Analyse der Corona-Maßnahmen Schweiz legt Pandemie-Fehler offen
29.04.2022, 14:58 Uhr (aktualisiert) Artikel anhören
Inzwischen sind in der Schweiz alle Maßnahmen aufgehoben.
(Foto: dpa)
Die Schweiz lässt ihre während der Corona-Pandemie ergriffenen Maßnahmen von einer unabhängigen Kommission begutachten. Das externe Evaluationsteam kommt zu dem Schluss, dass das Land im Großen und Ganzen "angemessen" auf die Krise reagiert hat. Allerdings machen die Experten auch einige Fehler aus.
Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat im ersten Pandemiejahr seine Aufgaben "grundsätzlich gut bewältigt". Zu diesem Schluss kommt eine externe Evaluation der ergriffenen Corona-Maßnahmen. Jedoch sehen die Expertinnen und Experten besonders bei der Krisenvorbereitung und beim Krisenmanagement Verbesserungspotenzial.
Die Analyse hatte die Regierung in Bern bereits 2020 in Auftrag gegeben. Ein Expertengremium mit Vertreterinnen und Vertretern von zwei Forschungs- und Beratungsunternehmen, eines Anwaltsbüros sowie zwei inländischen und zwei ausländischen Hochschulen und Universitäten evaluierte daraufhin die Covid-19-Krisenbewältigung bis zum Sommer 2021. Grundlage für die Einschätzungen waren unter anderem eine Bevölkerungsbefragung Anfang 2021, Experteninterviews und vorhandene Studien.
Studienleiter Andreas Balthasar und sein Team kamen dabei zu dem Schluss, dass die Schweiz "im Kern der medizinischen Versorgung" erfolgreich war. Das Gesundheitssystem sei nie zusammengebrochen und stets in hoher Qualität gewährleistet gewesen. Auch wirtschaftlich sei die Schweiz vergleichsweise gut durch die Krise gekommen, so Balthasar.
Leid bei Senioren
Kritik üben die Autorinnen und Autoren aber an einzelnen Maßnahmen, die vor allem zu Beginn der Pandemie zum Schutz von älteren Menschen ergriffen wurden. Balthasar zufolge hätten die Ausgangs- und Besuchsverbote zu "großem Leid" bei den Bewohnerinnen von Alten- und Pflegeheimen und ihren Angehörigen "sowie zum Teil zu negativen gesundheitlichen Auswirkungen bei den Betroffenen" geführt. Diese Maßnahme hatte beispielsweise zur Folge, dass Menschen in Altersheimen ohne Begleitung der Angehörigen sterben mussten.
Als "nicht angemessen" wurden auch die Schulschließungen im Frühling 2020 beurteilt. "Diese führten zu großen Belastungen von Eltern, Kindern sowie Jugendlichen und ziehen möglicherweise einschneidende Folgen für die Bildungsentwicklung zahlreicher Kinder und Jugendlicher nach sich", heißt es im Expertenbericht. Weiter sei die Angemessenheit des Verbots von nicht dringend angezeigten medizinischen Eingriffen infrage zu stellen.
Als Grund für die Fehler wird die "mangelnde Krisenvorbereitung bei Bund, Kantonen und betroffenen Institutionen" genannt. Das Krisenmanagement des BAG litt laut den Experten zudem unter länger bestehenden Problemen wie einer fehlenden digitalen Strategie und einer fehlenden Lagerhaltung von Schutzmaterial, die sich kurzfristig, während der Bewältigung der Pandemie, nicht lösen ließen. Ebenfalls seien Abläufe innerhalb des BAG vorgängig nicht klar definiert worden. "Die Krisenhandbücher des Amts waren nicht breit bekannt."
Deutschland wartet noch
Auch der Bundesrat, also die Regierung, hat demnach Fehler gemacht. So habe die Regierung der Taskforce im BAG und nicht den dafür in den Verordnungen zum Krisenmanagement des Bundes vorgesehenen Organen zentrale Aufgaben des Krisenmanagements übertragen. Die Experten empfehlen dort auch Verbesserungen. Das BAG soll sich demnach organisatorisch besser auf eine nächste Krise vorbereiten. Dazu sollen die notwendigen Ressourcen sichergestellt und das Krisenmanagement regelmäßig geübt werden.
Das BAG soll zudem dafür sorgen, dass wichtige Akteure systematisch in die Vorbereitung von Entscheidungen und in die Umsetzung von Maßnahmen einbezogen werden. Damit soll die Qualität und Akzeptanz der Entscheidungen erhöht werden. In einer möglichen nächsten Pandemie dringt das Expertenteam auch auf die Berücksichtigung indirekter Effekte der Pandemie-Maßnahmen, etwa die psychische Gesundheit. Außerdem sei es dringend nötig, die Digitalisierung und das Datenmanagement im Gesundheitswesen voranzutreiben und verbindlich zu regeln.
In der Schweiz wurden bislang 3.619.598 Covid-19 Infektionen erfasst, 13.690 Menschen starben an oder mit Corona (Stand: 27.04.2022). Dies entspricht einer Infektionsrate von 41,53 Prozent sowie einer Sterblichkeit von 0,38 Prozent.
In Deutschland ist im Infektionsschutzgesetz festgeschrieben, dass die ergriffenen Pandemie-Maßnahmen von einem interdisziplinären Expertengremium beurteilt werden sollen. Die Einschätzung soll bis Ende Juni vorliegen und Ende September veröffentlicht werden. Einem Bericht der "Welt" zufolge gibt es aber Differenzen zwischen dem Bundesgesundheitsministerium und den Expertinnen und Experten. Laut einer Stellungnahme aus dem Ministerium von Karl Lauterbach halten Mitglieder der Kommission die Datengrundlage für noch nicht ausreichend, "um die Wirkung der Corona-Maßnahmen zu bewerten und damit auch diesen Teil des Berichts abzuschließen". Das Ministerium nehme diesen "Sachgrund" ernst.
(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 27. April 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de, sba