Virologe Stürmer bei ntv"Das wäre das Dümmste, was uns passieren kann"

Bund und Länder werden einen abgestuften Ausstieg aus den Corona-Beschränkungen beschließen. Auch Virologe Stürmer sagt bei ntv: "Wir haben die Möglichkeit, den Sommer zu genießen." Zu einem festgelegten Datum die Maßnahmen abzuschaffen, hält er jedoch für keine gute Idee.
Bund und Länder werden einen abgestuften Ausstieg aus den Corona-Beschränkungen beschließen. Auch Virologe Stürmer sagt bei ntv: "Wir haben die Möglichkeit, den Sommer zu genießen." Zu einem festgelegten Datum die Maßnahmen abzuschaffen, hält er jedoch für keine gute Idee.
ntv: Alle tiefgreifenden Maßnahmen sollen voraussichtlich zum 20. März wegfallen. Ist das die endgültige Rückkehr zur Normalität oder nur eine Atempause, bis im Herbst die Maßnahmen zurückkehren?
Martin Stürmer: Wir haben aktuell alle Möglichkeiten in der Hand, mehr oder weniger zur Normalität zurückzukehren. Ob das dann zum Stichtag 20. März sein muss, also wir uns auf so einen Tag festlegen sollten, ist eine ganz andere Diskussion. Aber wir haben die Möglichkeit, den Sommer zu genießen. Wir dürfen nur nicht die Hände zu sehr in den Schoß legen, Sars-Cov-2 ist nicht weg. Wir werden Omikron schon ganz gut in den Griff bekommen, auch mit dem angepassten Impfstoff. Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, das Virus zu unterschätzen, damit wir im Herbst nicht wieder vor der gleichen Situation stehen. Das ist die Hausaufgabe, die wir definitiv für den Sommer haben werden.
Warum sehen Sie das kritisch, dass diese stufenweise Öffnung an ein bestimmtes Datum geknüpft ist?
Ganz einfach, weil sich die Welle nicht an die Daten hält, die die Politik vorgibt. Es ist dem Virus herzlich egal, ob am 19. März das Infektionsschutzgesetz seine Gültigkeit verliert. Wir müssen eigentlich die Maßnahmen an das Infektionsgeschehen koppeln, und da sind wir meiner Meinung nach noch nicht über den Berg. Wenn wir zu früh lockern, riskieren wir, dass die Welle nochmal hoch schwappt, und ich glaube, das wäre jetzt das Dümmste, was uns passieren kann.
Gesprochen werden soll auch darüber, dass voraussichtlich ab dem 4. März in Clubs die 2G-Plus-Regelung gelten soll, Geboosterte würden dann keinen Test dafür brauchen. Kommt das zu früh?
Sie sprechen genau den Punkt an, der mir ein bisschen Sorgen bereitet. Gerade in Clubs und Diskotheken hat sich ja gezeigt, dass dort auch massiv Ausbruchsgeschehen stattfinden kann. Insofern halte ich diesen Schritt tatsächlich für verfrüht, so leid es mir für alle Beteiligten tut. Da sollte man einfach vorsichtig sein und das etwas nach hinten verschieben.
FDP-Vize Kubicki spricht sich dafür aus, Masken nur noch zu empfehlen, aber nicht mehr zur Pflicht zu machen. Welche Auswirkungen hat das auf die Infektionsgefahr?
Es steht und fällt damit, wie hoch die Infektionszahlen sein werden. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich überhaupt einen Infizierten treffe, der keine Maske trägt? Wir wissen, dass das Risiko natürlich extrem reduziert ist, wenn beide Parteien Masken tragen. Wenn einer davon die Maske nicht trägt, besteht ein gewisses Restrisiko. Es ist eine Abwägung, ob man zu einer bestimmten Zeit in der warmen Jahreszeit sagt, die Maske ist eine Empfehlung und keine Verpflichtung. Ich denke, gerade im Innenraum, wenn es Richtung Herbst geht, sollte man wieder etwas vorsichtiger sein. Aber es steht und fällt damit, wie sich das Ganze im Sommer entwickelt.
Die Impfpflicht soll im Bundestag debattiert werden. Würden Sie sagen, die allgemeine Impfpflicht ist eine notwendige präventive Maßnahme, auch mit Blick auf den Herbst?
Ja, wenn sie zeitlich befristet ist. Es ist sicherlich eine Möglichkeit, dass wir uns im Herbst gut absichern, weil es im Herbst wieder zu steigenden Zahlen kommen wird. Das werden wir nicht abwenden können. Am besten auch noch zusätzlich mit einem an Omikron angepassten Impfstoff. Dann sollten wir vor der Welle gut geschützt sein. Wenn wir viele Ungeimpfte haben, wird die Welle eben entsprechend auch wieder einschlagen. Es wird wieder vermehrt Menschen geben, die ins Krankenhaus müssen, und dann hat man wieder eine Belastung des Gesundheitssystems. Wir würden die ganze Diskussion wieder von vorne führen, wie können wir das Infektionsgeschehen anderweitig kontrollieren? Und da würde uns natürlich eine zeitlich befristete Impfpflicht helfen.
Zeitlich befristet - was genau meinen Sie damit? Was würden Sie empfehlen?
Man kann Kontrollfenster einbauen, in denen man die Sinnhaftigkeit überprüft. Wir müssen schauen, wie sich Sars-Cov-2 evolutionär weiterentwickelt. Wir haben mit Omikron eine Variante, die deutlich mildere Verläufe generiert. Das heißt aber nicht, dass das immer so weitergeht, dass die nächste Variante noch milder und noch milder sein muss. Aber daran würde ich natürlich auch eine Impfpflicht koppeln. Wenn man erkennt, dass es tatsächlich dahin geht, dass die nächsten Varianten noch milder, noch sanfter werden, dann wird man auch keine Impfpflicht brauchen. Ich meine, wir impfen nicht jeden Schnupfen weg. Das ist gar nicht notwendig. Und insofern muss man da kritisch schauen, wie sich das Virus entwickelt, und dementsprechend reagieren.
Bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht soll es Ausnahmen geben - zum Beispiel, wenn eine Person ein- oder zweimal geimpft ist oder wenn eine Impfabsicht besteht. Was halten Sie davon, dass da jetzt eine Kompromisslösung angestrebt wird?
Ich glaube, es ist immer schwierig, wenn man anfängt, bestimmte Dinge aufzuweichen mit Sonderregeln hier und da. Ich glaube, die Akzeptanz ist höher, wenn man ein klares Signal aussendet: So wird sie gestaltet, und es gibt möglichst wenige Ausnahmen von der Regel.
Mit Martin Stürmer sprach Nele Balgo