Problem Krankenversicherung Warum der CEO-Schütze von New York für seine Tat gefeiert wird

Der Mord an dem Chef einer Krankenversicherung löst in den USA eine Welle der Wut aus, allerdings nicht über die Tat. Stattdessen wird der mutmaßliche Täter als Held gefeiert. Warum ist das so?
Ein Mord auf offener Straße, mitten in New York. Das löst normalerweise Entsetzen, Trauer und Mitgefühl aus. Doch als Brian Thompson am 4. Dezember vor dem Hilton-Hotel an der Sixth Avenue mehrere Schüsse treffen, zum Teil aus nächster Nähe, fiel der Aufschrei verhalten aus.
Thompson stand seit 2021 an der Spitze von UnitedHealthcare, einem der größten Krankenversicherer der USA mit 440.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 371 Milliarden Dollar (353 Milliarden Euro). United Health versichert mehr als 50 Millionen Menschen, als Privatpersonen, über ihre Arbeitgeber oder in Zusammenarbeit mit staatlichen Gesundheitsprogrammen. Der CEO war allein auf dem Weg zur jährlichen Investorenkonferenz des Mutterkonzerns, als er getötet wurde.
Auch wenn das Motiv für die Tat zunächst im Dunkeln lag, kam schnell der Verdacht auf, jemand habe mit Thompson die Versicherungsbranche treffen wollen. Thompsons Witwe Paulette Thompson sagte dem Sender NBC News, ihr Mann habe ihr von Drohungen berichtet. Sie deutete an, dass Probleme mit der Krankenversicherung eine Rolle gespielt haben könnten.
In den USA ist die Krankenversicherung ein heißes Eisen, die Kosten dafür steigen deutlich schneller als die Inflation. Jedes Jahr müssen Millionen Menschen Tausende von Dollar aus eigener Tasche bezahlen. Gleichzeitig lehnen einige Versicherer fast jeden fünften Antrag auf eine Kostenübernahme ab, bei United Healthcare ist es einem Unternehmensbericht, aus dem das Forbes-Magazin zitiert, sogar jeder dritte. Das führe dazu, dass die Menschen mehr für ihre Versicherung bezahlen, aber manchmal das Gefühl haben, weniger dafür zu bekommen, zitiert der US-Sender CBS Experten.
Gewinne wichtiger als Menschen?
Die Versicherten stehen den Versicherungskonzernen oft hilflos gegenüber. Die Rede ist von "Delay, Deny, Defend" - eine Anspielung auf die Praxis der Krankenversicherungen, die Erstattung von Kosten zu vermeiden, obwohl sie eigentlich dafür aufkommen sollen. Immer wieder gibt es Vorwürfe, dass Versicherungen Zahlungen an ihre Kunden verzögern oder ablehnen und diese Praktiken gleichzeitig verteidigen. Vor einigen Jahren erschien ein Buch mit dem Titel "Delay, Deny, Defend". Darin heißt es: "Alle Versicherungsunternehmen haben einen Anreiz, ihre Kunden zu beschummeln, um ihre Gewinne zu steigern."
In einer Umfrage gaben im Frühjahr fast die Hälfte der Erwachsenen in den USA an, Schwierigkeiten zu haben, die Gesundheitskosten zu bezahlen. Jeder vierte Erwachsene schiebt demnach notwendige Gesundheitsleistungen wegen der Kosten auf, jeder fünfte Erwachsene löst wegen der Kosten ein Rezept nicht ein. 2009 stellte eine Studie der Harvard Medical School fest, dass jedes Jahr 45.000 Amerikanerinnen und Amerikaner sterben, weil sie erst gar nicht krankenversichert sind. Bei den Privatinsolvenzen sind nicht bezahlte Krankheitsrechnungen mit Abstand der häufigste Grund.
Als am Tatort Patronen gefunden wurden, auf denen die Worte "deny", "defend" and "depose" standen, war für die Ermittler der Bezug zu den Methoden der Versicherungsunternehmen ziemlich eindeutig. Die Begriffe bedeuten sinngemäß "verweigern, leugnen", "verteidigen" und "absetzen, stürzen" und sind eine Abwandlung der beschriebenen Schlagworte.
Häme, Spott und Sarkasmus
Während die Polizei Videoaufnahmen auswertete, den Central Park durchsuchte, Spuren sicherte und untersuchte, um den Mörder dingfest zu machen, mussten große US-Nachrichtensender ihre Kommentarfunktionen unter der Berichterstattung zu dem Fall einschränken. Denn die Kommentarspalten füllten sich mit zum Teil hasserfüllten Bemerkungen über US-Krankenversicherer. Immer wieder fiel der Vorwurf, die Konzerne würden sich auf Kosten der Patientinnen und Patienten bereichern. Einige riefen gar zu weiteren Gewalttaten auf.
Gleichzeitig gab es verbale Unterstützung für den zunächst noch unbekannten Täter. Auf X wurde er mit Robin Hood gleichgesetzt, dem mittelalterlichen "edlen Räuber", der den Reichen nimmt und den Armen gibt. In den großen sozialen Netzwerken nutzten Menschen die Gelegenheit, um sich über Versicherer zu beklagen. Das Reservoir an Geschichten, wie die Unternehmen kranken Menschen den Versicherungsschutz verweigern, scheint nahezu unerschöpflich. Häme mischte sich mit Spott und Sarkasmus. Mitgefühl mit dem Opfer oder dessen Familie blieb hingegen die Ausnahme.
Schließlich erweist sich der Festgenommene Luigi M. nicht als Rächer eines den Versicherungskonzernen zum Opfer gefallenen Familienmitglieds, sondern als Sohn aus gutem Haus, der vermutlich nie ein Problem mit einer Krankenhausrechnung, dafür aber ein recht verdrehtes Weltbild hatte. Trotzdem ist die Unterstützung für ihn weiterhin riesengroß. Es gibt Posts, die sein Aussehen rühmen, Memes, die ihn zum Helden erklären, auf Plattformen wie Etsy und Amazon werden Tassen, Hüte und Tragetaschen mit Slogans wie "Mommy's Little CEO Killer" und "Defend, Deny, Depose" verkauft. Dem US-Sender Fox zufolge nahm eine Crowdfunding-Kampagne auf GiveSendGo bisher 40.000 Dollar ein, nachdem eine ähnliche GoFundMe-Kampagne entfernt wurde. In New York City wurden zahlreiche Plakate gesichtet, auf denen CEOs von Gesundheitsunternehmen als "gesucht" gekennzeichnet wurden.
Der Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro, sah sich genötigt, vor einer Verherrlichung der Gewalttat zu warnen. "Wir töten Menschen nicht kaltblütig, um politische Meinungsverschiedenheiten beizulegen oder einen Standpunkt auszudrücken", sagte er. Die großen Krankenversicherungen ziehen allerdings ihre eigenen Konsequenzen aus der Bluttat. Viele entfernten die Bilder ihrer Führungskräfte von ihren Unternehmenswebsites.
Quelle: ntv.de