Essen und Trinken

Oetker geht essen Der Hummer ist der Hammer

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Der Hummer ist nicht umsonst gestorben.

Der Hummer ist nicht umsonst gestorben.

(Foto: Lucas Muller - Lukam)

Fachwerkhäuser, lauschige Städtchen, Weinberge allüberall - das Elsass ist ein Kleinod im Osten Frankreichs. Auch kulinarisch ist die Grenzregion aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht - bei alten Legenden und neuen Sterneköchen werden Gourmetträume erfüllt.

Irgendwie sieht es auf Fotos immer so aus, als würde das Flüsschen Ill ganz gemächlich in seinem Bett dahinziehen. Aber wenn man dann mal in echt auf der Terrasse der Auberge de l'Ill sitzt, dann wird klar: Der Bach fließt ziemlich schnell und es gäbe wohl keine bessere Metapher an dieser Stelle - denn auch in dem wunderbaren alten Fachwerkhaus am Ufer geht so gar nichts gemächlich zu. Aus dem Speisesaal fließt der Fluss, davor steht die ausladende Trauerweide und innen kocht die riesige Brigade mit den weißen Kochmützen.

Marc Haeberlin hat die Lust am Kochen nicht verloren, nur einen Stern.

Marc Haeberlin hat die Lust am Kochen nicht verloren, nur einen Stern.

(Foto: imago stock&people)

Es ist Frühling im Elsass - zugleich Jahr fünf, seit Marc Haeberlin seinen dritten Stern verloren hat. Er erinnert sich noch genau daran, wie das Küchentelefon klingelte - am anderen Ende war Gwendal Poullenec, der neue Chef des Guide Michelin.

"Nach dem Anruf habe ich mein Team informiert. Alle haben geweint. Der Sommelier saß in der Ecke am Boden und hielt den Kopf in den Händen. Es war furchtbar, es war brutal", erinnert sich Marc Haeberlin. Ein Commis, der vor Jahren bei ihm gelernt hatte, sagte ironisch: "Ich hab' noch nie in einem Zwei-Sterne-Lokal gearbeitet." Doch heute scheint es, als sei er gar nicht mehr so unglücklich darüber. Schließlich reden nur wenige von all den Restos, die die drei Sterne behalten - bis heute aber ist der Verlust des dritten Macaron in der Auberge ein Thema - und das bringt Kundschaft.

"Ich sage das ohne Stolz oder Arroganz: Aber seitdem werde ich regelmäßig auf der Straße erkannt. Vor ein paar Tagen sagte eine Kassiererin im Supermarkt: 'Wir stehen hinter Ihnen, Monsieur Haeberlin, Sie holen den Stern zurück.' Da fühlte ich mich wie ein Spitzensportler."

Und dann erzählt er, wie ihn Marc Veyrat, der im selben Jahr den Stern verlor, anrief und lachend sagte: "Na, es ist wie beim Abstieg aus der 1. Liga. Jetzt spielen wir in der Zweiten, aber das Stadion ist jeden Abend voll."

Große Küchenoper an vollen Tischen

Bei meinem Besuch vor einigen Tagen kann ich bestätigen: Ja, stimmt. Jeder Tisch war besetzt und es gibt viele in den drei großen Sälen, in denen von Mittwoch bis Sonntag ein besonderes Stück aufgeführt wird: Die große Bühne der Haute Cuisine, wie sie vor fünfzig Jahren schon existierte, die ganz große Küchenoper - Kalorienbomben inklusive. Das Publikum ist gediegen, kultiviert und wohlhabend, es wird viel gelacht und geplaudert, der Besuch dieser Küchenlegende ist bis heute ein Erlebnis.

Die Abwertung war so etwas wie kostenlose Werbung für das Restaurant und sein benachbartes Hotel des Berges mit wunderschönem Spa nahe Colmar. Haeberlins Zukunft jedenfalls scheint gesichert. Und doch fragt er sich Tag für Tag, ob die gehobene Gastronomie gerade den richtigen Weg einschlägt. "Sehen Sie, all die Teller, die gerade prämiert werden, die sehen sehr schön aus - aber schmecken sie auch?" Die Frage bleibt in der Luft hängen.

"Ich höre die ganze Zeit: Regional und nachhaltig, aber ich kann doch nicht alles in meinem eigenen Garten ernten, dann gäbe es hier nur Rote Bete und Kürbis. Meine Gäste wollen nicht nur regionale Lachsforelle - die wollen auch einen Steinbutt und einen Hummer - und den bekommen sie." Zudem gibt es, anders als im heutigen Fine-Dining üblich, nicht nur ein festes Menü, sondern alle Gerichte sind auch à la carte bestellbar. "Ich bin Koch und kein Diktator", sagt Marc Haeberlin lachend.

Brust oder Keule? Oder lieber beides?

Ein kulinarischer Meister ist er bis heute. Schon die Vorspeisen beeindrucken: Ein Wolfsbarsch-Tatar mit Ossietra-Kaviar und einer Bisque von Seespinnen gelingt sahnig, frisch und aromenstark. Die Rotbarbe gelingt vielen nicht, hier ist sie perfekt und anmutig. Haeberlin reichen dazu grob geschnittene Gurken und Tomaten, das ist nicht dekoriert, sondern ergibt geschmacklich Sinn - der Gast fühlt sich wie am Mittelmeer.

Die Gäste kommen, auch wenn die Auberge nur noch zwei Sterne hat. Oder kommen sie gerade deswegen?

