Suizid des Co-Piloten Wie die Luftfahrt aus der Germanwings-Tragödie gelernt hat
24.03.2025, 14:56 Uhr Artikel anhören
Technisches oder menschliches Versagen. die Germanwings-Katastrophe hat vor allem letzteres in den Fokus gerückt.
(Foto: dpa)
Das Germanwings-Unglück von 2015 hat weitreichende Veränderungen im Luftverkehr zur Folge. Neue Sicherheitsvorschriften betreffen vor allem die psychische Gesundheit der Piloten. Experten halten einen ähnlichen Vorfall nun für sehr unwahrscheinlich.
Beim Germanwings-Unglück bestehen nach den Ermittlungen französischer und deutscher Behörden an der Täterschaft von Andreas Lubitz keine berechtigten Zweifel. Der 27 Jahre alte Co-Pilot hat am 24. März 2015 erst seinen Kapitän aus dem Cockpit ausgeschlossen, dann den Airbus-Jet auf Kollisionskurs gesetzt und 149 unschuldige Menschen mit in den Tod gerissen. Nachdem diese Fakten geklärt waren, lautete die drängendste Frage, wieso der psychisch schwer angeschlagene Lubitz überhaupt noch im Dienst der Lufthansa-Tochter stehen konnte.
Anzeichen für massive psychische Probleme wurden im Nachhinein reichlich gefunden: Schon seine Pilotenausbildung bei der Lufthansa musste Lubitz 2009 wegen depressiver Störungen unterbrechen. In den Wochen vor dem Absturz soll er nicht weniger als 41 Ärzte besucht haben, die nichts voneinander wussten, ihm reichlich Psychopharmaka verschrieben und die Fluggesellschaft nicht informierten. Lubitz fürchtete um sein Augenlicht, verschwieg aber dem Arbeitgeber seine Krankschreibung und trat stattdessen seinen Dienst zum Todesflug an.
Keine strafrechtlichen Konsequenzen
Wie nach jedem schweren Zwischenfall im Luftverkehr wurde auch der Germanwings-Absturz in den französischen Alpen nach möglichen Verbesserungen der Sicherheitsvorschriften abgeklopft. Hätte Lubitz gestoppt werden können? Strafrechtlich hat sich nach Überzeugung der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft niemand schuldig gemacht - nicht die Fliegerärzte, keine Privatpersonen und auch nicht der flugmedizinische Dienst der Lufthansa. Einige Angehörige der Opfer haben noch eine Zivilklage gegen das Luftfahrtbundesamt angestrengt, über die bislang nicht verhandelt worden ist.
Die deutschen und europäischen Behörden haben einige Schlüsse gezogen und Vorschriften geändert. Vor allem die Psyche der Pilotinnen und Piloten wurde bei den jährlichen Flugtauglichkeitsuntersuchungen wie auch bei Hilfsangeboten stärker ins Blickfeld genommen.
Letztlich erscheinen die Maßnahmen sinnvoll, wie Frank Blanken, Sprecher der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC), sagt: "Jedes System kann mit einer gewissen negativen Energie ausgehebelt werden. Ein zweiter Fall Lubitz ist so aber aus meiner Sicht sehr unwahrscheinlich. Es bleibt unser Ziel, zusammen mit allen Beteiligten das System so sicher wie nur möglich zu machen."
Die Maßnahmen
Flugmedizinische Datenbank soll Ärzte-Hopping verhindern: Um zu verhindern, dass erkrankte Piloten immer wieder andere Ärzte konsultieren, um doch noch ein Tauglichkeitszeugnis zu erhalten, wurde im Sommer 2016 per Luftverkehrsgesetz eine flugmedizinische Datenbank eingerichtet. Später wurde sie europaweit eingeführt. In der Datenbank haben die vom Luftfahrtbundesamt beauftragten Fliegerärzte Zugriff auf die Daten der sich vorstellenden Pilotinnen und Piloten.
Lufthansa verlangt zusätzliche Tauglichkeitszeugnisse: Nach dem Germanwings-Unglück hat die Lufthansa ihre internen Vorschriften zum Umgang mit den Flugtauglichkeitszeugnissen (Medicals) in Absprache mit den Arbeitnehmervertretungen verschärft. Sie verlangt nun von erkrankten Piloten bereits nach drei Wochen Arbeitsunfähigkeit zwingend ein neues Tauglichkeitszeugnis, auch wenn dies eigentlich nach Ablauf der Krankschreibung nicht notwendig wäre.
