Letzte Generation angeklagt "Die Staatsanwaltschaft hat nicht einmal mit mir gesprochen"
25.03.2025, 06:14 Uhr Artikel anhören
Christian Bläul gilt als einer der bekanntesten Klimaaktivisten von Letzter Generation und Extinction Rebellion.
(Foto: IMAGO/Sylvio Dittrich)
Vor kurzem erhalten mehrere Klimaaktivisten einen dicken Briefumschlag per Post. Im Gespräch mit ntv.de beschwert sich jetzt einer von ihnen über die von der Staatsanwaltschaft erhobene Klage. Christian Bläul bemängelt das Vorgehen der Ermittler, das auf 30.000 Seiten dokumentiert wird.
Fünf Mitglieder der Letzten Generation sollen sich in München vor dem Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ein. Einer der Beschuldigten kann sich nicht erklären, wie die Angeklagten ausgewählt wurden, und kritisiert die Ermittlungsarbeit der bayerischen Justiz. "Wir haben keine Ahnung, warum wir fünf ausgewählt wurden", sagt Christian Bläul, der hauptsächlich in Sachsens Hauptstadt Dresden aktiv ist und mehrmals vor Gericht stand, im Gespräch mit ntv.de. "In der Akte steht nichts dazu, warum wir verfolgt werden."
Bläul erklärt, dass es neben diesem Verfahren zwei weitere gibt. "In Flensburg wurde eine Person angeklagt, wo wir uns schon fragen, wie eine einzelne Person eine kriminelle Vereinigung sein kann; in Neuruppin geht die Staatsanwaltschaft ebenfalls gegen fünf Leute vor." Ihm und seinen Mitstreitern ist unklar, ob es jetzt formaljuristisch mehrere Vereinigungen geben soll, die alle denselben Namen haben - "das macht gar keinen Sinn" - oder ob alle Angeklagten zur selben Letzten Generation gehören.

Bläul (vorn) blockierte mehrmals Straßen in verschiedenen Städten und Ländern.
(Foto: Max Patzig/ntv.de)
Der Dresdner sagt, dass er Straßen blockierte, Flyer verteilte und sich an Ölpipelines klebte. "Ein Betreiber erklärte uns, dass das Öl darin in Schrittgeschwindigkeit fließt und wenn die Anlage mal fünf Stunden stillsteht, sei das kein Problem", so Bläul. Auch wenn das Festkleben an ein Metallrohr keine gefährliche Protestform sei, ist für die Staatsanwaltschaft gerade solch eine Ölpipeline-"Blockade" nahe München einer der Aufhänger für das komplexe Verfahren.
Technik beschlagnahmt, Handys überwacht
"In den Akten habe ich gesehen, dass ein Richter erlaubte, dass Ermittler die Handys meiner Kinder überwachen konnten", sagt der 43-Jährige. Zudem sollen Ermittler das Parfum von Bläuls Frau dokumentiert haben. "Die Staatsanwaltschaft hat eines frühen Morgens die Terrorismusabwehr zu mir nach Hause geschickt und meinen Laptop eingezogen", erinnert sich der Aktivist weiter. Er moniert, dass die Aufklärung der Fälle eigentlich ganz leicht sei: "Wir filmen alles, stellen das live ins Internet. Wir geben auch unsere Personalien bereitwillig bekannt, wenn die Polizei diese erbittet. Es ist sinnlos nach Hause zu kommen und Technik mitzunehmen, da findet man nicht mehr." Was der Physiker zudem bemängelt: "Die Staatsanwaltschaft hat nicht einmal mit mir gesprochen."
Die Akte zum Verfahren soll insgesamt 30.000 Seiten umfassen. "Ich habe sie gesehen und war wie erschlagen." Deutlich weniger zu lesen gab es nun in der 149-seitigen Anklageschrift. Dass die eines Tages kommt, ahnte Bläul. "Mir war klar, dass die Staatsanwaltschaft noch ermittelt und bis ins letzte Jahr sehr aktiv in der Sache war. Jetzt geht dieses Verfahren los. Es ist eine einzige Absurdität."
Öffentliche Ordnung angegriffen?
Dass generell gegen die Aktivisten wegen ihrer Aktionen ermittelt wird, versteht der Dresdner. "Es ist natürlich möglich, die einzelnen Proteste zu prüfen, ob sie rechtens waren." Jedoch: "Der Staatsanwaltschaft in München geht es nicht um die einzelnen Aktionen. Es wird gegen uns alle pauschal ermittelt, ob wir die öffentliche Ordnung angegriffen haben. Die Stärke der Störung war aber nicht groß genug, um das zu rechtfertigen."
Er fürchtet, jetzt eine Zweitwohnung in München nehmen zu müssen, wenn es zum Prozess mit etlichen Verhandlungstagen kommt. "Ich kann nicht jede Woche zwei Nächte ins Hotel gehen oder Freunde um Hilfe fragen." Bläul sagt, dass er seit 2016 "am Thema Klima dran" ist, seit 2019 in der Gruppe organisiert. Den Großteil der jetzt Angeklagten kennt er persönlich. Teilweise gab es gemeinsame Proteste. Allerdings beteiligte sich Bläul nie in der bayerischen Hauptstadt an Demonstrationen.
Der Aktivist, der seinen Job für den Klimaprotest kündigte, musste sich bereits mehrmals vor Gericht verantworten - etwa in Berlin, Bergheim bei Köln und Dresden. 2022 saß Bläul 16 Tage in Schweden in Einzelhaft. Damals wartete er auf das Urteil für eine Straßenblockade. Länger musste kein Mitglied der Letzten Generation bis dahin in Gefangenschaft verbringen, erklärte Letzte-Generation-Sprecherin Carla Hinrichs damals. Auch sie wird jetzt von der Staatsanwaltschaft München angeklagt.
Die Organisation, die mittlerweile unter anderem Namen aktiv ist, sieht in dem Vorgang der Ermittlungsbehörde einen "Angriff auf zivilgesellschaftliches Engagement als einen Eckpfeiler der Demokratie". Die Aktivisten kündigen an: Proteste soll es weiterhin geben.
Quelle: ntv.de