Piksen oder warten? Was Eltern zur Kinderimpfung wissen müssen
25.11.2021, 17:02 Uhr
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) gibt grünes Licht für den Einsatz des Covid-19-Impfstoffs von Biontech bei unter Zwölfjährigen.
(Foto: picture alliance / Laci Perenyi)
In vielen Ländern rollt die Corona-Impfkampagne für Kinder unter zwölf Jahren bereits. Auch in Deutschland könnte sie bald losgehen. Laut EMA ist der Biontech-Impfstoff wirksam und sicher. Sollte man seine Kinder also impfen lassen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
In den USA sind schon mehr als zwei Millionen Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren gegen Corona geimpft worden. Auch in Deutschland könnte es bald so weit sein. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) gab heute grünes Licht für den Einsatz des Covid-19-Impfstoffs von Biontech auch bei jüngeren Kindern und empfahl eine Erweiterung der Zulassung. Viele Eltern haben bereits sehnsüchtig darauf gewartet, um auch die jüngsten Familienmitglieder immunisieren lassen zu können. Andere sind noch skeptisch oder lehnen eine Impfung für ihre Kinder grundsätzlich ab, weil sie etwa mögliche Risiken scheuen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Kinderimpfung:
Ab wann können Kinder geimpft werden?
Nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erhält die gesamte EU die Lieferung des Kinder-Impfstoffs am 20. Dezember. Deutschland soll dann auf einen Schlag 2,4 Millionen Dosen bekommen. Damit könnte etwa die Hälfte der in Deutschland lebenden Kinder zwischen fünf und unter zwölf Jahren geimpft werden. Biontech bestätigte den Zeitplan, er könne aber nicht beschleunigt werden.
Gibt es eine eigene Impfstoff-Variante für Kinder?
Während der klassische Biontech-Impfstoff für Erwachsene 30 Mikrogramm mRNA beinhaltet, sind es bei der Variante für die Fünf- bis Elfjährigen nur zehn Mikrogramm. Nach Angaben des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen sollen auf den Glasfläschchen orangefarbene Kappen sein, um eine Verwechslung auszuschließen. Die Impfung wird in zwei Dosen im Abstand von drei Wochen gegeben. Die EMA-Zulassung für Kinder gilt für diese Version.
Wann wird die STIKO entscheiden?
Die Ständige Impfkommission (STIKO) bereitet bereits eine Empfehlung zur Impfung von Kindern in Deutschland zum Start der ersten Lieferung vor. "Unser Ziel ist es, diese Empfehlung bis Ende Dezember, möglichst bis zum Start der Auslieferung des Kinder-Impfstoffs an die Länder, fertigzustellen", sagte STIKO-Chef Thomas Mertens kürzlich. Es ist gut möglich, dass es eine Empfehlung zunächst für Kinder mit einem erhöhten Risiko aufgrund von Vorerkrankungen geben könnte - wie das auch zunächst bei Impfungen für 12- bis 17-Jährige der Fall war. Erst im August hatte die STIKO das Biontech-Vakzin dann allen ab zwölf empfohlen und auf eine breitere Datengrundlage verwiesen, insbesondere aus dem amerikanischen Impfprogramm mit Millionen geimpften Jugendlichen.
Dürfen Kinderärzte auch ohne Empfehlung Kinder unter zwölf Jahren impfen?
Ja, erklärt der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Jakob Maske: "Das ist eine freie ärztliche Entscheidung." Sogar vor der Zulassung des Impfstoffs für diese Altersgruppe sei es nicht illegal, kleinere Kinder zu impfen - der Fachbegriff dafür laute Off-Label-Use. Maske hält die Zahl der Kinderärzte, die bisher unter Zwölfjährige geimpft haben, allerdings für klein. Mit der EMA-Zulassung werden sich wohl mehr Kinderärzte dazu bereit erklären, die Impfung anzubieten, glaubt Maske. Das könnte zu Diskussionen in den Praxen führen. "Aber dafür sind wir ja da", so Maske.
Wie wirksam ist die Impfung?
In einer klinischen Studie mit 2000 Kindern im Alter von fünf bis elf Jahren zeigte der Impfstoff eine Wirksamkeit von 90,7 Prozent bei der Vorbeugung einer symptomatischen Covid-19-Infektion. Drei der geimpften Kinder erkrankten in der Beobachtungszeit an Covid-19, in der Kontrollgruppe waren es 16. Die Immunantwort war nach Angaben der EMA bei einer niedrigeren Dosierung von zehn Mikrogramm in dieser Altersgruppe vergleichbar mit der nach der höheren Dosis von 30 Mikrogramm bei 16- bis 25-Jährigen.
Welche Nebenwirkungen können auftreten?
