Razzia in Sachsen "Reichsbürger" verstecken gesuchte Minderjährige in Hotel
01.11.2024, 17:18 Uhr Artikel anhören
In Sachsen rückte die Polizei wiederholt an einem ehemaligen Hotel an, das jetzt von "Reichsbürgern" bewohnt wird. (Archivbild)
(Foto: IMAGO/Andre März)
In einem ehemaligen Hotel im Erzgebirge leben inzwischen mehrere "Reichsbürger". Jetzt rückt die Polizei zu einer großen Durchsuchung an. Statt zur Fahndung ausgeschriebener Erwachsener finden die Beamten gesuchte Jugendliche aus NRW und Baden-Württemberg.
Zum zweiten Mal innerhalb von etwa einem Monat haben Polizisten ein von Mitgliedern der "Reichsbürger"-Szene bewohntes ehemaliges Hotel im sächsischen Seiffen im Erzgebirge durchsucht. Ziel der Razzia war unter anderem die Suche nach per Haftbefehl gesuchten Männern und Frauen, wie die Polizei in Chemnitz erklärte.
Zudem wurde bei der Aktion die von einem Gericht aus Fürsorgegründen angeordnete Ingewahrsamnahme eines 17-Jährigen vollzogen. Der Sohn einer 56-jährigen "Reichsbürgerin" war nach Polizeiangaben von einem Amtsgericht in Nordrhein-Westfalen aus "schutzwürdigen Gründen" zur Ingewahrsamnahme ausgeschrieben und kam in Obhut des Jugendamts.
Weiter wurde bei der Razzia eine 16-Jährige angetroffen, gegen die ein Amtsgericht in Baden-Württemberg einen einwöchigen Arrest wegen Verstößen gegen das Schulgesetz verhängt hatte. Sie wurde in eine Justizvollzugsanstalt gebracht.
"Reichsbürger" deutschlandweit vertreten
In dem ehemaligen Hotel in Seiffen leben laut Polizei schon seit einiger Zeit Mitglieder der Gruppe "Indigenes Volk der Germaniten", die der "Reichsbürger"- und "Selbstverwalter"-Szene zugeordnet werden. Ihre Anhänger betrachten sich nach Angaben von Verfassungsschutzbehörden als eigenständige Volksgruppe mit vermeintlichen Sonderrechten, die sich nicht dem deutschen Staat und seinem Rechtssystem zugehörig fühlen. Die Gruppierung ist demnach bundesweit aktiv.
Bereits Anfang Oktober rückten die Behörden in dem ehemaligen Hotel an. Damals waren sie auf der Suche nach einem vermissten siebenjährigen Kind und seiner Mutter. Die aus Niedersachsen stammende 45-Jährige gehört ebenfalls der "Reichsbürger"- und "Selbstverwalter"-Szene an und war gemeinsam mit ihrem Kind untergetaucht. Die Polizei fand es bei der Durchsuchung und übergab es anschließend nach eigenen Angaben zur Sicherung des Kindeswohls dem Jugendamt.
Zwei per Haftbefehl gesuchte mutmaßliche Mitglieder der Gruppierung, darunter die Mutter des in Schutzgewahrsam genommenen 17-Jährigen, konnten den Vollzug durch Zahlung ausstehender Geldstrafen vermeiden. Laut Polizei konnten sie in dem Hotel bleiben. Der Einsatz verlief demnach störungsfrei.
Reichsbürger" und "Selbstverwalter" verneinen die Existenz der Bundesrepublik Deutschlands und ihres Rechtssystems, sprechen Politikern und anderen Staatsbediensteten die Legitimation ab. Nach Ansicht der meisten "Reichsbürger" besteht das Deutsche Reich fort und das Grundgesetz ist lediglich "Besatzungsrecht". "Selbstverwalter" betrachten sich selbst als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Sie vertreten häufig übergeordnete philosophische oder religiöse Ansätze, mit denen sie das vermeintliche Recht zur Ausrufung eigener Fantasiestaaten oder Rechtssysteme begründen.
Beide Strömungen lehnen den deutschen Staat und seine Repräsentanten grundsätzlich ab. Hieraus ergibt sich auch die erhöhte Bereitschaft, Ordnungswidrigkeiten und Straftaten zu begehen. Betroffen sind insbesondere Polizei, Justiz und Finanzämter; grundsätzlich können jedoch alle öffentlichen Stellen in den Fokus geraten. Gefährlich ist hierbei auch die hohe Waffenaffinität des Milieus. (Quelle: Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg)
Quelle: ntv.de, mpa/AFP