Panorama

Geiseldrama in Hamburg Polizei setzt weiterhin auf Verhandlungslösung

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Die Polizei verhandelt weiterhin mit dem Mann, der gewaltsam auf das Vorfeld des Flughafens in Hamburg eingedrungen ist. Für die Einsatzkräfte ist das ein gutes Zeichen. Der Tat vorausgegangen ist ein Sorgerechtsstreit um die vierjährige Tochter, die der Mann bei sich hat. Der Flughafenbetrieb ist bis auf Weiteres eingestellt.

Ein bewaffneter Mann durchbricht nach Angaben der Bundespolizei am Samstagabend gegen 20.00 Uhr mit einem Auto ein Tor, fährt auf das Vorfeld des Airports, schießt in die Luft und wirft "eine Art Molotowcocktails" aus dem Wagen. Der Mann hat seine vierjährige Tochter mit im Auto - vorausgegangen war laut Polizei offenbar ein Sorgerechtsstreit mit der Mutter.

Der Flughafen wird sofort weiträumig gesperrt, die beiden Terminals werden geräumt. Alle Passagiere in den Flugzeugen werden aus den Maschinen geholt und in einem nahe gelegenen Flughafenhotel untergebracht. Insgesamt 3200 Passagiere seien betroffen gewesen, sagte ein Polizeisprecher am Samstagabend.

Die Lage sei statisch, sagt Sandra Levgrün, Sprecherin der Polizei Hamburg im Gespräch mit ntv. "Wir sind mit der Verhandlungstruppe an ihm dran. Er spricht mit uns und wir hoffen sehr, dass wir zeitnah eine Verhandlungslösung finden können." Zudem gehen die Beamten davon aus, dass das Kind aktuell körperlich unversehrt ist. Über den Zustand des Geiselnehmers sagt Levgrün: "Er wirkt sehr frustriert."

Am frühen Sonntag gab der Flughafen bekannt, dass der Flugbetrieb wegen der Geiselnahme auf unbestimmte Zeit eingestellt bleibe. "Es kommt zu Flugstreichungen und Verzögerungen über den gesamten Tag", teilte der Flughafen weiter mit. Die Polizei bitte, dass Fluggäste vorerst nicht zum Flughafen anreisen. Auch die S-Bahn fahre die Station am Flughafen bis auf Weiteres nicht an.

Passagiere schildern Ängste

"Beängstigend", "gruselig" - so schildern Passagiere, die aus ihren Maschinen geholt wurden, ihre Eindrücke. Eine junge Frau, die am Samstagabend nach Mallorca fliegen wollte, sagte: Sie habe ein Feuer gesehen und erst gedacht, das werde schnell wieder gelöscht. Dann habe sie gehört, es gebe einen Amoklauf, das sei schon gruselig gewesen. Tatsächlich hatte der bewaffnete Mann bei seiner Fahrt auf dem Flughafen aus dem Auto heraus Brandflaschen geworfen, die auf dem Vorfeld ein Feuer auslösten.

Eine andere Frau, die ebenfalls nach Mallorca fliegen wollte, sagte, sie habe nur ihre Handtasche mitnehmen dürfen, als das Flugzeug geräumt wurde. Alle hätten sich dabei ruhig verhalten, aber es sei auch beängstigend gewesen, weil man nicht wusste, was los war. Eine Passagierin schilderte, dass sie beim Einsteigen gesehen habe, dass es auf dem Vorfeld brannte. Zwei Minuten vor dem geplanten Start sei dann die Durchsage gekommen: "Verlassen Sie bitte ruhig das Flugzeug." Dann hieß es plötzlich, alle sollten sich jetzt beeilen.

Die Hamburger Polizei verhandelte die ganze Nacht mit dem Mann. "Wir haben eben guten Kontakt zu dem Täter bekommen", sagte eine Polizeisprecherin am späten Abend. Mit dem vermutlich 35-jährigen Mann werde auf Türkisch verhandelt. "Wir setzen hier auf eine Verhandlungslösung", sagte sie. Dass sich die Gespräche so lange hinzogen, bewertete sie positiv: "Das ist ein absolut gutes Zeichen. ... Er ist uns zugewandt. Er will mit uns sprechen und das bewerten wir erst einmal als sehr positiv." Bislang gab es jedoch keinen Durchbruch.

Ehefrau aus Stade meldet sich

Die Ehefrau des Mannes, die sich in Stade bei Hamburg aufgehalten haben soll, hatte sich zuvor wegen möglicher Kindesentziehung bei der Landespolizei gemeldet, wie der Sprecher der Bundespolizei sagte. "Wir gehen derzeit davon aus, dass ein Sorgerechtsstreit Hintergrund des Einsatzes ist", twitterte die Hamburger Polizei kurz vor Mitternacht. Eine Sprecherin der Polizei sagte am Morgen, die Mutter sei mittlerweile in Hamburg in der Nähe des Flughafens. Man gehe davon aus, dass der Vater der Mutter das Kind "weggenommen" und möglicherweise unter Gewalteinwirkung ins Auto gesetzt habe, bevor er nach Hamburg und dort auf das Rollfeld des Flughafens fuhr, so die Sprecherin weiter.

Die Polizei hatte kurz vor Mitternacht keine Erkenntnisse, dass jemand verletzt worden ist. Das gelte auch für den Täter und das Kind, das er bei sich habe. "Uns ist im Moment nicht bekannt, dass jemand verletzt ist", teilte die Sprecherin mit. Die Polizei sah zu dem Zeitpunkt auch keine akute Gefährdung von Dritten mehr. Das Flugzeug der Turkish Airlines, unter dem der Mann sein Auto abgestellt hatte, wurde geräumt, wie ein Polizeisprecher sagte. Es gebe keine Gefährdung Unbeteiligter mehr.

Alle Flüge gestrichen

Nach Angaben des Flughafens vom Sonntagmorgen wurden seit dem eigentlichen Betriebsbeginn um 6.00 Uhr bis 8.00 Uhr bereits 61 Flüge gestrichen. Es handele sich dabei um 34 Abflüge und 27 Ankünfte. Für den gesamten Tag seien eigentlich 286 Flüge - 139 Abflüge und 147 Ankünfte - mit rund 34.500 Passagieren geplant. Wie viele davon tatsächlich stattfinden können, ist nach Angaben des Flughafens unklar. Bereits am Samstag mussten 6 Starts gestrichen und 21 Landungen umgeleitet werden.

Bereits im Oktober war der Hamburger Flughafen gesperrt worden, damals allerdings wegen einer Anschlagsdrohung auf eine Maschine von Teheran nach Hamburg. Im Juli hatten Klimaaktivisten der Gruppe Letzte Generation den Hamburger Flughafen für Stunden lahmgelegt. Der Flugbetrieb musste für mehrere Stunden aus Sicherheitsgründen eingestellt werden. Tausende Passagiere, darunter viele Familien mit Kindern, waren betroffen. Damals hatte es Forderungen nach einer Verstärkung der Sicherheit gegeben.

Quelle: ntv.de, Benjamin Haller und Thomas Müller, dpa

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