Die Gäste kommen, auch wenn die Auberge nur noch zwei Sterne hat. Oder kommen sie gerade deswegen?

(Foto: imago stock&people)

Die Hauptspeisen sind fülliger, traditioneller: Wie die Tournedos von der Taube, gespickt mit Kohl, Trüffel und Gänseleber. Die Soßen kann der Meister meisterlich - wie sollte es anders sein? Das Bressehuhn wird in zwei Gängen serviert, erst die Brust, am Tisch tranchiert, dann die gegrillten Keulen - und wieder ist die Jus eine Offenbarung von Kraft und Tiefe.

Es ist alte französische Hochkultur, genau wie der silbern-gläserne Käsewagen mit einer Opulenz, die heute leider selten geworden ist - niemals darf Haeberlin ihn abschaffen. Genau wie den pochierten Pfirsich, der nach seinem Vater benannt ist - ein Hochgenuss mit reichlich Zabaglione-Kalorien.

Ob er mit dieser wuchtigen Küche den dritten Stern zurückgewinnen kann, ist fraglich - zu weit haben sich der Guide Michelin und seine Philosophie von den großen Gourmettempeln entfernt und setzen auf kleine, intime Räume und durchdekorierte Menüs. Für Fans der buttrigen Haute Cuisine ist ein Besuch hier jedoch immer noch ein Traum.

Das Elsass kann was am Glas

In Colmar ist die Kulisse beim Essen schon ein Genuss.

In Colmar ist die Kulisse beim Essen schon ein Genuss.

(Foto: picture alliance / imageBROKER)

Ja, das Elsass hat sich aufgemacht, nicht nur in der Küche, auch am Weinberg. Was hat sich der Wein in der Region verändert, nach all den quälenden Jahren, in denen die hiesigen Gewächse um Bedeutung rangen, aber allzu oft eher Masse als Klasse waren. Doch die jungen, weit gereisten Winzer scheinen die Vorteile ihres Terroirs nun zu nutzen, weil sie die Fehler der Großväter unterlassen, keinen Zucker mehr zusetzen und lesen, wenn die Trauben wirklich reif sind und nicht, wenn es der Kalender sagt: Jeder hiesige Crémant auf dieser Reise stand gutem Champagner sowohl in Sachen Perlage als auch Frische und Tiefe in nichts nach. Und die Rieslinge? Weltklasse. Ob der gemischte Satz eines Marcel Deiss oder die mineralischen Grand Crus der Domaine Agapé - das Elsass schmeckt auch im Glas.

So sind die Weinkarten gottlob Elsass-lastig, auch bei Jean-Yves Schillinger, der im Epizentrum des touristischen Wahnsinns seinen Gourmettempel führt, in Colmar nämlich. Doch Schillinger setzt nicht auf hiesige Produkte, der Sternekoch ist rumgekommen und hat die Aromen seines Lebens mitgebracht in dieses lauschige Fachwerkstädtchen.

Was für eine Lebensgeschichte dieser Mann hat: Sein Vater, der berühmte Koch Jean, der im Feuer seines eigenen Restaurants umkam, als es Jungs aus Colmar in Brand setzten. Der Sohn, der daraufhin nach New York floh und sich jenseits aller heimatlichen Aufmerksamkeit ins Herz des Big Apple kochte, im berühmten Eleven Madison Park. Um dann in ebenjenes Colmar zurückzukehren - erst ins Bord'Eau, zuletzt ins neue JY's, nach seinen Initialen.

So wird Hummer ganz neu interpretiert.

So wird Hummer ganz neu interpretiert.

(Foto: Lucas Muller)

Seine Frau Kathia führt die Regie in dem gläsernen Saal, der so modern ist wie Schillingers Kreationen. Asien spielt eine wichtige Rolle, Butter und Sahne hat der Koch längst durch Kokosmilch ersetzt. Herausragend sind seine vielfältigen Kreationen wie beim Thunfisch, den er als Tatar, als hauchzart gegrilltes Tataki und den fettigen Bauch des Fischs fast roh serviert, mariniert in Wasabi und Erdnussöl, obenauf kommen Späne von Foie Gras - eine Wucht.

Sein Signatur-Gericht: Der beste Hummer, den ich je gegessen habe. Die Patronne bringt eine Presskaffeekanne an den Tisch, mit der normale Menschen Kaffee machen. Hier aber ist unten der Sud der Hummerkarkasse, darüber der ausgelöste Hummer mit Gemüsen: Möhren, Ingwer, Knoblauch, Zitronengras und ungezählte Kräuter. Dann wird der Gaskocher entzündet und der Sud steigt nach oben, gart den Hummer vor den Augen des Gastes im eigenen Saft. Anschließend wird erst die Bouillon serviert, mit Agnolotti vom Hummer, dazu kommt eine phänomenale Frühlingsrolle mit dem Scherenfleisch. Und dann, als zweiter Gang, der mit Blüten umrankte Hummer auf Kräuternudeln - ganz pur, ganz zart und doch so voller Kraft, dass es wirklich sprachlos macht - dieser Hummer ist wirklich nicht umsonst gestorben.

Auch hier finden wir einen Dessertwagen mit den Mignardisen (Anm.d.Red.: für nicht so Frankophile - Kleingebäck könnte man auch sagen) wieder, die Großzügigkeit hat im Elsass Methode, so scheint es. Und die Liebe zum Genuss.

Quelle: ntv.de

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