Panorama

Mutter und Tochter umgebracht Spätes Liebesglück in Ghana endet tödlich

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Claudia W. lebte zuletzt gemeinsam mit ihrer Tochter und ihrem Freund in einem kleinen Küstenort in Ghana.

(Foto: picture-alliance/ ZB)

Claudia W. lernt ihren zehn Jahre jüngeren Freund aus Burkina Faso im Internet kennen. Für eine gemeinsame Zukunft wagt die Frührentnerin den Schritt und zieht ins westafrikanische Ghana. Rund zehn Monate später sind sie und ihre Tochter tot. Alles deutet auf eine Beziehungstat hin.

Schon seit Tagen haben die Nachbarn Claudia W. und ihre 13-jährige Tochter Katja nicht mehr gesehen. Dann zieht ein stechender Geruch durch die tropische Luft in der Nachbarschaft des kleinen Küstenortes Kokrobite im westafrikanischen Ghana. Er kommt vom saftig-grünen und leicht verwilderten Grundstück der beiden Deutschen. Die Nachbarn ahnen Schlimmes, als sie am 7. Oktober 2020 die örtliche Polizei rufen.

Die Nachricht um den Gestank und die düstere Vorahnung verbreitet sich rasend schnell unter den Bewohnern. In dem Vorort der Hauptstadt Accra passiert üblicherweise nicht viel. Ein paar Männer fahren morgens mit ihren bunt bemalten Fischerbooten auf das Meer und hoffen auf den großen Fang. Beobachtet werden sie von Touristen oder Praktikanten aus dem Ausland, die in der Hauptstadt wohnen und in der idyllischen Kleinstadt mit den kilometerlangen weißen Sandstränden ein bisschen Ruhe vom Chaos der Metropole suchen. "Lasst eure Pässe und das Bargeld lieber zu Hause", werden sie von Ortskundigen oft gewarnt. Manchmal kommt es zu Diebstählen der bunten Strandtaschen und Rucksäcke der "Obronis", wie Weiße in der Landessprache Twi genannt werden. Mehr Kriminalität kennen die Bewohner hier kaum - eigentlich kennt jeder jeden.

An diesem Tag ist von der Vorstadt-Idylle nicht viel übrig. Als die Polizisten bei dem Grundstück mit dem kleinen gelben Haus von Claudia W. und ihrer Tochter eintreffen, haben sich schon rund drei Dutzend Männer und Frauen auf der unbefestigten Straße davor versammelt, wie ein Video in den sozialen Medien zeigt. Sie reden aufgeregt durcheinander. Zwei Jungen mit bunten T-Shirts stehen etwas verloren in der Menge, ein neugieriger Zuschauer späht über die Steinmauer des Geländes und beobachtet das Handeln der Beamten. Schließlich bestätigt die Polizeisprecherin Effia Tenge den Verdacht der Nachbarn: Die 53-Jährige und ihre Tochter sind tot.

"Er ist kein Ghanaer!"

"Als wir den Anruf mit dem Verdacht der Nachbarn bekamen, mussten wir uns beeilen", sagt die Beamtin nach dem Leichenfund im Interview mit örtlichen Medien. Zwischen ihren Sätzen macht sie eine kurze Pause und blickt immer wieder kurz auf den Boden, bevor sie ruhig und überlegt in die Kamera spricht. Nach kurzen Ermittlungen auf dem Wohngelände fand die Polizei den Ort, wo die Leichen von Mutter und Tochter liegen. Sie wurden unter einem Busch verscharrt - nur ein paar Meter von ihrem Häuschen entfernt. "Wir warten nun auf eine Exhumierungsanordnung", erklärt sie. Die Beamten gehen bereits von einem Verbrechen aus.

Während die Polizei den Fundort genauer untersucht, wird die versammelte Nachbarschaft immer aufgebrachter. Auf einem Video ist zu sehen, wie einer von ihnen immer wieder ruft: "Er ist kein Ghanaer, er ist kein Ghanaer!" Der aufgeregte Mann meint den Lebensgefährten der Getöteten, Boigouna A. Der 43-jährige Schmuckhersteller kommt aus dem Nachbarland Burkina Faso. Er und Claudia W. hatten sich vor drei Jahren über das Internet kennen- und lieben gelernt, wie die "Bild"-Zeitung berichtete. Die Beziehung habe mit vielen Liebesschwüren begonnen, stundenlang chatteten sie per Video. "Im letzten halben Jahr vor der Abreise sind sie am Laptop gemeinsam aufgestanden und schlafen gegangen", erzählt Claudias Ex-Mann und Vater von Katja, Ralf B., der "Bild".

Im Januar 2020 brach die gelernte Arzthelferin laut der Zeitung schließlich alle Zelte im kleinen Bodenburg bei Hildesheim ab und wanderte mit ihrer Tochter nach Westafrika aus. In Deutschland habe die Frührentnerin, die unter einer Beinbehinderung litt, nichts mehr gehalten. Also bezog sie mit ihrem Freund Boigouna A. drei Zimmer mit großem Garten in Kokrobite. Einen Supermarkt gibt es nicht, dafür ist der Atlantik in Laufnähe.

