Panorama

Streit um DokumentarfilmWas man über "Elternschule" wissen muss

31.10.2018, 15:10 Uhr
imageVon Solveig Bach
Elternschule-Spiel
In dem Film werden Kinder gezeigt, bei denen ambulante Behandlungsmethoden ausgeschöpft sind. (Foto: Elternschule)

Wer dieser Tage auf dem Spielplatz sitzt, wird schnell in eine sehr emotional geführte Debatte über den Film "Elternschule" verstrickt. Doch worin bestehen die Vorwürfe?

Wer dieser Tage absichtlich oder zufällig auf dem Spielplatz sitzt, wird schnell in eine sehr emotional geführte Debatte über den Film "Elternschule" verstrickt. Doch worin bestehen die Vorwürfe?

Worum geht es in dem Film?

In dem bereits 2017 produzierten Dokumentarfilm "Elternschule" wird die mehrwöchige stationäre Behandlung von psychosomatisch erkrankten Klein- und Vorschulkindern in der Abteilung Pädiatrische Psychosomatik der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen gezeigt. Die Regisseure Jörg Adolph und Ralf Büchler begleiten die Familien bei den ersten Schritten einer meist mehrmonatigen Therapie. Ergänzt werden diese Aufnahmen von Erklärungen gegenüber den Eltern.

Woran sind diese Kinder erkrankt?

Die Kinder leiden unter massiven Ess- oder Schlafstörungen, manche schreien viele Stunden am Tag. Der leitende Therapeut der Abteilung, der Diplom-Psychologe und Psychotherapeut Dietmar Langer, sagte n-tv.de., dass viele der jungen Patienten am chronischen Stresssyndrom leiden. Die Kinder haben häufig in der Schwangerschaft oder unter der Geburt Stress erlebt, den sie nun nicht regulieren können und deshalb starke psychosomatische Krankheitsbilder entwickeln. Eltern und Kinder kommen freiwillig nach einer Überweisung durch den Kinderarzt in die Klinik, es gibt lange Wartelisten.

Wie werden die Kinder therapiert?

Das Behandlungskonzept erstreckt sich ganzheitlich auf Kinder und Eltern. Zum einen wird daran gearbeitet, das Stresslevel zu senken. Dazu dienen Entspannungsübungen, Muskelentspannung und Autogenes Training. Außerdem wird in freiwilligen Schlaf- und Essenstrainings versucht, den Kindern in diesen Bereichen wieder Zugang zu gesunden Mustern zu ermöglichen. Parallel vermittelt die Klinik in Informationsveranstaltungen Wissen über die kindliche Entwicklung. Das Konzept beruht nach Angaben der Klinik darauf, "dass die Eltern genau wissen, was getan wird und warum es getan wird und dass sie sich freiwillig an den jeweiligen Maßnahmen beteiligen". Im Anschluss an den Klinikaufenthalt werden die Familien etwa eineinhalb Jahre weiter behandelt, unter anderem mit Kontrollterminen und Telefonberatung.

Was wird an dem Film kritisiert?

Auf verschiedenen Blogs wird vor allem der Klinik vorgeworfen, dass "erzieherische Gewalt" angewendet werde, die Persönlichkeitsrechte der Kinder missachtet würden und dass mit den verschiedenen Verhaltenstrainings Entwicklungstraumata gefördert werden. Der Deutsche Kinderschutzbund vertritt in einer Stellungnahme die Auffassung, der Film enthalte zahlreiche Szenen, "in denen Kinder psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind". Die in den Film gezeigten Behandlungsmethoden könnten "keinesfalls Vorbild für die Erziehung von Kindern in Deutschland sein", erklärte Kindheits- und Familienforscherin sowie DKSB-Vizepräsidentin Sabine Andresen darin. "Diese Praktiken führen zu einer Verunsicherung von Eltern im Umgang mit ihren Kindern." Viele Kritiker bemängeln, dass in dem Film Methoden vertreten würden, die einer gewaltfreien und bindungsfördernden Erziehung widersprechen.

Inzwischen hat die zuständige Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Warum?

Dem Ermittlungsverfahren liegt die Anzeige eines Mannes aus Hannover zugrunde, sagte der Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft Essen n-tv.de. Der Vorwurf lautet auf Missbrauch von Schutzbefohlenen, weil man in dem Film sehe, wie physische und psychische Gewalt angewendet werde. Das Ermittlungsverfahren stehe derzeit noch ganz am Anfang, so der Sprecher. Oberstaatsanwalt Rolf-Peter Lindenberg müsse zunächst einmal den Film ansehen und entscheide dann gemeinsam mit der Polizei über mögliche weitere Ermittlungsmaßnahmen, wie die Befragung von Beschuldigten oder Zeugen. (Update vom 29.11.2018 Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen ihre Ermittlungen eingestellt, weil sich die Verdachtsmomente nicht bestätigt haben.)

Was sagt die Klinik zu den Vorwürfen?

"Unsere Arbeit ist absolut gewaltfrei. Die klinischen Methoden entsprechen dem aktuellen Forschungsstand und den Standards der medizinischen Wissenschaft", schrieb Kurt-André Lion, ärztlicher Leiter der Abteilung, in einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Stellungnahme. Das verhaltenstherapeutische Programm basiere auf den Empfehlungen und Vorgaben von anerkannten Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin. "Wir arbeiten wie auch andere psychosomatische Kliniken in Deutschland." Gegenüber n-tv.de sagte eine Kliniksprecherin: "Wir bekommen sehr viele E-Mails von Eltern, die zum Teil vor Jahren in unserer Klinik eine erfolgreiche Therapie durchlaufen haben und die uns sagen, dass sie noch immer dankbar für die Behandlung sind." In einem inzwischen zusammengestellten Begleitmaterial zum Film wird erklärt, dass kein Kind zum Essen gezwungen wird und dass auch die Eltern-Kind-Bindung nicht angegriffen werde. Durch die Behandlung der "krankheits- und störungsverstärkenden Handlungsmuster" der Kinder werde die Bindung vielmehr sicherer, als sie vorher war.

Wie reagieren die Macher des Films?

Nach Angaben des Zorro Film-Verleihs, der "Elternschule" vertreibt, haben in den vergangenen drei Wochen bis zu 15.000 Menschen den Film gesehen. Zorro-Chef Werner Fuchs nennt diese Zuschauerzahlen gegenüber n-tv.de "gerade für einen Dokumentarfilm beachtlich". Viele Sondervorstellungen seien ausverkauft gewesen. Beim Verleiher war man auch von der harschen Kritik überrascht. "Bei der Premiere 2017 beim Dokfest München ist der Film super aufgenommen worden", so Fuchs. Bis jetzt bekomme man mehr positive als negative Rückmeldungen. "Viele sagen uns, dass sie den 'Shitstorm' nicht verstehen." Die Regisseure Adolph und Büchler seien Filmemacher, die seit Jahren Ausschnitte aus der Welt zeigen. "Die stellen jetzt ihre Arbeit infrage." Die Forderung nach einem Verbot des Filmes nannte Fuchs "albern".

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