
Die "Bunte Republik Deutschland" hat Udo Lindenberg schon vor Jahrzehnten ausgerufen.
(Foto: imago/Müller-Stauffenberg)
Kaum ist man mal ein paar Tage nicht da, schon gehen ganze Lebens- und Gesellschaftsentwürfe den Bach runter: Ein Berliner Staatssekretär für Jugend und Familie ruft sogar das Ende von "Multikulti" aus. Die Kolumnistin sieht das etwas anders, unter anderem, weil man echt auf seine Wortwahl achten muss.
"Multikulti" ist mehr als das, was jetzt von Berlins CDU-Jugendstaatssekretär Falko Liecke für gescheitert erklärt wird. Multikulti ist möglich. Auch weiterhin. Man muss - vor allem als PolitikerIn - nur an den richtigen Stellen auch mal seine Hausaufgaben machen. Es reicht nicht, ab und zu in den Problembezirken vorbeizuschneien und giffeyesk über Kinderköpfe zu streicheln, es reicht nicht, erst dann da aufzutauchen, wenn es brennt, es reicht eben nicht, wenn man sich nicht wirklich zum Beispiel um Bildung kümmert. Ein Thema, das übrigens auch so richtig deutsch-deutsche Kinder betrifft und belastet, die ebenfalls durch alle Siebe fallen, die man sich nur vorstellen kann. Jetzt auszurufen, "Multikulti" sei gescheitert, ist nicht nur zu einfach und kurzsichtig, sondern geradezu blind.
Gemeint sollte sein, dass die Integrationspolitik gescheitert ist, und das ist, meines Erachtens, etwas anderes als "Multikulti". Ich bin latent multikulti aufgewachsen in Berlin: Auf meinem popeligen Steglitzer Gymnasium waren GriechInnen, FranzösInnen, IsraeliInnen, TürkInnen, AmerikanerInnen, AraberInnen. Wir hatten auch Stress untereinander, aber eher auf die Art, auf die Schüler immer mal wieder Stress miteinander haben. Ansonsten habe ich teilweise nicht mal bemerkt, dass ich von AusländerInnen umgeben war, so normal waren "die" für uns, damals in den Achtzigern. Es hat gar nicht interessiert, ob jemand jüdisch, muslimisch, christlich oder gar ungläubig war, wir waren, wie wir waren. Allerdings muss ich gestehen, dass ich nicht weiß, ob die eben Genannten das genauso gesehen haben.
Als meine Kinder auf eine Internationale Schule gingen, im Kern in den Zehner-Jahren dieses Jahrhunderts, war die Mischung so bunt, dass man anhand der Namen oft nicht wusste, ob es sich um den Vor- oder Nachnamen handelte oder um Junge oder Mädchen. Oft wusste man nicht einmal, wo genau dieses Kind nun herkam. Was zählte, war: Es war jetzt hier. Diese Kinder wurden dann zum Beispiel von mir mit meinem deutschen Nachnamen zum Kindergeburtstag meines Kindes mit dem nicht so deutschen Nachnamen eingeladen, Jesus, Maria, Josef und alhamdullilah, waren das noch Zeiten! Multikulti funktionierte, zumindest dann, wenn man sich Mühe gab. Es bedeutete, dass man etwas Zeit investieren musste, Interesse hatte an seinem Gegenüber, und dass man akzeptierte, was geht und was nicht geht. In beide Richtungen.
Lieben wir!
Jetzt kann man mir natürlich ein Leben in einer Bubble vorwerfen, in einer Blase, die nichts und wieder nichts mit Neukölln und Co. zu tun hat. Ich habe da mal gewohnt und mich dann dagegen entschieden. Und auch in einer "Blase" gab und gibt es schließlich Probleme, Drogen an der Schule oder Eltern, die sich nicht für ihre Kinder interessieren. Manchmal war es sogar schwerer, ein Kind aus den neuen Bundesländern in Berlin zu integrieren als eines, das aus Indonesien, Südafrika oder Japan anreiste.