Das Liebesglück bröckelte

Ralf B. hielt den Kontakt zu den Auswanderern. Laut "Bild" lief es anfangs gut zwischen Claudia und ihrem Boigouna. Wegen der Corona-Pandemie bekam dieser jedoch finanzielle Probleme, da sein Geschäft weggebrochen sei. Die Stimmung zwischen ihm und seiner Freundin begann zu kippen. B. soll Claudia bestohlen haben. Auch die ständige Hitze und eine Malaria-Erkrankung ihrer Tochter sollen der 53-Jährigen zunehmend zu schaffen gemacht haben. Sie habe nach Deutschland zurückkehren wollen, zitiert die Zeitung Claudias Ex-Mann. Dieser Chat sei der letzte zwischen ihnen gewesen.

Denn rund zehn Monate nach dem Start des Auswander-Abenteuers ist die 53-Jährige tot - und ihr Lebensgefährte A. tatverdächtig. "Glücklicherweise konnten wir den Verdächtigen festnehmen", erklärt Polizeisprecherin Tenge bereits kurz nach dem Auffinden der Leichen. Er sei zusammengebrochen und habe den Ermittlern "seine Sicht der Geschehnisse" geschildert. "A. berichtete von einem Missverständnis, das zwischen ihm und seiner Freundin aufkam", berichtet Tenge den örtlichen Medien. Das habe ihn "zum Äußersten" gebracht. A. habe seine Freundin demnach mit einem Hammer erschlagen. Weil er befürchtete, dass ihre 13-jährige Tochter zur Polizei gehen würde, erwürgte er sie. Um den Verdacht von sich zu lenken, vergrub er die Leichen anschließend im Garten. Trotz des Geständnisses von Boigouna A. "nimmt die Polizei ihre eigenen Ermittlungen in dem Fall auf", sagt Tenge.

Und diese polizeilichen Ermittlungen dauern an. Auf ihrem offiziellen Twitter-Account kündigte die Polizei Ghana noch am Nachmittag des 7. Oktobers 2020 eine Autopsie der Leichen im Polizeikrankenhaus der Hauptstadt an. Anfang Juli dieses Jahres erreicht das Amtsgericht Weija unweit von Accra dann das Ergebnis der Untersuchung, das "Ersticken und Erwürgen" als Todesursachen sowie ein "mutmaßliches Tötungsdelikt" der beiden Deutschen bestätigt. Der Schlag mit dem Hammer auf den Kopf von Claudia wird laut den örtlichen Medien jedoch nicht erwähnt. Das trägt der Ermittler der Staatsanwalt, Chefinspektor Frazer Nutakor vor und betont, dass die Generalstaatsanwaltschaft die gerichtsmedizinischen Ergebnisse der Autopsie als wichtiges Beweismittel im demnächst beginnenden Mordprozess erachte. Eigentlich sollte dieser bereits im April 2021 beginnen.

Prozess wird immer wieder verschoben

Zuvor hatte Richter Ruby Ntiri Opoku auf Wunsch der Staatsanwaltschaft angeordnet, dass Chefinspektor Nutakor vor Gericht aussagen soll, "um dem Gericht zu helfen, die Umstände des Ablaufs der Angelegenheit zu verstehen." Boigouna A. selbst war nicht vor Gericht erschienen. Der 43-jährige, der auf vielen Fotos in den sozialen Netzwerken mit einem leuchtend gelben T-Shirt und Rasta-Zöpfen zu sehen ist, sitzt allerdings seit dem 7. Oktober 2020 in Untersuchungshaft, wie die Polizei auf Twitter schreibt. Die Mordermittlungen laufen - eine offizielle Anklage gibt es jedoch noch nicht.

Seit dem angedachten Start im April dieses Jahres wurde der Termin für die Anklageerhebung immer wieder vom Gericht verschoben: Erst gab Richterin Opoku den Ermittlern mehr Zeit, dann fehlte ein toxikologisches Gutachten. Im Juli gab es dann einen Lichtblick: Ermittler Nutakor erklärte vor Gericht, "dass die Generalstaatsanwaltschaft nun grünes Licht gegeben hat für die Erhebung einer Anklage." Nach Abschluss aller Prüfungen werde der Fall vom Oberstaatsanwalt dann an ein übergeordnetes Gericht weitergeleitet. Am 30. August sollte es soweit sein. Doch auch an diesem Tag verschob der Richter das Verfahren - nun bereits zum vierten Mal. Ein Gutachten des Oberstaatsanwalts stehe noch aus.

Mittlerweile wurde die Asche von Claudia W. und ihrer Tochter auf dem Friedhof in ihrer ehemaligen Heimat nahe Hildesheim beigesetzt. Über die Plattform "betterplace.me" hatte eine Freundin der Getöteten 3000 Euro für das Begräbnis von Mutter und Tochter gesammelt.

Ob das späte Liebesglück der 53-Jährigen aus Niedersachsen eine schreckliche Wendung nahm und sie sowie ihre Tochter tatsächlich durch eine Beziehungstat sterben mussten oder ob jemand anderes für die Tat verantwortlich ist, wird das Gericht herausfinden müssen. Ebenso werden die Richter viele Fragen und Unklarheiten aufklären müssen. Warum steht im Autopsiebericht nichts über Claudias vermutete Todesursache? Wenn A. der Täter war - was war sein Motiv? Worüber hatte er an jenem Tag im Oktober mit seiner Freundin gestritten? Vielleicht beginnt die Suche nach Antworten bereits am 13. September - dann soll der Prozess gegen Boigouna A. endlich starten.

Quelle: ntv.de, mit dpa

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