Sachverständiger sieht VersagenExperte: Polizei hätte Amoktäter Waffe abnehmen müssen
Solveig Bach
Für seinen Amoklauf in Hamburg nutzt Philipp F. eine halbautomatische P30L, die er als Sportschütze offiziell besitzen durfte. Der Waffensachverständige Cachée ist jedoch überzeugt, dass es vor der Tat die Möglichkeit gegeben hätte, F. die Waffe zu entziehen.
Der Amoktäter von Hamburg, Philipp F., hätte vor der Tat seine Waffe verlieren müssen. Zu dieser Einschätzung kommt der Sachverständige für Forensische Ballistik, Philipp Cachée, im Gespräch mit ntv. Die jetzt bekannt gewordenen Details "hätten in der Zusammenschau definitiv ausreichend Gewicht gehabt, hier präventiv die Waffen abzunehmen und dann in Ruhe eine Prüfung durchzuführen", sagte der Experte.
Cachée bezog sich dabei unter anderem auf das Manifest, das F. im Dezember auf seiner Internetseite veröffentlicht hatte, und ein anonymes Hinweisschreiben. Dieses war im Januar bei der Hamburger Polizei eingegangen. Darin beschrieb ein anonymer Hinweisgeber seine Sorge, dass sich bei F. eine Bedrohungslage entwickelt und bat darum, den Waffenbesitz des Mannes zu überprüfen.
Gemutmaßt wurde in dem anonymen Schreiben, dass F. eine psychische Krankheit entwickelt haben könnte. Diese sei aber nicht diagnostiziert, weil der spätere Täter nicht in eine ärztliche Behandlung einwillige. Die Rede war zudem von einer besonderen Wut auf religiöse Anhänger der Zeugen Jehovas und auf den ehemaligen Arbeitgeber des Mannes.
Die Polizei hatte F. daraufhin in seiner Wohnung in Hamburg-Altona unangemeldet kontrolliert. Dabei gab es den Ermittlern zufolge keine "relevanten Beanstandungen". Philipp F. war Sportschütze und hatte seit dem 6. Dezember 2022 eine waffenrechtliche Erlaubnis. Seit dem 12. Dezember besaß er eine halbautomatische Waffe der Marke Heckler & Koch, Modell P30L, Kaliber 9 mm Luger. Die Waffe befand sich zum Zeitpunkt der Kontrolle im Tresor, ebenso wie die Munition. Lediglich ein Projektil habe auf dem Tresor gestanden, dafür wurde F. verwarnt, entschuldigte sich und schloss das Projektil weg.
Fehleinschätzung der Beamten
Trotz dieses Ablaufs hätte es Cachée zufolge die Möglichkeit gegeben, die Waffe präventiv einzuziehen. "Das Waffengesetz bietet dazu alle Möglichkeiten. Es obliegt allerdings dann dem Beamten, der es wiederum vollstreckt und wie er die Erkenntnisse bewertet." Aus Sicht des Experten hätte geprüft werden müssen, wann F. sein Manifest veröffentlicht hat und ob es darin verfassungsrechtlich bedenkliche Aussagen gibt. Cachée mutmaßt, dass F. sogar die waffenrechtliche Erlaubnis möglicherweise gar nicht hätte erteilt werden dürfen. Möglicherweise sei es am Ende an einem einzelnen Sachbearbeiter hängen geblieben, "der dann diese schwere Entscheidung treffen musste, ob sie hier ein Entzugsverfahren einleiten oder nicht".
Auch die Tatsache, dass F. über sehr große Mengen an Munition verfügte, sei prinzipiell vom Waffenrecht gedeckt. Wie viel Munition ein Schütze kaufen kann, sei im deutschen Waffenrecht nicht reglementiert. "Es ist lediglich reglementiert, dass er nur diese Munition kaufen darf, die er auch gemäß seiner Munitionserwerbserlaubnis erwerben darf." Die Anzahl der Magazine falle leider nicht unter die Reglementierungen des Waffengesetzes. "Die kann sich jeder im Internet frei bestellen", so Cachée. Allerdings müsse man jetzt prüfen, wo die 30 Magazine herstammen und ob sie eventuell auf einmal bestellt worden sind. Der entsprechende Verkäufer hätte in diesem Fall "besser zum Telefonhörer gegriffen".
Forderungen, dass das Waffengesetz verschärft werden muss, erteilte der Sachverständige aus Potsdam eine Absage. "Das ist meist ja nur Aktionismus, der nach irgendeinem Schusswaffengebrauch oder Missbrauch eben wieder thematisiert wird." Er kenne viele Schützen, die noch nie kontrolliert worden seien. Da müsse man sich fragen, wie das sein könne. "Wo sind die Polizeikräfte, die unangekündigt, nicht mit Terminabsprachen, an der Wohnungstür klopfen und eine Aufbewahrungskontrolle durchführen?"