Diejenigen, denen es hier nicht gefällt, die sich nicht integrieren wollen, die können gern wieder gehen. Die, die straffällig werden und einen ungeklärten Aufenthaltsstatus haben, müssen abgeschoben werden. Denen gegenüber, die radikal sind, sollte man ebenfalls radikal sein. Ich finde, dass Antisemiten in Deutschland nichts zu suchen haben, und wenn es ihnen nicht passt, dass die meisten Deutschen prima mit Juden und Moslems und anderen Andersgläubigen zusammenleben können und wollen: Dann adios muchachos. Was eh klar ist: Politischer Islam und alle weiteren Extreme dürfen nicht toleriert werden, bloß weil irgendjemand das für Folklore halten könnte und sich nicht traut, dazwischenzugehen.
Ich werfe in den Ring, dass es auch noch andere Ausländer in unserem Land gibt als die üblichen Verdächtigen und lege gesteigerten Wert darauf, dass Ausländer im Sinne von Arabern, Libanesen, Syrern, Palästinensern, Afghanen und Russen unter uns sind, die friedliebend, tolerant, liebenswert, klug, und "uns" gegenüber freundschaftlich eingestellt sind. Dass dies mehrheitlich Menschen sind, die vor den katastrophalen Zuständen in ihrer eigenen Heimat geflohen sind, um hier ein friedliches Leben mit ihren Familien zu führen, die ihre Steuern zahlen und ihre Kinder zur Schule schicken. Ich lasse mir nicht einreden, dass es schlecht war, flüchtenden Syrern 2015 geholfen zu haben, und jetzt Ukrainern.
"Wir hier" und "ihr da"
Ich gehe ins Cinema Paris, den Irish Pub, esse polnisch, besuche den Schwedischen Weihnachts- oder den Thaimarkt, radebreche mit meiner kolumbianischen Freundin spanisch und halte meine ersten kindlichen Erinnerungen an Amerika in Ehren. Meine Heimat ist Berlin, und das ist Multikulti hoch zehn! Das lasse ich mir weder von aggressiven Mackern noch von lamentierenden Politikern kaputtreden! Wer die Melting-Pot-Idee grundsätzlich abhakt, ist innerlich erfroren.
Politiker aller Parteien, aller Farben, müssten sich nun nämlich so richtig an die eigene Nase fassen. Mehr Geld für Bildung wäre in den vergangenen Jahrzehnten das A und O gewesen, gerade in Berlin. Aber da wurde Zeit verplempert, mit Schuldzuweisungen an die vorher Regierenden, mit Konzeptlosigkeit, mit Bürokratie. Multikulti ist nicht gescheitert, die Politik ist es. Und jetzt wird die Schuld bei anderen gesucht.
Dabei müssen wir jetzt erst recht an den wahren Eckpfeilern des multikulturellen Lebens arbeiten. Dass ein Staatssekretär den Mittelfinger und mehr an Drohungen entgegengestreckt bekommt, ist nicht schön, aber warum ist das so? Ich nehme damit auf keinen Fall diejenigen in Schutz, die das tun und die einfach nur auf Krawall aus sind, die zerstören wollen, die einfach nur schlecht sind, denn auch solche Menschen gibt es, auf allen Seiten, überall auf der Welt. Dies aber exemplarisch zu nennen für "Multikulti ist gescheitert", finde ich fatal.
Es regt mich auf, dass nur noch schwarz oder weiß gedacht wird, als gäbe es nichts dazwischen. Das schürt den Hass und die Konfrontation noch einmal viel mehr. Mit "wir hier" und "die da" kommen wir nicht weiter.
Ich glaube an Multikulti
Kinder und Jugendliche müssen mehr an die Hand genommen werden. Dafür braucht man Geld und attraktive Berufe mit attraktiven Bezahlungen. In Schulen müssten aktuelle Themen aufgegriffen werden und nicht nur ein "Rahmenplan" abgenudelt werden, der seit 20 Jahren gleich ist. Kinder und Jugendliche müssen JETZT gefragt werden, wie es ihnen geht in einer Welt nach Corona und Krieg bei den Nachbarn. Wir müssen jetzt handeln.
Ich glaube an Multikulti. Und lasse mir das weder von extremistischen Sonnenallee-Hamas-Jublern noch von Staatssekretären vermasseln. Shalom!
Quelle: ntv.de