"War die falsche Entscheidung" US-Behörde räumt schwere Fehler bei Amoklauf ein
27.05.2022, 19:50 Uhr
Polizisten stehen vor dem Klassenzimmer, in dem ein 18-Jähriger um sich schießt. Anstatt hineinzugehen warten sie eine Stunde auf eine Spezialeinheit. Derweil rufen Schüler in dem Raum per Telefon um Hilfe. Die zuständige Sicherheitsbehörde in Texas spricht von einer "falschen Entscheidung".
Nach dem verheerenden Schulmassaker mit 19 getöteten Kindern und zwei getöteten Lehrern hat die zuständige Sicherheitsbehörde schwere Fehler bei dem Einsatz eingeräumt. Es sei falsch gewesen, nicht früher in den Klassenraum einzudringen, in dem sich der Amokläufer mit Schülern und Lehrern verschanzt hatte, sagte der Direktor der Behörde für öffentliche Sicherheit in Texas, Steven McCraw, in der Kleinstadt Uvalde, in der der Schütze am Dienstag an einer Grundschule das Blutbad angerichtet hatte. "Es war die falsche Entscheidung. Punkt", sagte McCraw. "Dafür gibt es keine Entschuldigung."
Der Behördenchef berichtete, dass der Schütze etwa um 11.33 Uhr die Schule und schließlich den Klassenraum betrat, in dem er das Massaker anrichtete. Bereits um kurz nach 12 Uhr seien 19 Polizisten im Flur vor dem Klassenraum postiert gewesen, hätten aber keine Versuche unternommen, in den Raum einzudringen und den Schützen zu stoppen, sagte McCraw. Stattdessen sei in jenem Moment die Entscheidung getroffen worden, auf Spezialkräfte zu warten. Die Einsatzkräfte vor Ort seien davon ausgegangen, dass der Schütze nicht mehr schieße, sondern sich lediglich verbarrikadiert habe. Dies habe sich im Nachhinein als Fehleinschätzung erwiesen. Erst um 12.50 Uhr öffneten Spezialkräfte die Tür zum Klassenraum mit einem Schlüssel, wie McCraw weiter schilderte. Diesen Schlüssel hätten sich die Einsatzkräfte vom Hausmeister besorgt.
Aus dem Klassenraum wurden während des Amoklaufs Notrufe abgesetzt. Mehrere Kinder hätten von dort aus die Polizei angerufen, sagte McCraw. Der erste Anruf sei um kurz nach 12 Uhr Ortszeit eingegangen. Etwa 40 Minuten später habe ein Kind bei einem Anruf gebeten, "bitte jetzt die Polizei zu schicken". Eine Schülerin habe mehrfach den Polizeinotruf gewählt, mit flüsternder Stimme von mehreren Toten berichtet, sagte McCraw. In einem Anruf um 12.16 Uhr Ortszeit habe sie gesagt, acht bis neun Schüler seien noch am Leben. Auf die Frage, wie viele Kinder während der Wartezeit erschossen worden seien und andernfalls womöglich hätten gerettet werden können, sagte er, dies werde noch untersucht. "Wir sind nicht hier, um zu verteidigen, was passiert ist", sagte er. "Wir sind hier, um die Fakten darzulegen."
Schütze kündigte Tat nicht öffentlich auf Facebook an
McCraw korrigierte zudem Angaben über Veröffentlichungen des Schützen auf Facebook. "Ich möchte etwas richtig stellen, was zu Beginn der Ermittlungen gesagt wurde", betonte er. So habe der 18 Jahre alte Schütze seine Tat nicht kurz vorher öffentlich auf Facebook angekündigt. Stattdessen habe er private Nachrichten über einen Messenger-Dienst abgesetzt. McCraw berichtete außerdem, dass Angreifer bereits vor dem Massaker in Gruppenchats bei Instagram über den Kauf von Waffen sprach und die Tat in dem Netzwerk zumindest andeutete. Der Gouverneur von Texas, Greg Abbott, hatte in einer Pressekonferenz am Mittwoch von Postings des Täters nur wenige Minuten vor der Tat auf Facebook gesprochen.
Darüber, wie genau sich die Tat abspielte, hatte es in den vergangenen Tagen widersprüchliche Angaben von der Polizei gegeben. Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag gerieten die Behörden unter Rechtfertigungsdruck. "Warum klären Sie das nicht auf und erklären uns, wie es sein kann, dass Ihre Beamten eine Stunde lang drin waren (...), aber niemand in der Lage, in diesen Raum zu gelangen?", fragte ein Journalist.
Zuletzt wurden immer mehr kritische Stimmen von Eltern aus Uvalde laut. Sie werfen der Polizei vor, zu zögerlich gehandelt zu haben. "Ich habe einem der Beamten selbst gesagt, wenn sie nicht reingehen wollen, sollen sie mir seine Waffe und eine Weste leihen, und ich werde selbst reingehen, um die Sache zu regeln", sagte Victor Luna zu CNN. Sein Sohn Jayden habe das Massaker überlebt. Die Polizei habe ihren Job gemacht, sagte Luna. Aber sie hätte es schneller tun können. Andere Eltern äußerten sich ähnlich in US-Medien.
Quelle: ntv.de, chf/dpa