Panorama

Ansteckung und Hilflosigkeit Sind Schulen infektiöses Niemandsland?

Lüften allein wird nicht reichen, um den Unterrichtsbetrieb aufrechtzuerhalten.

Lüften allein wird nicht reichen, um den Unterrichtsbetrieb aufrechtzuerhalten.

(Foto: picture alliance/dpa)

Während der zweiten Welle sollen Schulen auf jeden Fall offen bleiben. Doch nun zeigt sich: Es gibt dort viele Ansteckungen und noch immer kein wirkliches Konzept. Langsam läuten die Alarmglocken.

Lange wiegte man sich in einem trügerischen Sicherheitsgefühl, dass Schulen nicht zu den Hauptinfektionsherden der Corona-Pandemie gehören. Studien ließen das vermuten, auf dieser Grundlage wurden politische Entscheidungen getroffen. Doch nun zeigt sich, dass es in den Schulen sehr wohl ein signifikantes Infektionsgeschehen gibt.

Dem Deutschen Lehrerverband zufolge befinden sich derzeit mehr als 300.000 Schülerinnen und Schüler in Corona-Quarantäne, weil sie Kontakt zu positiv getesteten Personen hatten oder selbst infiziert sind. Ende September waren es erst rund 50.000, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger der "Bild"-Zeitung. Hinzu kämen bis zu 30.000 Lehrerinnen und Lehrer in Quarantäne. Die Folge seien immer mehr Schulschließungen.

Im NDR-Podcast "Corona Update" hatte der Berliner Virologe Christian Drosten am Dienstag bereits deutliche Worte für die sich zuspitzende Schulproblematik gefunden: "Der Eindruck erhärtet sich, dass die Schuljahrgänge genauso zum Verbreitungsgeschehen beitragen wie andere Altersgruppen in der Bevölkerung." Dass das bisher nicht gesehen wurde, hat einen simplen Grund. Viele Studien zur Rolle der Schulen stammen aus der Zeit des ersten Shutdowns. Im Frühjahr waren aber, anders als jetzt, auch Schulen und Kitas geschlossen. Unter anderem wegen der Vermutung, dass Kinder von Corona-Infektionen weniger betroffen sind, wurden die Maßnahmen im Herbst-Lockdown "light" so ergriffen, dass Schulen und Kitas weitgehend im Normalbetrieb arbeiten.

Hygienekonzepte reichen nicht

Doch nun zeigt sich: Schulen sind nicht unbedingt Infektionsbeschleuniger, aber eben auch keine Corona-freien Inseln. Von den Bundesländern weist lediglich Berlin die 7-Tage-Inzidenz nach Altersgruppen aus. Im aktuellen Lagebericht des Landesamtes für Gesundheit und Soziales liegt erstmals die Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen bei der Häufigkeit von Corona-Infektionen vorn. Sie übertrifft demnach die zuvor an der ersten Stelle stehenden 20- bis 24-Jährigen. Berlinweit liegt die Inzidenz bei 189 pro 100.000 Einwohner, bei den 15- bis 19-Jährigen bei 312, bei den Zehn- bis 14-Jährigen bei 161 und bei den jüngeren Schülern zwischen 5 und 9 Jahren bei 90. Ob die Jugendlichen sich tatsächlich in der Schule angesteckt haben, ist unklar. Der Amtsarzt des Berliner Bezirkes Reinickendorf, Patrick Larscheid, äußerte im "Tagesspiegel" die Vermutung, dass die Ansteckungen eher außerhalb der Schule stattfinden, "wo die Kontakte nicht so strukturiert sind". Denn auch die Schulen sind zu Hygienekonzepten verpflichtet, die sich allerdings auf dem ganzen Spektrum von "konsequent und gut umgesetzt" bis "kaum zu bemerken" bewegen und zudem umstritten sind. Abstandsregeln sind vor allem von kleineren Kindern nur schwer einzuhalten, das Händewaschen und die Verwendung von Desinfektionsmitteln ist kaum zu überprüfen. Lehrer beklagen zudem, dass es den Unterricht auch nicht leichter macht, wenn man regelmäßige Lüftungspausen einlegen und dafür sorgen muss, dass alle Schüler warm genug angezogen sind.

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek sprach sich bereits für eine Maskenpflicht im Unterricht auch in Grundschulen aus, stieß damit allerdings auf ein geteiltes Echo. Die rheinland-pfälzische Bildungsministerin und Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Stefanie Hubig, hält es derzeit nicht für notwendig und begründet das unter anderem damit, dass kleine Kinder nicht die Überträger der Corona-Infektionen seien. Ob das stimmt, ist inzwischen aber mehr als fraglich. Ilka Hoffmann von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft argumentiert, Kinder seien beim Lesen- und Schreibenlernen und auch aus emotionalen Gründen auf die Mimik angewiesen. In mehreren Bundesländern gilt wegen der gestiegenen Infektionszahlen derzeit eine Maskenpflicht im Unterricht an weiterführenden Schulen. In höheren Klassenstufen sind Mund-Nasen-Bedeckungen auch im Unterricht relativ üblich, durchsetzen müssen das Tragen allerdings Lehrpersonen.

Tests und die Dunkelziffer

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Laut dem jetzigen Forschungsstand stecken sich Kinder und Jugendliche vermutlich genauso oft mit dem Coronavirus an wie andere Altersgruppen, entwickeln aber seltener Symptome als Erwachsene. Deshalb wird die Infektion bei Kindern vermutlich häufiger übersehen. Schulen, die eigene Teststrategien entwickelt haben und beispielsweise alle zwei Wochen sämtliche Lehrpersonen und alle Lernenden testen, weisen höhere Infektionsraten auf als Schulen, die nicht so umfangreich testen. Schulen mit höheren Zahlen müssen die Maßnahmen entsprechend anpassen, während Schulen mit niedrigeren Zahlen einfach auf dem bisherigen Niveau weitermachen, obwohl sie möglicherweise einfach nur keine Kenntnis von den tatsächlich vorhandenen Infektionen haben. Eine Studie zu Antikörpern aus Bayern zeigte zudem bei Kindern sechsmal häufiger Hinweise auf eine überstandene Infektion, als sich aufgrund der positiven Tests vermuten ließ. Das heißt, dass auch bei konsequenter Testung eine Dunkelziffer nicht erkannter Infektionen bleibt.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet brachte einen früheren Beginn der Weihnachtsferien ins Gespräch, um Familien ein gemeinsames Weihnachtsfest zu ermöglichen, auch wenn sie Schulkinder mit unklarem Infektionsstatus haben. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zeigte sich bei ntv für den Vorschlag offen. "Das ist sicherlich ein Teil der Debatte, auch für Montag oder auch für die Folgewochen", sagte Spahn vor den für Montag geplanten Beratungen von Bund und Ländern zum Stand der Corona-Pandemie. Er betonte, für Eltern, Kinder und Lehrer sei hier eine Planbarkeit wichtig. Möglicherweise ist die bisherige Schulstrategie einfach anders falsch als die vom Frühjahr.

Quelle: ntv.de, sba

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