Schon 47 Jahre in Haft Karlsruhe gibt lebenslänglich Verurteiltem recht
31.03.2023, 16:39 Uhr
47 Jahre abgesessen: Je länger die Haft dauert, desto gewichtiger müssen laut Verfassungsgericht die Gründe sein, um eine Entlassung auf Bewährung zu verweigern.
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Wegen eines Doppelmordes mit sexuellem Hintergrund hat ein Mann bereits 47 Jahre im Gefängnis gesessen. Vor dem Bundesverfassungsgericht erstreitet der heute 79-Jährige, dass sein Entlassungsgesuch erneut geprüft werden muss.
Nach Jahrzehnten in Haft soll auch ein zu lebenslanger Gefängnisstrafe Verurteilter die Chance auf Freiheit haben. Mit einem am Vormittag veröffentlichten Beschluss gab das Bundesverfassungsgericht der Beschwerde eines 79-jährigen Häftlings statt. Je länger die Haft dauert, desto gewichtiger müssten laut Verfassungsgericht die Gründe sein, um eine Entlassung auf Bewährung zu verweigern. (Az: 2 BvR 117/20 und 2 BvR 962/21)
Der 1944 geborene Mann war wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. 1970 war der Voyeur in ein Wohnhaus eingedrungen, um mit der Tochter der dort lebenden Familie Geschlechtsverkehr zu haben. Weil zunächst die Mutter in ihrem Schlafzimmer aufwachte, erstach er sie mit einem mitgeführten Messer. Dann ging er in das Schlafzimmer der Tochter. Als die sich ihm verweigerte, erstach er auch sie.
Das Landgericht Koblenz lehnte 2019 und nochmals 2021 eine Aussetzung des Rests der Strafe auf Bewährung ab. Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz hatte dies jeweils bestätigt. Die Straftaten des Mannes seien nicht aufgearbeitet und es könne zu weiteren sexuell motivierten Taten kommen.
Hohes Alter muss in Betracht gezogen werden
Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde ist "offensichtlich begründet", wie nun das Bundesverfassungsgericht entschied. Danach kommt es in solchen Fällen auf eine "Gesamtwürdigung" an. Die Risiken einer Freilassung müssten mit dem Freiheitsrecht abgewogen werden. Dabei erhalte "der grundsätzliche Freiheitsanspruch des Verurteilten" mit der Dauer der Haft ein immer stärkeres Gewicht. Diesen Maßstäben seien Landgericht und OLG Koblenz nicht gerecht geworden, rügten die Karlsruher Richter. Der Beschwerdeführer sei 2019 bereits seit 47 Jahren in Haft gewesen. Sein hohes Alter hätten die Gerichte gar nicht erwähnt. Sie hätten aber prüfen müssen, ob die frühere "sexuelle Dranghaftigkeit" immer noch besteht.
Regelverstöße wie der Besitz pornografischer Schriften änderten daran nichts. Ein besonderes Risiko künftiger Straftaten lasse sich daraus nicht ableiten. Zuletzt habe es im offenen Vollzug seit 2017 auch bei längeren Ausgängen des Mannes keine Beanstandungen gegeben. Einem Gutachten zufolge handele der Mann nicht impulsiv. Das Risiko erneuter Straftaten könne daher auch durch Auflagen verringert werden. Doch auch diese Möglichkeit hätten die Gerichte bislang nicht erwogen. Nach diesen Maßgaben soll das Landgericht Koblenz eine Aussetzung der Freiheitsstrafe auf Bewährung nun erneut prüfen.
Quelle: ntv.de, mau/AFP