Verdachtsunabhängige Substanzkontrollen vor Flugantritt: Neu sind seit 2016 auch verdachtsunabhängige Kontrollen der Crews auf Alkohol, Drogen und Medikamente (ADM) unmittelbar vor Flugeinsätzen. Das Luftverkehrsgesetz verpflichtet die Airlines zur Durchführung entsprechender Stichproben unter ärztlicher Aufsicht. Das Luftfahrtbundesamt kontrolliert wiederum stichprobenartig, ob diese Kontrollen tatsächlich stattfinden. Seit 2020 gelten die Vorschriften europaweit.
EASA lässt Fliegerärzte mehr nach psychischen Problemen fragen: Für die jährlichen flugmedizinischen Untersuchungen hat die Europäische Luftsicherheitsbehörde EASA zusätzliche Fragen zur psychischen Gesundheit verfügt. Auf einen expliziten Test wurde wegen der Gefahr von Falschantworten verzichtet.
Niedrigschwellige Hilfsangebote erweitert: Die Airlines sind nach Europarecht verpflichtet, gefährdeten Piloten Anlaufstellen für Hilfe in einem geschützten Rahmen anzubieten. "Wenn sich belastete Kollegen nicht melden, wird es nur schlimmer", sagt dazu VC-Sicherheitsexpertin Anja Granvogl. "Die betroffenen Kollegen sind meist mehr als einverstanden, den Flugdienst vorübergehend zu verlassen. Aber sie brauchen auch eine klare Perspektive, dass sie schnell zurückkehren können, wenn sie gesund sind."
Das bereits zuvor präsente Freiwilligen-Programm "AntiSkid" wurde nach dem Germanwings-Vorfall für psychische Probleme geöffnet, nachdem es ursprünglich gegründet worden war, um Suchtproblemen zu begegnen. Hier können sich Gefährdete zunächst an Kollegen wenden und erhalten schnelle Hilfe. Nach Angaben des klinischen Psychologen Gerhard Bühringer werden jährlich bis zu 120 Piloten behandelt. Die Erfolgsquote mit wiedererlangter voller Flugtauglichkeit beziffert er in einem Interview der Funke-Gruppe auf etwa 90 Prozent. Die Fliegerärzte kritisieren aber lange Entscheidungszeiträume beim Luftfahrtbundesamt bis zur Wiederzulassung.
Zwei-Personen-Regel wieder zurückgenommen: Ziemlich schnell nach dem Absturz verfügte die Europäische Luftsicherheitsagentur EASA, dass zu jedem Zeitpunkt eines Fluges zwei Personen im Cockpit sein müssen, um einen Alleingang wie den von Andreas Lubitz zu verhindern. In einer späteren Evaluation wurden aber zusätzliche Risiken festgestellt, wenn die gepanzerte Tür häufiger geöffnet wird und andere Crew-Mitglieder leichter Zugang erhalten. Die Regel wurde im Einvernehmen zwischen dem Branchenverband BDL und dem Bundesverkehrsministerium wieder aufgehoben.
Fliegerärzte unterliegen weiterhin der Schweigepflicht: Trotz gegenteiliger Anregungen der französischen Untersuchungsbehörde BEA ist die Schweigepflicht der deutschen Fliegerärzte unangetastet geblieben. Die Piloten bleiben verantwortlich für die eigene Flugtauglichkeit. Allerdings verpflichten die Airlines ihr fliegendes Personal, das medizinische Tauglichkeitszeugnis vorzulegen. Ohne dieses Dokument erfolgt kein Flugeinsatz, versichert die Lufthansa. Dies schützt allerdings nicht vor falschen Angaben von Betroffenen bei den Untersuchungen.
Ökonomische Absicherung für Piloten bei Fluguntauglichkeit: Die tariflichen Absicherungen sind nach Einschätzung der Vereinigung Cockpit nicht mehr zeitgemäß. Viele Kollegen nutzen die Möglichkeit privater Vorsorge mit Versicherungen bei Fluguntauglichkeit. Die VC empfiehlt jungen Kollegen immer, sich ein zweites berufliches Standbein zu schaffen, etwa über ein Studium. Nach dem deutschen Qualifizierungsrahmen ist der Verkehrspilotenschein zwar einem Bachelor-Abschluss gleichgestellt, fluguntaugliche Piloten haben aber Schwierigkeiten, sich in anderen Jobs zu etablieren.
Quelle: ntv.de, Christian Ebner, dpa