Panorama

Debatte um koloniale Denkmäler "Es gelingt selten, Erinnerungen zu löschen"

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Besonders in den USA werden Statuen bereits, aus Angst vor der Enthauptung, mit Betonbarrieren geschützt.

(Foto: picture alliance/dpa)

Im Zuge der weltweiten Demonstrationen gegen Rassismus versenken Demonstranten die Statue eines Sklavenhändlers im Hafenbecken von Bristol. Dirk van Laak beschäftigt sich an der Universität Leipzig mit der Geschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts und wünscht sich einen anderen Umgang mit den Denkmälern aus der Kolonialzeit.

ntv: Zurzeit gibt es eine angeregte Diskussion darüber, wie man mit Denkmälern aus der Kolonialzeit umgehen sollte. Wie sehen Sie diese Debatte?

Dirk van Laak: Wir Historiker freuen uns immer über Debatten über die Geschichte, das ist klar und das ist ja auch ein ganz wichtiger Aspekt der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. In der Regel sind wir aber nicht dafür, solche Denkmäler abzureißen. Denn was weg ist, darüber kann man nicht mehr reden, das ist nicht mehr präsent. Es kann Sinn ergeben, Denkmäler abzureißen, wenn man an Saddam Hussein oder an andere Potentaten denkt, deren Zeit einfach vorbei ist. Aber wir haben es ja hier mit historischen Denkmälern zu tun und da sind wir in der Regel reservierter, was das Abmontieren anbelangt. Darüber sollte man in Ruhe reden.

Warum?

Unsere Vorstellung ist eher, dass man diese Denkmäler kommentiert und dass man die gesamte Gesellschaft beteiligt. Auch um sich dem Rassismus und den problematischen Seiten zu stellen.

Bei welcher Art von Denkmal würden Sie denn sagen, dass der Bau abgerissen werden kann und wo würden Sie eher das Gegenteil empfehlen?

Es gibt Denkmäler von Politikern, die noch leben, die ihre Herrschaft durch den Bau von Denkmälern manifestieren. Da ergibt es Sinn, diese nach dem Fall der Herrschaft auch abzumontieren. Allgemein aber sprechen wir ja hier über historische Denkmäler in meist offenen Gesellschaften, die manchmal nach jahrzehntelangen Prozessen und Diskussionen errichtet wurden. Diese mögen nicht mehr in unsere Zeit passen, aber deshalb muss auch über eine mögliche Demontage diskutiert werden. Auch viele Straßenbenennungen sind nicht mehr zeitgemäß. Für die Debatte um eine mögliche Neubenennung muss man sich aber eine gewisse Zeit nehmen, sorgfältig abwägen und auch die verschiedenen Parteien hören. Es zieht sich in jedem Fall lange hin und Debatte durch Aktion abzukürzen, kann nicht das richtige sein

Welche Alternativen zur öffentlichen Erinnerung an eine Person gibt es denn?

Es sind mehrere Varianten denkbar: Die Denkmäler könnten als Teil einer Stadt-, Lokal- oder Landesgeschichte ins Museum gestellt werden. Es kann auch ein Denkmalfriedhof errichtet werden. In den 90er Jahren ist das mit den sozialistischen Denkmälern der sowjetischen Zeit in Moskau passiert. Das interessanteste ist vielleicht, diese Denkmäler stärker zu kommentieren oder sie künstlerisch zu brechen. Damit werden sie in ein neues Licht gesetzt und Diskussionen angeregt, denn sie sind auf jeden Fall Teil einer Gesellschaftsgeschichte und insofern auch wert, als man sich mit ihnen auseinandersetzt. Das muss ja nicht dazu führen, dass alles im öffentlichen Raum stehen bleibt. Es kann natürlich auch ausgetauscht werden, aber die Denkmäler in den nächsten Fluss zu werfen, scheint mir die schlechteste Alternative zu sein.

Die Szene, die sie ansprechen, ereignete sich in Großbritannien. Auch in anderen Ländern gibt es Denkmäler aus der Kolonialzeit. Zum Beispiel in Belgien von König Leopold II. Es werden immer wieder Stimmen laut, dass diese entfernt werden sollen. Wie ordnen sie solche Forderungen ein?

Es sind in Deutschland schon viele Statuen und Denkmäler fortgeräumt worden. Nach 1990 natürlich unendlich viele Marx- und Engels- und Lenin-Statuen. Das ist es vielleicht auch nicht schade drum, weil es noch genügend davon gibt. Sie sind ja nicht aus der Erinnerung verschwunden. Überhaupt gelingt es selten, Erinnerungen aus der öffentlichen Erinnerung zu löschen. Leopold II. in Belgien ist sicherlich ein besonderer Fall, weil man diese Diskussion seit Jahrzehnten hätte führen müssen. Leopold ist für den Tod von schätzungsweise 10 Millionen Kongolesen mit verantwortlich, das weiß man seit langem. Warum die Belgier erst jetzt anfangen darüber nachzudenken, darüber zu debattieren, wundert mich. In Deutschland hat es vergleichsweise wenige Kolonialdenkmäler gegeben, es gab sie aber auch: In Bremen, in Hamburg, in Berlin und viele davon sind inzwischen kommentiert. Manche jedoch sind immer noch unkommentiert und Pilgerstätten für Rechtsextremisten geworden. Das sollte man natürlich nicht dulden.

Wie ist denn die Lage bei fragwürdigen Straßennamen? Ist die Neubenennung da einfacher?

Das ist gar nicht so leicht zu sagen, weil in Straßennamen unterschiedliche Dinge eine Rolle spielen: Einmal die Tradition, zweitens die Frage, wie lange heißt die Straße schon so und drittens haben sich Anwohner und die übrigen Bewohner daran gewöhnt. Straßennamen können also häufig nicht leichtfertig geändert werden. Es gibt viel Widerstand, auch dann, wenn klar ist, dass die erinnerte Person problematisch ist. Man kann sich da aber auch durch eine Kommentierung behelfen. Manchmal ist das aber auch nicht genug und dann muss der Straßenname geändert werden.

Wie verfolgen Sie als Historiker denn zurzeit die weltweiten Massenproteste?

Ich habe mich als Historiker auch mit der Kolonialgeschichte beschäftigt, mit der Geschichte Afrikas und insofern freut mich die Diskussion. Sie ist in vielem längst überfällig gewesen, auch das über Rassismus debattiert wird. Es erstaunt mich ein bisschen, dass jetzt ein einzelner Fall in den USA, es gab derer ja dutzende, jetzt weltweit so ausschlägt. Es ist eine interessante, spannende und im Ergebnis offene Diskussion und ich habe das Gefühl, das es dadurch tatsächlich zu einer kulturellen Veränderung kommen wird und das es für solche Fragen eine neue Sensibilisierung gibt.

Quelle: ntv.de

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