Eine für alleGute Reise, weniger Beileid
Eine Kolumne von Sabine Oelmann
Weniger Mitleid, mehr Reise: Die Kultur, anderen nicht mehr den - zugegeben schwer über die Lippen zu bringenden Satz - "Mein aufrichtiges Mitgefühl zum Todes Ihres Verstorbenen" zu bekunden, ist eine Unsitte, findet die Kolumnistin, die heute den Kolumnisten, der eigentlich dran wäre, vertritt, weil er krank ist.
In letzter Zeit fällt mir auf, dass, wenn eine Person stirbt, andere gern "eine gute Reise" wünschen, wenn sie das online kommentieren. Weniger "herzliches Beileid", mehr Freizeit also. Ich verstehe durchaus, was damit gemeint ist. Und es ist auch eine schöne Vorstellung, dass der oder die Tote "reist". In eine andere, für viele vielleicht sogar bessere, glücklichere, schmerzfreie Welt. Als Hinterbliebene so einiger Toter muss ich jedoch sagen, dass ich mich über ein "herzliches Beileid", ein "tief empfundenes" gar oder überhaupt eine Art von aufrichtigem Mitgefühl mehr freue. Allein die Worte "Mitgefühl" oder "Mitleid" drücken ja schon aus, dass jemand anderes "mit" einem ist, wie tröstlich, oder?
Es fällt mir - noch - schwer, den Tod als Reise zu betrachten. Ich bin zu wenig esoterisch wahrscheinlich, zu wenig gläubig, und daran werde ich jetzt arbeiten, habe ich mir vorgenommen. Also an meiner Esoterik und meinem Glauben. Ich war am Totensonntag bereits in meiner Lieblingskirche, ging allerdings total enttäuscht von der Predigt, hab aber wenigstens geheult, als der Name meines Vaters verlesen wurde, der zu den Toten der Gemeinde dieses Jahr gehört und den ich wie doll und verrückt vermisse.
Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!
Das ist ja grundsätzlich eine schwere Zeit jetzt: Es will nicht richtig hell werden, und wenn, dann ist es schweinekalt, es geht auf das hoch emotionalisierte Weihnachtsfest zu und mal abgesehen davon, dass die meisten Frauen in den letzten Tagen damit beschäftigt waren, Kalender für die Kinder zu basteln und einen kreativen Weihnachtskranz auf den Esstisch zu zimmern ("Nein, Mami, bitte nichts Gekauftes!"), will das Jahr beendet - im Job - und das Menü für den 24. vorbereitet werden. DA DARF MAN JA WOHL ETWAS DÜNNHÄUTIG SEIN!! Die drei Väter, die sich in den letzten Sätzen nicht von mir gesehen fühlen, weil sie auch Kränze basteln, Geschirr anmalen, Kekse backen und so weiter, dürfen mir gern schreiben, ich verspreche Ihnen, Sie nicht namentlich in der nächsten Kolumne vorzuführen.
Abgesehen davon brodeln alle Krisenherde dieser Welt weiter vor sich hin, auch wenn der eine oder andere Präsident (Hinweis: Er macht nach großen Ansagen, wie die meisten Männer, gern ein Nickerchen, allerdings vor laufenden Kameras) das Gegenteil behauptet. Und was macht eigentlich Gaza?
Und sind Spanien, Niederlande, Irland und Slowenien allesamt eigentlich mit dem Klammerbeutel gepudert, den ESC boykottieren zu wollen, weil Israel da jetzt mitmachen darf? Geht's noch? Sind die total ballaballa? Könnten sich Spanien, Niederlande, Irland und Slowenien mal um echte Probleme kümmern und nicht um einen Gesangswettbewerb, der, zugegeben, in den letzten Jahren immer mehr politisiert wurde, anstatt kleine Mädchen und alte Männer (oder umgekehrt) einfach mal singen zu lassen?
Naja, isch reg misch net uff. Sonst müsste ich mich ja auch über Thomas Gottschalk oder Ricarda Lang echauffieren, aber da habe ich keinen Bock drauf. Der Gottschalk ist genug durch den Kakao gezogen und medial verurteilt worden, ob die Ricarda jetzt 'n Pony hat oder 60 Kilo weniger wiegt, interessiert mich ehrlich gesagt nur marginal.
Reise in die Ewigen Jagdgründe
Es interessiert mich allerdings, wie meine Rente ausfallen wird, ob oder wie weit Europa sich kurz vor der zivilisatorischen Auslöschung befindet, dass Dobrindts Drohnenabwehrzentrum noch im Dezember in Betrieb geht. Ich wundere mich über Justin Trudeaus Frauengeschmack und frage mich, ob Meghan Markle ihren totkranken und beinamputierten Vater noch ein letztes Mal kameraintensiv auf den Philippinen besuchen wird, bevor er seine letzte Reise in die Ewigen Jagdgründe antritt. Was mich zum Anfang zurückbringt, zum Glück, denn ich könnte mich noch ewig weiter vergaloppieren: Es ging anfangs um den frommen Wunsch einer guten Reise, wenn ein geliebter Mensch verstirbt.
R.I.P., Alter?
Ich habe nochmal drüber nachgedacht, und ja, es ist schön, die Vorstellung, dass einer reist, wenn er stirbt, auf der letzten Todesanzeige in unserer Familie hatten wir auch eine Brücke, die den Übergang in eine andere Welt symbolisieren sollte.
Dass das nun aber alles sein soll - "gute Reise" -, finde ich nach wie vor ein bisschen zu dünn. Genauso wie das dahingerotzte R.I.P., also "Rest in Peace", gern auch als "Rest in Power" interpretiert. Vielleicht kommen die Toten wieder, ja, vielleicht bleiben sie auch auf eine Art bei uns, aber so eine richtig handfeste Beileidsbekundung, die zeigt, dass man ahnt, was die Zurückgebliebenen gerade fühlen, nämlich Leere und Vermissung, Schmerz und Trauer und Liebe, das finde ich weiterhin schön, gut und richtig.
Ich lasse Sie nun allein mit Ihren Gedanken und wünsche einen gefühlvollen zweiten Advent ...