Boykotte mehrerer LänderWelche Auswirkungen hat der Streit um Israel für den ESC?

Der ESC begeistert jeden Mai ein Millionen-Publikum. Doch die nächste Ausgabe in Wien wird bereits von politischen Auseinandersetzungen überschattet. Die Entscheidung, Israel trotz Zehntausender Tote im Gazastreifen antreten zu lassen, führt zu einer einmaligen Boykott-Welle. Wichtige Fragen zur nächsten Ausgabe des größten Musikspektakels der Welt.
Welche Folgen haben die Boykott-Ankündigungen?
Die Sender aus Spanien, Irland, Slowenien und den Niederlanden kündigten als Reaktion auf den EBU-Beschluss den Boykott der Veranstaltung an. Der Schaden für den ESC ist schon jetzt groß. Die Europäische Rundfunkunion (EBU), die knapp 70 Mitgliedssender koordiniert, hat ebenso wie der österreichische Gastgeber-Sender ORF in den vergangenen Wochen versucht, den einst so harmlosen Schlagerwettbewerb zu entpolitisieren. Das ist gescheitert. Die Welle an Boykott-Ankündigungen gilt in ihrer Wucht als beispiellos in der Geschichte des ESC.
Gibt es konkrete Konsequenzen für die Show?
Das ist noch unklar. Der ORF will zunächst abwarten, bevor eventuell etwaige Veränderungen vorgenommen werden. Die finale Teilnehmerliste will die EBU vor Weihnachten veröffentlichen. "Einzelne Absagen sind bedauerlich, doch der ESC ist ein starkes, etabliertes Format. Der ORF ist zuversichtlich, dass er auch 2026 ein großartiges Event auf die Beine stellen wird", heißt es beim Sender.
Ist die Finanzierung gesichert?
Auch wenn mehrere Länder fernbleiben, steht das Event laut EBU finanziell auf sicheren Beinen. "Die endgültige Anzahl der teilnehmenden Sender hat keinen Einfluss auf das geplante Produktionsbudget und den finanziellen Beitrag der EBU an den ORF", so die EBU. Sie erwarte, dass am Ende Sender aus rund 35 Ländern in Wien dabei sind.
Wie ist das bisherige Budget geplant?
Die Gesamtkosten für den 70. ESC liegen bei rund 36 Millionen Euro. Das meiste davon zahlt die Stadt Wien, der ORF-Anteil beträgt etwa 16 Millionen Euro. Angesichts der Finanznöte des Senders hatte ORF-Intendant Roland Weißmann das Motto ausgegeben: "Sparsam, aber spektakulär."
Welche Folgen haben die Querelen für das Publikum?
Bisher keine. Die Anmeldung für den Vorverkauf der insgesamt 90.000 Tickets ist bereits angelaufen. Die EBU erklärte unmittelbar nach dem grünen Licht für Israel, dass die Vorbereitungen für das Musikspektakel "wie geplant" weiterlaufen könnten.
Wie ist die Haltung Deutschlands?
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos) stellte sich hinter die Entscheidung der EBU. "Israel gehört zum ESC wie Deutschland zu Europa", sagte er der "Bild". Deshalb finde er es gut, dass Israel auch 2026 Teil des größten Gesangswettbewerbs der Welt bleibe. "ESC ist ein Anlass, mit Freundinnen und Freunden einen tollen Abend zu verbringen und die Vielfalt der Musik zu feiern."
Wer hat sich auch noch positiv geäußert?
Frankreich. Das Land werde niemals den Weg des Boykotts eines Volkes, seiner Künstler oder seiner Intellektuellen einschlagen, erklärte Außenminister Jean-Noël Barrot. Alles in der Seele und Tradition des Landes widersetze sich diesem Gedanken. Kultur öffne Horizonte. "Gibt es einen besseren Weg, Frieden zu fördern?", schrieb Barrot auf X.
Welche Rolle hat Israel bisher beim ESC gespielt?
Israel ist seit 1973 beim ESC dabei. Mit vier ersten Plätzen gehört das Land zu den erfolgreichsten Teilnehmern. Besonders in Erinnerung sind die Siege 1979 und 1998. Einmal mit dem Ohrwurm "Hallelujah" (Milk&Honey), das andere Mal mit dem Auftritt von Dana International, der ersten transsexuellen Sängerin als Gewinnerin.
Gibt es Kritik in den Boykott-Ländern an deren Haltung?
Ja. In den Niederlanden kommentierte die Zeitung "De Telegraaf" kritisch. Der niederländische Sender Avrotos habe das Songfestival politisiert. "Eine Entscheidung, die in Europa für Stirnrunzeln sorgt. Anlass für den absurden Beschluss der Avrotros ist die Teilnahme des demokratischen Landes Israels am ESC." Offenbar habe der Sender übersehen, dass in Gaza inzwischen ein Waffenstillstand in Kraft sei.
Wie ist die Reaktion in Israel?
Israels Staatspräsident Izchak Herzog hat die Entscheidung ausdrücklich begrüßt. Der Sender Kan selbst teilte mit, der Versuch, den israelischen Beitrag auszuschließen, könne "nur als kultureller Boykott verstanden werden. Ein Boykott mag heute beginnen - mit Israel -, aber niemand weiß, wo er enden wird und wem er noch schaden könnte".
Welche Folgen hat ein ESC mit kleinerem Teilnehmerfeld auf Wien?
Die Gastgeberstadt und das Land hatten sich bereits auf große positive Effekte gefreut. Ziel ist es, während des einwöchigen Events das ganze Land vom Bodensee bis zum Neusiedlersee auf eine weltweite Bühne zu heben. Die Zahl der zusätzlichen Übernachtungen in der ESC-Woche sollte bei etwa 88.000 liegen. Neben den angekündigten Absagen gibt es auch drei Länder, die nach einer Pause wieder vertreten sind: Rumänien, Bulgarien und Moldau.