Die Studienautoren sahen "ein günstiges Sicherheitsprofil", es seien "keine schweren impfbedingten Nebenwirkungen beobachtet worden". Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehörten Schmerzen an der Injektionsstelle, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Rötung und Schwellung an der Injektionsstelle, Muskelschmerzen und Schüttelfrost. Somit traten laut Wissenschaftlern nur "milde und vorübergehende Reaktionen" auf. Ihr Fazit: Die Impfung ist sicher und effektiv.
Reichen die Daten aus, um die Impfung zu beurteilen?
"Eine Zulassung ist etwas völlig anderes als eine Impf-Empfehlung", betont STIKO-Mitglied Fred Zepp. "Was Sie in der Zulassungsstudie nicht sehen, sind Risiken, die seltener auftreten, als es statistisch in einer so kleinen Gruppe zu erwarten ist. "Bei der Zulassungsstudie haben nur rund 1500 Kinder den Impfstoff erhalten. "Sehr seltene Nebenwirkungen kann man da nicht erkennen", so Zepp. Herzmuskelentzündungen zum Beispiel habe man bei jungen Männern erst nach breiterer Anwendung des Impfstoffs entdeckt. Der STIKO gehe es auch darum, Daten zu seltenen Impfkomplikationen aus anderen Ländern zu bekommen.
Welche Länder impfen bereits unter Zwölfjährige?
In den USA werden kleinere Kinder bereits seit November mit dem geringer dosierten Vakzin geimpft. Nach Regierungsangaben haben bisher rund 2,6 Millionen Fünf- bis Elfjährige die erste Spritze bekommen. Auch in Kanada und Israel dürfen ab diesem Monat Kinder ab fünf Jahren mit dem Biontech-Impfstoff immunisiert werden.
Kuba impft bereits Kinder ab zwei Jahren und will bis Dezember 90 Prozent seiner Bevölkerung durchgeimpft haben. In China können alle ab drei Jahren einen Piks mit den Vakzinen der chinesischen Hersteller Sinopharm und Sinovac erhalten, so auch in Argentinien. Frankreich will Anfang 2022 über eine Zulassung von Corona-Impfungen für Fünf- bis Elfjährige entscheiden, welche die Zustimmung der Erziehungsberechtigten benötigen würden. In Japan und Singapur soll es noch dieses Jahr so weit sein. Tschechien hat bereits 700.000 Dosen Corona-Impfstoff für diese Altersgruppe bestellt.
Was spricht für das Impfen jüngerer Kinder?
Kinder erkranken zwar nur höchst selten an Covid-19. Doch, so sagen die EMA-Experten, auch sie könnten schwer krank werden. Die Vorzüge der Impfung seien daher höher zu bewerten als mögliche Risiken. Ähnlich argumentieren die Studienautoren im "New England Journal of Medicine". Es gebe einen direkten und einen indirekten Nutzen: Eine Impfung schütze Kinder vor einem - wenn auch seltenen - schweren Verlauf oder Spätfolgen einer Covid-Erkrankung. Indem man sie schütze, schütze man auch Menschen in ihrem Umfeld, die ein Risiko für einen schwereren Krankheitsverlauf haben. Ungeimpft könne diese Altersgruppe Überträger auch für neu entstehende Varianten des Virus werden.
Was spricht dagegen?
Der Vorsitzende der STIKO, Thomas Mertens, äußerte Verständnis für Eltern, die skeptisch sind. "Das kann ich sehr gut verstehen, und es entspricht im Grunde auch dem Problem, vor dem die STIKO mit ihrer Empfehlung steht - nämlich dem Abwägen von Nutzen und möglichen 'Restrisiken' bei den Kindern in dieser Altersgruppe", sagte Mertens der "Schwäbischen Zeitung".
In der Debatte um Kinderimpfungen gibt es STIKO-Mitglied und Kinderarzt Zepp zufolge verschiedene Parameter. Das eine sei die Krankheitslast des einzelnen Kindes, das andere der Nutzen für die gesamte Gesellschaft. Möglicherweise sei es in einer Pandemie auch sinnvoll, Kinder zu impfen, um für die Gemeinschaft mehr Teilhabe, eine bessere Lebensführung zu ermöglichen. Hingegen hat die Impfung von Kindern nur einen geringen Effekt auf die Übertragung des Virus zwischen Erwachsenen.
Man dürfe nicht vergessen: "Ein großer Teil unseres Problems sind ungeimpfte Erwachsene. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht wieder eine Stellvertreter-Diskussion zum Nachteil von Kindern haben", sagt Zepp. "Die wichtigste Maßnahme zur Überwindung der Pandemie bleibt unverändert, möglichst viele, am besten alle Erwachsenen durch Impfung zu schützen."
Quelle: ntv.de, hny/dpa/rts