Panorama

Weltweit erster Prozess Staatsfolter in Syrien: Lebenslange Haft gefordert

In mindestens 30 Fällen sollen die Folterverbrechen unter der Befehlsgewalt des Angeklagten Anwar R. (r.) zum Tod geführt haben.

In mindestens 30 Fällen sollen die Folterverbrechen unter der Befehlsgewalt des Angeklagten Anwar R. (r.) zum Tod geführt haben.

(Foto: picture alliance/dpa)

Unter der Befehlsgewalt von Anwar R. sollen in Syrien Tausende Menschen gefoltert worden sein. Die Bundesanwaltschaft fordert nun lebenslange Haft für ihn. Der Oberstaatsanwalt betont in seinem Plädoyer eine besondere Verantwortung Deutschlands.

Im weltweit ersten Prozess um Mord und Folter durch den syrischen Staat hat die Bundesanwaltschaft für den Hauptangeklagten eine lebenslange Haftstrafe gefordert. In ihrem Plädoyer vor dem Oberlandesgericht Koblenz forderte sie unter anderem eine Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mordes in mindestens 30 Fällen sowie Vergewaltigung. Zudem soll das Gericht die besondere Schwere der Schuld feststellen.

In dem Prozess in der rheinland-pfälzischen Stadt muss sich ein mutmaßlicher früherer Befehlshaber des Al-Khatib-Gefängnisses in der Hauptstadt Damaskus verantworten. Bei Anwar R. soll es sich um einen früheren Mitarbeiter des Geheimdiensts des syrischen Machthabers Baschar al-Assad handeln. Unter seiner Befehlsgewalt sollen zwischen April 2011 und September 2012 mindestens 4000 Häftlinge in der berüchtigten Haftanstalt mit Schlägen, Tritten und Elektroschocks gefoltert worden sein.

Mindestens 30 Gefangene sind der Bundesanwaltschaft zufolge währenddessen gestorben. In der Anklage war zuvor sogar von 58 verstorbenen Gefangenen die Rede gewesen. Diese Zahl verringerte sich laut Bundesanwaltschaft später wegen festgestellter Gedächtnislücken von Zeugen und personeller Überschneidungen.

Oberstaatsanwalt: Das "sind wir den Opfern schuldig"

Oberstaatsanwalt Jasper Klinge betonte am 104. Verhandlungstag in dem mehrstündigen Plädoyer der Bundesanwaltschaft, gerade in Deutschland sei es aufgrund historischer Verantwortung wichtig, Verbrechen an der Menschlichkeit - wie in der vorliegenden Anklage beschrieben - nicht hinzunehmen. Das "sind wir den Opfern schuldig". Ihnen müsse Gehör verschafft werden. Die in Rede stehende staatliche Folter sei ein Angriff auf die internationale Gemeinschaft. Das Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht erlaubt es, auch hierzulande mögliche Kriegsverbrechen von Ausländern in anderen Staaten zu verfolgen.

In dem Prozess war auch ein zweiter Mann angeklagt, der als Untergebener an den Folterungen beteiligt war. Ihn verurteilte das Gericht bereits im Februar wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu viereinhalb Jahren Haft. Die Verhandlung gegen den mutmaßlichen Hauptbeschuldigten R. lief noch weiter.

Der Prozess gegen die beiden Beschuldigten hatte im April 2020 begonnen. Ins Rollen war der Fall gekommen, nachdem nach Deutschland geflüchtete Opfer ihre mutmaßlichen Peiniger wiedererkannt hatten. Sie berichteten im Prozess detailliert davon, wie sie im Gefängnis gefoltert worden waren.

Dass der Prozess in Deutschland stattfindet, liegt am sogenannten Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht. Demnach dürfen auch Taten verhandelt werden, die keinen unmittelbaren Bezug zu Deutschland haben. Die beiden Angeklagten wurden im rheinland-pfälzischen Zweibrücken und in Berlin festgenommen.

Gegenüber Medien sagte der Oberstaatsanwalt in einer Prozesspause, vorbehaltlich von Unwägbarkeiten wie etwa der künftigen Corona-Situation könnte das Urteil am 13. Januar 2022 fallen. Der Prozess hatte bereits im April 2020 begonnen.

Quelle: ntv.de, mpe/dpa/AFP

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