"Ansteckungszahlen niedrig" Gesundheitsamt bezweifelt Corona-Strategie
01.10.2020, 19:11 Uhr
Der Leiter des Gesundheitsamtes Frankfurt am Main, Prof. René Gottschalk.
(Foto: imago images/rheinmainfoto)
Während Kanzlerin Merkel die Deutschen auf einen schweren Corona-Winter einstimmt, rät der Leiter des Frankfurter Gesundheitsamtes zum Umdenken. Man sollte nicht nur Virologen hören, sondern auch Pandemie-Fachärzte befragen. Und sich nicht zu sehr auf Ansteckungszahlen fixieren.
Der Leiter des Frankfurter Gesundheitsamts, Prof. René Gottschalk, sieht die politischen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in Deutschland kritisch. In einem Beitrag für das "Hessische Ärzteblatt" (10/2020) listen Gottschalk und seine ehemalige Stellvertreterin Ursel Heudorf ihre bisherigen Erfahrungen auf und formulieren Empfehlungen für die Zukunft. Ihrer Ansicht nach "bedarf es dringend einer breiten öffentlichen Diskussion zu den Zielen und Mitteln der Pandemie-Bekämpfung".
Die Maßnahmen seien "von politisch Verantwortlichen angeordnet, ohne dass die Erfahrungen früherer Pandemien ausreichend berücksichtigt wurden", schreiben Gottschalk und Heudorf. "Ein Problem hierbei war (und ist), dass überwiegend virologische Fachexpertise zur Beratung genutzt wurde, um die Maßnahmen zu beschließen; Fachärzte für Öffentliches Gesundheitswesen, die für solche Situationen eine lange aufwendige Weiterbildung absolvieren müssen, waren nur selten involviert." Das Bundesland Hessen sei eine positive Ausnahme.
Fixierung auf "Ansteckung" zweifelhaft
Von den drei Strategien im Umgang mit der Pandemie - "Containment" (Eindämmung), "Protection" (Schutz für Risikogruppen) und "Mitigation" (Folgenminderung) - werde ausschließlich "Containment" betrieben, "was angesichts der Fallzahlen dringend überdacht werden sollte". Dass die Zahlen vergleichsweise niedrig sind, habe man der schnellen Isolierung von Kranken und der Quarantäne für Kontaktpersonen zu verdanken. "Ob dies bei einer Erkrankung, die zum weitaus größten Teil bei den Patienten leicht oder gar asymptomatisch verläuft, sinnvoll ist, muss bezweifelt werden".
Die Diskussion der Übertragungsmöglichkeit durch Aerosole sei "von der Realität weit entfernt: Wäre dies ein wichtiger Übertragungsweg, hätten wir eine gänzlich andere epidemiologische Ausbreitung." Die Schule sei "kein "Hochrisikoarbeitsplatz"". Das Warten auf den Impfstoff sei "leider in der näheren Zukunft nicht zielführend": Bis alle geimpft seien, werde es Jahre dauern.
Offenbach und Groß-Gerau über Corona-Schwellwert
In Hessen sind binnen eines Tages 144 weitere Corona-Infektionen festgestellt worden. Die Gesamtzahl stieg damit auf 19.089 Fälle, wie aus dem vom hessischen Sozialministerium in Wiesbaden am Nachmittag veröffentlichten Zahlen hervorgeht. Die Zahl der Todesfälle blieb unverändert bei 551. Unter den Städten und Kreisen weist der Kreis Groß-Gerau mit 35,5 die meisten Neuinfektionen in den vergangenen sieben Tagen pro 100.000 Einwohner(Inzidenz) auf. Dahinter folgen die Stadt Offenbach mit 31,4 sowie der Kreis Offenbach (25,8) und die Stadt Frankfurt (25,3).
Das Konzept der hessischen Landesregierung sieht beim Überschreiten der ersten Warnstufe bei einer Inzidenz ab 20 erhöhte Aufmerksamkeit, ein erweitertes Meldewesen und "bedarfsgerecht angepasste Maßnahmen" vor. Über einer Inzidenz von 35 sind weitere Maßnahmen möglich, die mit dem Planungsstab des Ministeriums abgestimmt werden müssen.
Quelle: ntv.de, mau/dpa