die nicht außer Landes geschafft werden sollen, den Protest überlassen. Es macht müde, die Parteien bei der Klärung scheitern zu sehen, wie der AfD beizukommen ist.
Mehr Volksnähe. Oder, wie es Ricarda Lang neulich bei Markus Lanz sagte, sich aufmachen und - im Jahre 2024!!! - damit beginnen, den Wählenden der Alternative für Durchgeknallte "ein eigenes emotionales Angebot entgegenzusetzen: 'Du bist gut, weil du gebraucht wirst. Du bist gut, weil du was bewegen kannst'." Demokraten sollten ein "eigenes Angebot für Sicherheit" machen und allen Unzufriedenen, Landwirtschaft-Betreibenden, anderen Protestierenden, Frauen*, Männern* und Non-binären* ein "Zugehörigkeitsgefühl" geben, das Signal: "Wir kriegen das zusammen hin."
Was bleibt, ist die Kunst
Da darf man gespannt sein, wie das eine Partei hinkriegen will, die, um ihre eigene Klientel zu beglücken, in unsicheren Zeiten hoher Energiepreise die Atomkraftwerke abschalten ließ (Psychologie!) und auf das Gendern besteht, obwohl in sämtlichen Umfragen eine Mehrheit dagegen ist. Es sind doch die Grünen, die vom hohen Ross der Moral auf die Bauerntölpel schauten, die es wagten, "konventionell" zu produzieren, damit Bürgergeld-Empfangenden das "Zugehörigkeitsgefühl" nicht total abhandenkommt. Man bringt Bronzen zurück nach Afrika, um koloniale Schande zu tilgen, aber Frau Lang kann bei Lanz nicht sagen, wie hoch die Durchschnittsrente in Deutschland ist.
"Durchschnittsrente kenne ich tatsächlich nicht." Irgendeine Vorstellung? "Nee, tatsächlich keine konkrete." Bitte mal schätzen? "Ich würde davon ausgehen, dass wir um die 2000 Euro liegen." Laut Lanz liegt sie bei 1543 Euro. Und wieder ein Prozentpunkt mehr für die AfD. Na klar, Politiker können sich nicht mit allem im Detail auskennen. Om! Doch was bewiese mehr Abstand zum Durchschnittsbürger als Wissenslücken bei der Durchschnittsrente. Fridays for Future besteht nun mal nicht aus Rentnern. Die Welt retten, Heizungen für ein Heidengeld austauschen lassen und nebenbei Konzepte entwickeln, der AfD den Garaus zu machen, aber keine Ahnung davon, wovon der gemeine Rentner lebt. Das ist abgehoben. Und Sie ahnen nun vielleicht, warum ich mich eingereiht habe in das Heer der Verdrossenen.
Was bleibt, ist die Kunst und die Freude daran. Einer meiner Standardsätze 2024 wird sein: Das Kafka-Jahr passt zur Zeitenwende, denn in der Verwandlung geht es ja auch um krasse Veränderung, ein Mann wird zum hässlichen Ungeziefer, ohne dass wir wissen - und er es vielleicht selbst nicht -, wieso, weshalb, warum. Natürlich werde ich von existenzieller Enge sprechen, die zu körperlichen Zerrbildern führt, wie wir sie - ich jedenfalls - auch von den Bildern von Egon Schiele kennen. Ich hoffe, das überfordert Sie nicht. Ich hämmere das gerade ziemlich tief in der Nacht in meinen Laptop, damit ich nicht ins Bett muss aus Sorge, morgen als Ungeziefer aufzuwachen. Keine Bange, das bin ich gewohnt, genauso wie den Kampf gegen die Fragwürdigkeit des Daseins im Allgemeinen und im Speziellen. Om!
Quelle: ntv.de