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"Ideologie existiert noch" Kenias Hungersekte macht weiter - neue Massengräber entdeckt

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Im Jahr 2023 wurden im Shakahola-Wald bereits Hunderte Leichen geborgen.

Im Jahr 2023 wurden im Shakahola-Wald bereits Hunderte Leichen geborgen.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Über 450 Menschen, darunter viele Kinder, mussten sich in Kenia 2023 zu Tode fasten. Der Sektenführer steht vor Gericht. Doch nun werden erneut frische Massengräber mit ausgehungerten Kinderleichen entdeckt. Der Hungerkult lebt weiter.

Wieder stapfen in Kenia entlang der Küste Forensiker in weißen Schutzanzügen durch das Unterholz, wieder werden Leichen aus Massengräbern geborgen. Die meisten von ihnen Kinder. Ihre Überreste zeugen von demselben Horror, der bereits 2023 das ganze Land erschütterte.

Im Frühjahr 2023 entdeckten Polizisten im Shakahola-Wald nahe der kenianischen Küstenstadt Mombasa unzählige Massengräber. Dort, wo internationale Touristen an den weißen Sandstränden Urlaub machen, ereignete sich vor mehr als zwei Jahren eines der grausamsten Massaker der jüngeren Geschichte des Landes. Über 450 Leichen wurden in diesem abgelegenen Waldgebiet seit April 2023 geborgen, ein Großteil von ihnen Kinder.

Sektenführer Paul Makenzi wird derzeit der Prozess gemacht. Er steht mit 92 Gefährten und seiner Ehefrau wegen Mordes und Folter vor Gericht. Der radikale Prediger der Sekte Good News International (GNI) hatte seinen Anhängern weisgemacht, dass sie nur in den Himmel kommen, wenn sie sich alle zu Tode hungern. Die meisten seiner knapp tausend Mitglieder stammten aus ärmeren Schichten. Zum Teil schlossen ihm sich ganze Familien an, die ihr Hab und Gut verkauft hatten, um im Shakahola-Wald angeblich Erlösung zu finden.

"Wir wurden angewiesen zu fasten, um unsere Reise in den Himmel zu beschleunigen", berichtete ein 15-jähriger Zeuge vor den Richtern im Gerichtssaal in Mombasa am Montag: "Makenzi hatte darauf hingewiesen, dass es Botschaften gebe, in denen Jesus angedeutet hätte, dass er nicht wiederkommen würde, sondern dass sein Volk ihm durch den Tod folgen sollte", so der Junge, der unter Zeugenschutz steht.

Eingesperrt wie in einer Sauna, um zu verdursten

Der junge Zeuge führte aus, dass Makenzi bereits 2022 angeordnet haben soll, schneller zu sterben, weil der Ukraine-Krieg bereits das Ende der Welt ankündige und "die Tür zur Arche Noah sich bald schließen würde". Daraufhin seien Kinder und Jugendliche in ein Zelt gepfercht worden, das aus schwarzen Plastikplanen in der prallen Sonne errichtet worden war. Wie in einer Sauna hätten die Kinder dort gesessen, berichtete der Junge, "um das Sterben durch Dehydrierung zu beschleunigen".

Immer wieder habe er zu jener Zeit versucht, gemeinsam mit seinem Bruder zu fliehen. Doch stets hätten Makenzis Sicherheitsleute, die mit Macheten bewaffnet waren, ihn wieder eingefangen und erneut zum Hungern und Dursten gezwungen. 2023 verlor er seinen Bruder. "Letztlich war er zu schwach vor lauter Hunger und Durst."

Während der mittlerweile zwei Jahre andauernde Prozess vor dem Gericht in Mombasa derzeit in die Schlussphase geht, tun sich unweit des Shakahola-Waldes neue Abgründe auf: Nahe dem Dorf Binzaro werden seit Sonntag Leichen geborgen – gerade einmal zwei Kilometer entfernt von den 2023 ausgehobenen Massengräbern.

Unter den Toten befinden sich nach Angaben der Forensiker erneut acht Kinder. Vier Menschen seien lebendig geborgen und zunächst ins Krankenhaus eingeliefert worden, weil sie schwach waren. Die Ausgrabungen, die das Gericht am Montag angeordnet hat, seien noch nicht abgeschlossen, hieß es.

"Diese Ideologie existiert immer noch"

Ein Ehepaar wurde verhaftet. Beide hatten das Massenfasten 2023 überlebt. Jetzt führen sie nach Auffassung der Ermittler den Kult fort. Sie seien nach der Verhaftung Makenzis zunächst gemeinsam mit ihren sechs Kindern in ihr Dorf zurückgekehrt, berichtete der Bruder des Sektenführers der Polizei. Dann sei das Paar mit den Kindern im März erneut verschwunden. Über den Verbleib der Kinder ist noch nichts bekannt. Um herauszufinden, ob sie unter den entdeckten Leichen sind, müssen zunächst DNA-Tests durchgeführt werden.

"Diese Ideologie existiert immer noch", warnte Makenzis Bruder. Er berichtete der Polizei, er habe mit dem Inhaftierten telefoniert. Makenzi habe "immer noch Anhänger draußen und er kommuniziert vom Gefängnis aus mit ihnen via Telefon."

Der Hungerkult existiert also fort. Während die Forensiker nun erneut Gräber ausheben, klagt das Krankenhaus der Provinz Malindi, dass die Leichenhalle bereits von den mehr als 450 Leichen voll sei, die seit 2023 dort lagern. Die meist seien bislang nicht identifiziert worden und konnten deswegen noch nicht beerdigt werden. "Es ist schockierend, dass es etwa zwei Jahre nach dem ersten Shakahola-Fall zu einem weiteren kommt", sagte Hussein Khalid von der Menschenrechtsorganisation Vocal Africa. "Es ist ein klares Zeichen dafür, dass die Regierung nicht die notwendigen Schritte unternommen hat, um den Ursachen des ersten Falls auf den Grund zu gehen."

Doch die Mühlen in Kenias Politik mahlen langsam. Präsident William Ruto hatte 2023 eine Kommission beauftragt, den Fall zu untersuchen. Ein Gesetzesentwurf wurde 2024 ausgearbeitet, der die Neu-Registrierung aller religiösen Gruppen im Land vorsieht. Das Kabinett hat diesen am Dienstag angenommen. "Wir werden sicherstellen, dass die Religionsfreiheit in Kenia erhalten bleibt", versicherte Ruto den über Hundert religiösen Führern, die parallel zur Kabinettssitzung zu einem Forum eingeladen waren.

Quelle: ntv.de

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