Gletscherschutt blockiert Fluss Frisch gebildeter See dürfte binnen Stunden überlaufen
29.05.2025, 20:58 Uhr Artikel anhören
Experten erwarten, dass der See, der sich infolge des Gletscherabbruchs gebildet hat, überlaufen wird.
(Foto: dpa)
Im Schweizer Lötschental droht nach dem Gletscherabgang erneut Gefahr: Durch das herabgestürzte Eis und Gestein staut sich das Wasser eines Flusses zu einem See auf. Der Schuttkegel dürfte die Wassermassen nicht mehr lange halten können. Wie schlimm die Folgen sein werden, ist noch nicht abzusehen.
Nach dem Gletscherabbruch in der Schweiz spitzt sich die Lage hinter der riesigen entstandenen Geröllhalde zu: Das Flussbett der Lonza ist blockiert. Deshalb bildet sich dort ein See, dessen Pegelstand zeitweise drei Meter in der Stunde stieg. Das habe sich zwar verlangsamt, berichteten die Behörden im Lötschental am Abend. Der See breite sich nun in der Fläche aus. Sie rechnen aber damit, dass die immensen Wassermassen den See in den frühen Morgenstunden zum Überlaufen bringen.
"Ziel ist es, diesen Prozess möglichst gut zu antizipieren und die Sicherheit der Bevölkerung weiter unten sicherzustellen", sagte Christian Studer von der Dienststelle Naturgefahren bei einer Pressekonferenz in Ferden im Lötschental. Was genau passieren könnte, versuchen Spezialistinnen und Spezialisten nun rund um die Uhr mit Erfahrung und Computermodellen vorauszusagen." An diesem Donnerstag waren nach Angaben des Zivilschutzes bereits 16 Menschen aus Wiler und Kippel evakuiert worden, zwei von Blatten aus flussabwärts im Lötschental gelegenen Ortschaften.
Flutwelle oder Gerölllawine möglich
Dass eine riesige Flutwelle das Tal hinunter donnert, sei zwar nicht wahrscheinlich, aber auch nicht auszuschließen, sagte Staatsrat Stéphane Ganzer, Mitglied der Walliser Kantonsregierung. Der Druck durch das nachfließende Wasser der Lonza sei da, insofern könnten sich die Wassermassen auch plötzlich einen Canyon durch den Schuttberg brechen. Zudem werde am Freitag oben im Tal mit 20 Grad Temperatur gerechnet. Dann schmelze der Schnee, was die Wassermengen noch erhöhe.

Das Satellitenbild verdeutlicht die Lage: Ein Fluss wurde durch den Schutt blockiert, das Wasser staut sich.
(Foto: dpa)
Nach Angaben von Studer ist aber ein Szenario wahrscheinlicher mit einem langsameren Abfluss, "dass der See sich schrittweise entleert, dass das in geordnetem Rahmen abläuft". Gut sei, dass das Gefälle am Schuttkegel eher flach ist, sagte Studer. Möglich sei auch, dass das Wasser das abgelagerte Material verflüssigt und mit ins Tal reißt. Aber auch dabei sei zu erwarten, "dass nicht allzu viel Geschiebematerial auf einmal abgeht." Im Ort Ferden weiter unten im Tal gibt es ein Staubecken und eine Staumauer. Experten gingen davon aus, dass dort sämtliches Material aufgehalten werde.
Weitere Felsstürze drohen
Die Lage am Berg ist nach wie vor gefährlich. Zum einen drohen am Berg Kleines Nesthorn weitere Hunderttausende Kubikmeter Fels abzustürzen. Von dort waren Felsbrocken auf den Birschgletscher gestürzt, der unter der Last am Mittwochnachmittag abbrach und ins Tal donnerte. Von den gigantischen Mengen Geröll wurde ein Teil auf der gegenüberliegenden Talseite hochgeschoben. Dort drohen nun Gerölllawinen. Wie stabil der eigentliche Schuttpegel ist, weiß auch niemand. Weil darin Eis ist, könnten sich Wassertaschen bilden. Räumtrupps der Armee stehen zwar bereit, aber das Gebiet zu betreten sei noch zu gefährlich, so die Behörden.
Unterdessen wurden in Blatten selbst nach Behördenangaben die vom Gletscherabgang verschonten Häuser durch das aufgestaute Wasser der Lonza zerstört. "Das Wasser überflutet nun die Häuser, die vom Großereignis zunächst verschont geblieben sind", sagte der Gemeindepräsident der im Lötschental gelegenen Kommune Ferden.
Auf Drohnenbildern ist außerdem zu sehen, dass ein Großteil des Dorfes Blatten unter einer meterhohen Schuttschicht liegt. Die rund 300 Einwohner waren vergangene Woche in Sicherheit gebracht worden. Ein Einheimischer, der sich am Mittwoch im Katastrophengebiet aufhielt, wird vermisst. Blatten ist das letzte Dorf im 27 Kilometer langen Lötschental. Es liegt auf rund 1.500 Metern. Betroffen ist auch der Weiler Ried nur einen Kilometer vor Blatten.
Alpen-Gletscher tauen immer schneller
Die infolge des Klimawandels steigenden Temperaturen lassen seit Jahrzehnten die Gletscher in den Alpen schrumpfen und machen sie weniger stabil. Allein in den Jahren 2022 und 2023 verloren Schweizer Gletscher 10 Prozent ihrer Masse - so viel wie zwischen 1960 und 1990.
Jan Beutel, Professor der Universität Innsbruck, untersucht seit Jahren den Zustand von Felsen und Permafrost sowie Klimaeinflüsse. Ihm zufolge ist es schwierig, ein einzelnes Ereignis direkt auf den Klimawandel zurückzuführen. Dennoch: "Die starken Veränderungen, die wir heute im Hochgebirge erleben, sind zum großen Teil die Folge des Klimawandels der vergangenen Jahrzehnte", sagte er laut Mitteilung der Universität Innsbruck.
Im August 2017 war es bereits zu einem massiven Felsbruch im Südschweizer Kanton Graubünden gekommen. 3,1 Millionen Kubikmeter Gestein stürzten vom Berg Piz Cengalo nahe der italienischen Grenze in die Tiefe, acht Wanderer wurden getötet. Hunderttausende Kubikmeter Gestein und Schlamm trafen auf die Ortschaft Bondo und verursachten dort massive Zerstörung. Da Bondo zuvor evakuiert worden war, wurde keiner der Bewohner verletzt.
Quelle: ntv.de, hul/dpa/AFP