Durchbrüche ändern nichts UK-Statistik: Impfungen bleiben hochwirksam
09.11.2021, 19:58 Uhr
Je höher die Impfquote, desto höher der Anteil der Impfdurchbrüche - über die Wirksamkeit der Vakzine sagt das nichts aus.
(Foto: imago images/Andre Lenthe)
Ein Großteil der Menschen, die aktuell in Großbritannien mit Covid-19 ins Krankenhaus kommen oder daran sterben, sind geimpft. Das bedeutet aber nicht, dass die Vakzine nur unzureichend schützen. Ein genauer Blick in die Statistik zeigt, dass genau das Gegenteil der Fall ist.
Laut RKI gab es in Deutschland seit Februar 2021 mehr als 145.000 registrierte Impfdurchbrüche, die Dunkelziffer ist vermutlich weit höher. Einer Umfrage des MDR ist aktuell etwa ein Drittel der Menschen, die mit Covid-19 in mitteldeutsche Kliniken kommen, vollständig geimpft. Auch auf den Intensivstationen ist dort der Anteil von geimpften Corona-Patienten mit rund einem Viertel hoch. In anderen Regionen mit vergleichbaren Inzidenzen sieht es vermutlich ähnlich aus.
Anteil der Impfdurchbrüche kein Maßstab
Viele Menschen schließen daraus, dass die Vakzine nicht mehr so gut wirken oder noch nie eine so hohe Schutzwirkung hatten, wie behauptet. Um die Wirksamkeit der Vakzine zu beurteilen, ist der Anteil der Geimpften an den schweren Erkrankungen aber denkbar ungeeignet. Im Idealfall wären sogar alle Covid-19-Patienten geimpft, denn das würde bedeuten, dass Deutschland eine Impfquote nahe 100 Prozent erreicht hätte - mehr aber auch nicht. Das gleiche Ergebnis hätte man, wenn alle Deutschen Vegetarier wären, blaue T-Shirts trügen oder Globuli schluckten.
Um die Wirkung der Vakzine zu beurteilen, muss man die Risiken, symptomatisch oder schwer zu erkranken oder zu sterben bestimmen. Der Schutz vor einer Infektion an sich ist quasi nur das Sahnehäubchen, aber nicht die Hauptaufgabe der Impfstoffe.
Die Werte aus den Zulassungsverfahren der Mittel stimmen kaum noch, denn sie basieren auf älteren Virusvarianten. Spätestens mit der jetzt vorherrschenden Delta-Mutante wurden die Karten neu gemischt und die Schutzwirkung muss laufend neu bestimmt werden.
Mehr als 50 Prozent Impfdurchbrüche in UK
Die deutschen Statistiken taugen dazu nicht, denn es gibt keine allgemeine Erfassung und keinen Abgleich der entsprechenden Daten. Eine hohe Aussagekraft haben dagegen die britischen Statistiken, die fast alle Covid-19-Infektionen, Corona-Hospitalisierungen und -Sterbefälle nach Altersgruppen und Impfstatus erfassen.
Laut dem jüngsten britischen Bericht zur Impfüberwachung im Vereinigten Königreich waren im Oktober von rund 975.000 registrierten Covid-19-Infizierten mehr als die Hälfte (440.000) vollständig geschützt, etwa 413.000 waren ungeimpft. In den weiteren Fällen konnte der Impfstatus nicht ermittelt werden.
Knapp zwei Drittel (5534) der 8722 Infizierten, die mit Covid-19 ins Krankenhaus kamen, waren geimpft. Von 3823 Menschen, die binnen 28 Tagen nach ihrer Ansteckung an Corona starben, hatten sogar fast alle (3011) beide Vakzin-Dosen erhalten.
Alter und Impfquoten machen den Unterschied
Um diese auf den ersten Blick erstaunlichen Zahlen zu beurteilen, muss man sie getrennt nach Altersgruppen und deren Impfquoten betrachten. Dann sieht man zunächst, dass sich das Infektionsgeschehen vor allem bei Kindern und Jugendlichen abspielt. Rund 398.000 Infektionen fanden bei den minderjährigen Briten statt.
Die unter 12-Jährigen haben grundsätzlich noch keinen Impfschutz. Aber auch von den 12- bis 15-Jährigen haben laut Gesundheitsministerium lediglich 0,4 Prozent bereits beide Dosen erhalten, bei den 16- bis 17-Jährigen sind auch nur rund 12 Prozent bisher vollständig geschützt.
Es ist also kaum überraschend, dass es in dieser Altersgruppe lediglich 818 Impfdurchbrüche gab. Grundsätzlich ist auch das Risiko einer schweren Erkrankung bei ungeimpften Minderjährigen niedrig, doch 539 von ihnen kamen ins Krankenhaus, sechs von ihnen starben. Von der geimpften Gruppe kam nur eine Person ins Krankenhaus, Todesfälle wurden nicht registriert.
