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Vergewaltigung im Görlitzer Park Sieben-Sekunden-Video wirft neue Fragen auf

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Das kurze Video stammt vom Handy des Angeklagten D.

Das kurze Video stammt vom Handy des Angeklagten D.

(Foto: picture alliance/dpa)

Es sollte die "Wende" in dem Prozess bringen: Im Berliner Landgericht spielt die Strafverteidigung das sieben Sekunden lange Video ihres der Vergewaltigung beschuldigten Mandanten ab. Darin sei Einvernehmlichkeit zu erkennen. Doch die Aufnahmen sorgen für Unstimmigkeiten im Gerichtssaal.

Dickes Panzerglas trennt die drei Angeklagten vom restlichen Verhandlungssaal und der Videoaufnahme, die laut der Strafverteidigung alles ändern soll. Das Gesicht halb verborgen unter einem dunkelblauen Schal, sitzt Mountaga D. in dem gläsernen Kasten hinter seinen Verteidigern und blickt unverwandt zum Richterpult.

Es ist der dritte Verhandlungstag im Fall um den mutmaßlich brutalen Überfall auf das georgische Paar T. im Görlitzer Park in Berlin. Gemeinsam mit zwei weiteren Angeklagten muss sich D. wegen besonders schwerer Vergewaltigung, gefährlicher Körperverletzung und besonders schweren Raubes vor dem Berliner Landgericht verantworten. Am frühen Morgen des 21. Juni 2023 sollen die drei Männer das Ehepaar im Park überfallen und Emser T. mehrfach vergewaltigt haben. Zuvor hätten sie mit Ästen und Stöcken auf ihren Ehemann Oleg T. eingeschlagen und ihn ausgeraubt, heißt es in der Anklage.

Die kurze Videoaufnahme, die laut Verteidiger Christian Zimmer die "Wende" in dem Fall bedeuten könnte, stammt vom Handy seines Mandanten. Sie war ursprünglich nicht Teil der Verhandlung, erst im vergangenen Oktober habe die Verteidigung von deren Existenz erfahren. D. war nach eigenen Angaben davon ausgegangen, den kurzen Clip gelöscht zu haben - aus Rücksicht auf seine schwangere Freundin. Die Aufnahme soll am Tatmorgen entstanden sein und laut Verteidigung eines beweisen: Freiwilligkeit.

Aufnahme zeigt drei Personen

Der Vorsitzende Richter Thilo Bartl vergewissert sich, dass keiner der Anwesenden im Saal jünger als 16 Jahre ist. Dann richten sich alle Augen auf die Leinwand hinter den voll besetzten Presseplätzen. "Das Video ist nur sieben Sekunden lang, deshalb werden wir es mehrmals ansehen", erklärt Bartl und startet die Aufnahme.

Über den Köpfen der Pressevertreter erscheint die Aufnahme eines Gebüschs. In wenigen Metern Entfernung hockt eine bis auf weiße Turnschuhe vollständig entkleidete Frau vor einem Mann. Dieser steht mit dem Rücken zur Kamera und beugt sich über die Frau, die ihn oral zu befriedigen scheint. Dahinter sind die Umrisse einer dritten Person zu erkennen. Die augenscheinlich gewaltfreie Szenerie wird durch Vogelgezwitscher und leise Musik im Hintergrund begleitet. Etwa in der Mitte des Videos ertönt ein Würgelaut.

Unterbrochen durch kurze Hinweise Bartls zieht sich die Sequenz in Dauerschleife über die Leinwand. "Man achte auf die Lichtverhältnisse und die Bekleidung der Personen", sagt Bartl. Auf dem Video ist es taghell, alle Beteiligten tragen Turnschuhe, der Mann im Vordergrund ein graues T-Shirt, der dahinter ein schwarzes mit weißem Aufdruck. Auch auf die Handbewegung der Frau verweist Bartl. Bei Sekunde fünf lässt diese den rechten Arm sinken und scheint sich mit der Hand zwischen den Beinen zu berühren. Nach etwa drei Minuten unterbricht Bartl die Aufnahme.

Widersprüchliche Aussagen

In dem Fall hatte bislang jedwede Kenntnis über den Tathergang auf den Aussagen der mutmaßlichen Opfer beruht. Die am zweiten Prozesstag verlesene Stellungnahme D.s hatte das Geschehen dann in ein neues Licht gerückt - und den Angaben von Esmer T. in nahezu allen Punkten widersprochen. Der Geschlechtsverkehr sei einvernehmlich gewesen, Oleg T. habe ihn zum Sex aufgefordert, da seine Frau "einmal Sex mit einem Schwarzen" haben wollte, hatte D. zu Protokoll gegeben.

Nach dem Akt habe D. den Park verlassen. Auf dem Heimweg sei ihm aufgefallen, dass sein Portemonnaie verschwunden war - also sei er zurückgefahren. Aus der Ferne habe er gesehen, dass Emser T. "Oralverkehr mit einem anderen dunkelhäutigen Mann im Beisein ihres Mannes" gehabt habe. Da ihm das Geschehen seltsam vorgekommen sei, habe er die Szene mit dem Handy gefilmt.

"Nimm sie, bitte"

In Saal B129 erteilt Richter Bartl Mountaga D.s zweiter Verteidigerin Anke Heimann das Wort. In kurzen Sätzen erläutert sie die Videoaufnahme. Es seien keine Äußerungen des Missfallens vernehmbar gewesen. Zudem sei eine etwas undeutliche männliche Stimme auszumachen, deren Äußerung als "Nimm sie, bitte" verstanden werden könne. Die weibliche Person in dem Video sei Emser T. und die Person im Hintergrund ihr Ehemann. Das Video belege eindeutig die Darstellung ihres Mandanten, es gebe keinerlei Anzeichen für eine Gruppenvergewaltigung, sagt Heimann. Hinter ihr nickt D. kaum merklich mit dem Kopf.

Abermals verweist Heimann auf die "inhaltsarmen Aussagen" von Emser T. Auch Zimmer hatte die Angaben T.s zuvor als widersprüchlich bezeichnet. Gegenüber der Polizei habe sie behauptet, keinen der Täter identifizieren zu können, weil es zu dunkel gewesen sei. Das Video seines Mandanten zeige jedoch, dass es um 5 Uhr morgens taghell gewesen war.

Aussage von Emser T. erwartet

Ob das Video nun wirklich die Wende in dem Fall bedeutet, ist ungewiss. Fest steht, dass auch nach dem dritten Prozesstag nicht weniger Fragen durch den Verhandlungssaal schwirren als zuvor. Denn obwohl man in dem Video vieles sieht, sieht man womöglich nicht genug. Den Aussagen seiner Vorredner tritt auch die Staatsanwaltschaft entschieden entgegen. Niemand sei auf dem Video zweifelsfrei zu identifizieren, auch Freiwilligkeit lasse sich nicht feststellen. Das Sinken des Armes deutet Staatsanwalt Pietzsch als "heftige Armbewegung" - Emser T. könnte sich also doch gewehrt haben? Er habe wohl "den Boden der Ernsthaftigkeit verlassen", schallt es vonseiten der Strafverteidigung zurück.

Richter Bartl bittet um Contenance und verweist auf die bevorstehenden Termine. Am 12. oder 15. Februar werde die Aussage von Emser T. erwartet. Nach Gerichtsangaben befindet sich die 27-Jährige momentan mit ihrem Ehemann in Georgien. Mit ihrer Aussage könnte T. den Fall erneut in eine andere Richtung lenken - wenn sie denn erscheint.

Quelle: ntv.de

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