Zusätzliche Faktoren: Verhalten und Vorerkrankungen
Dass das Verhalten eine wichtige Rolle bei Impfdurchbrüchen spielt, sieht man an den 18- bis 29-Jährigen. Knapp 33.600 der insgesamt 75.200 Infektionen bei vollständig Geschützten fanden in dieser Altersgruppe statt. Rund 58 Prozent von ihnen sind vollständig geschützt, was vermutlich viele leichtsinnig sein lässt. Hinzu kommt, dass das soziale Verhalten in diesem Alter ohnehin stark ausgeprägt ist.
Der Leichtsinn ist nicht ganz unbegründet, aber trotzdem gefährlich. 212 Ungeimpfte landeten im Krankenhaus, sieben von ihnen starben. Bei den Geimpften erkrankten 71 schwer und zwei erlagen der Krankheit. Dabei muss man aber berücksichtigen, dass in diesen Fällen fast immer eine schwere Vorerkrankung oder andere Risikofaktoren erschwerend hinzukommen.
Das gilt umso mehr, je höher das Alter der Infizierten ist. Daher nehmen die schweren Erkrankungen und Todesfälle trotz sehr hohen Impfquoten bei den Senioren mit der Anzahl der Lebensjahre deutlich zu. So haben zwar rund 95 Prozent der über 70-Jährigen in Großbritannien beide Dosen erhalten. Trotzdem gab es unter ihnen etwa 51.600 Ansteckungen, wobei es sich der Quote entsprechend bei der großen Mehrheit (46.600) um Impfdurchbrüche handelt.
Sterberate bei allen Geimpften um ein Vielfaches niedriger
Knapp 3600 der über 70-Jährigen mussten ins Krankenhaus, von denen fast die Hälfte nicht überlebte. Das sind traurige Zahlen, aber man muss sie im Gesamtkontext sehen. Laut Agediscrimination.info sind fast 8,8 Millionen Briten über 70 Jahre alt.
Die Covid-19-Sterberaten innerhalb von 28 Tagen nach der Infektion in dieser Altersgruppe betrugen zuletzt bei den geimpften über 80-Jährigen 52,9 pro 100.000 Einwohner, bei den Ungeimpften 125. Bei den Hospitalisierungen waren es 62,3 und 133,7 Fälle. In der Gruppe der 70-bis 79-Jährigen lagen die Raten bei 14,6 und 46,8 beziehungsweise 33,8 und 80,5.
In den jüngeren Altersgruppen registrierte das britische Gesundheitsministerium noch wesentlich deutlichere Unterschiede. Beispielsweise betrug bei den 50- bis 59-Jährigen die Hospitalisierungsrate der Geimpften nur 9,7 Fälle pro 100.000 Einwohner, die der Ungeimpften 46,4. Die Raten der Todesfälle: 1,3 und 7,9.
Schutz vor schwerer Erkrankung bleibt hoch
Das zeigt schon deutlich den Nutzen der Impfungen. Das britische Gesundheitsministerium weist aber ausdrücklich darauf hin, dass diese Zahlen nicht mit der Effektivität der Impfstoffe gleichzusetzen sind. Um diese zu bestimmen, hat die Behörde noch zahlreiche weitere Quellen ausgewertet.
Demnach senkt der Wirkstoff von Biontech und Pfizer drei bis vier Monate nach der zweiten Dosis das Risiko einer symptomatischen Erkrankung nach wie vor um 80 bis 90 Prozent. Der Schutz vor einer schweren Erkrankung beträgt 95 bis 99 Prozent, tödliche Verläufe verhindert das Vakzin zu 90 bis 99 Prozent. Und trotz Delta-Variante senkt der Impfstoff das Risiko sich anzustecken noch um 75 bis 85 Prozent.
Für das Moderna-Vakzin hat die Behörde sogar Schutzwirkungen von 90 bis 99 Prozent vor Hospitalisierung und von 95 bis 99 Prozent vor einem tödlichen Verlauf ermittelt. Für die Effektivität gegen eine Infektion macht die britische Gesundheitsbehörde keine Angaben, laut einer Studie der US-Behörde CDCD liegt sie bei 93 Prozent.
Booster erneuert nicht nur, sondern verstärkt
Der Astrazeneca-Wirkstoff kann eine symptomatische Erkrankung durch die Delta-Variante nur zu 65 bis 75 Prozent verhindern, der Schutz vor einer Infektion ist mit 60 bis 70 Prozent noch niedriger. Das Risiko schwer zu erkranken (90 bis 99 Prozent) oder an Covid-19 zu sterben (90 bis 95 Prozent) kann aber auch dieser Impfstoff nach wie vor sehr deutlich reduzieren. Insgesamt haben die Impfungen laut dem britischen Gesundheitsministerium im Vereinigten Königreich bis zum 24. September rund 127.500 Corona-Todesfälle und mehr als 24 Millionen Infektionen verhindert.
Die tatsächliche Wirkung schwankt pro Person und hängt unter anderem vom Alter und dem allgemeinen Gesundheitszustand ab. Außerdem hat sich gezeigt, dass vor allem der Schutz vor einer Infektion nach vier bis sechs Monaten deutlich nachlässt. Das Risiko, schwer zu erkranken oder zu sterben, wird aber länger sehr effektiv gemindert, und Booster-Impfungen erneuern die Wirkung nicht nur, sondern verstärken sie sogar erheblich.
Quelle: ntv.de