
In vielen Impfzentren blieben zuletzt Stühle leer.
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Die Impfkampagne kommt nur noch schleppend voran, die Bundesregierung verpasst ihre eigenen Ziele. Es bleibt eine letzte Gruppe von Ungeimpften. Und es wird von Tag zu Tag schwieriger, sie von der Immunisierung zu überzeugen.
"Man kann sagen, das hat nicht geklappt", räumte Regierungssprecher Steffen Hebestreit vergangene Woche ein. "Das Ziel, bis zum 31. Januar 80 Prozent der Bevölkerung mindestens mit einer Impfung zu versehen, ist verfehlt worden." Auch eine Woche später liegt die deutsche Impfquote bei nur 76 Prozent. Hebestreit machte bei der Suche nach Ursachen dafür zwei Probleme aus: Auf der einen Seite sei die Impfbereitschaft in der Bevölkerung eine unerwartet große Hürde gewesen, auf der anderen Seite könnten "kommunikative Schwächen" der Regierenden eine Rolle gespielt haben.
Beide Punkte kennt auch Tariq Qazi. Der Arzt informiert auf Instagram und Tiktok über die Corona-Impfung. Entstanden ist seine Aufklärungsarbeit daraus, weil er beobachtete, dass sich keineswegs alle Menschen impfen lassen würden. "Wir hatten im Januar 2021 als Klinik die Möglichkeit, die Impfungen frühzeitig für unser Personal zu bekommen", erzählt er ntv.de. Den Anfang sollte das Pflegepersonal machen. Jedoch gab es ein Problem: "Ein Teil der Kollegen hat das verneint und hatte noch Bedenken." Als sich dann später die Ärzte impfen ließen, wollten sie das den Kollegen zeigen. Und trugen ihre Botschaft per Social Media weiter.
Sein Wissen über die Corona-Impfung teilt Qazi nicht nur digital. Zusammen mit seinem Kollegen Ahmad Ashraf impft er als "Impfdocs" in einem Kaufhaus in Frankfurt am Main. Dort trifft er auch auf das zweite Problem der Bundesregierung: die sogenannten "kommunikativen Schwächen". "Wenn Patienten sich zwangsmäßig geimpft fühlen und keine adäquate Aufklärung bekommen haben, dann wird jede Erkrankung auf die Impfung geschoben. Und sei es ein blauer Fleck am Knie." Das ist gefährlich.
Der stotternde Impfmotor
Doch dass die deutsche Impfkampagne an Schwung verloren hat, hat nicht nur mit der Kommunikation zu tun. Die meisten, die sich impfen lassen wollten, sind inzwischen auch geimpft. In Deutschland gilt das momentan für mehr als 63 Millionen Menschen. Hinzu kommt ein anderer Effekt: Mit der Zeit sei es immer schwieriger geworden, Ungeimpfte mit Anreizen zu überzeugen, sagt der Wiener Verhaltensökonom Florian Spitzer vom Institut für Höhere Studien (IHS) ntv.de. Wer jetzt nicht geimpft ist, sei davon auch überzeugt. Auch Impfarzt Qazi kann von Leuten erzählen, die von "Massenvergiftungen" fabulieren. "Da merkt man schon, da wird man keinen Nenner finden."
Im Sommer 2021 habe das noch anders ausgesehen, erklärt Verhaltensökonom Spitzer. "Wir hatten damals viele Zögerliche, die nicht genau wussten und der Impfung grundsätzlich nicht ablehnend gegenüber standen, aber aus verschiedenen Gründen sich nicht dafür entschieden haben." Das habe sich seitdem verändert. Er macht das an einer Maßnahme konkret: "Man sieht das zum Beispiel bei den Impfeinladungen zu festen Terminen per Post." In Portugal trugen solche Briefe vermutlich zum Erfolg der Impfkampagne bei. Ende des vergangenen Jahres seien solche termingebundenen Einladungen dann auch in Österreich zum Einsatz gekommen - mit mäßigem Echo: "Man sieht schon, dass sich etwas getan hat, aber es war kein riesengroßer Erfolg". Die Situation sei da schon zu festgefahren gewesen.
Wer sind die Erstimpflinge?
Dennoch kommen auch zu Impfarzt Qazi immer noch Menschen, die sich jetzt die Erstimpfung abholen. Ein Trend, der den Mediziner freut. "Wir haben vereinzelt Leute, die ihre erste Impfung bei uns bekommen und sich dann darüber freuen, dass sie eine wirklich gute Aufklärung bekommen haben." Qazi vermutet, dass die starke Omikron-Ausbreitung dazu beiträgt, dass Leute in ihrem Umfeld immer mehr Geimpfte mit milden Verläufen beobachten. Das könnte einige Ungeimpfte zum Umdenken bringen. Eine andere Erklärung könnte der Zeitfaktor sein: "Es gibt natürlich die Leute, die sagen: 'Okay, jetzt ist die Impfung seit anderthalb Jahren auf dem Markt, den Leuten sind keine weiteren Zähne gewachsen oder sie sind nicht irgendwie mutiert. Da wird schon was dran sein, dass die Impfung etwas Positives bewirkt.'"
Eine Gruppe, die sich momentan die erste Spritze abholt, sind Jugendliche unter 18 Jahren, bei ihnen sind meistens auch die Eltern dahinter. Das bestätigen auch die Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI). Demnach sind es derzeit vor allem Kinder und Jugendliche, die zum ersten Mal gegen das Coronavirus geimpft werden. Für sie wurden die Vakzine von der Ständigen Impfkommission (STIKO) erst später zugelassen, deshalb läuft die Impfkampagne in dieser Altersgruppe jetzt auf Hochtouren.
Insgesamt hat das Impfgeschehen seit Weihnachten in Deutschland aber deutlich an Fahrt verloren. Mittlerweile sind es durchschnittlich weniger als 70.000 Menschen, die sich täglich eine Erstimpfung abholen. Teilweise machen sie das nach einer überstandenen Infektion, sie tauchen in der Statistik dann mit einer Zweitimpfung auf. Ansonsten wird vor allem mit der Drittimpfung geboostert.
Letzter Ausweg Impfpflicht?
Wer jetzt noch nicht geimpft ist, lässt sich relativ eindeutig zuordnen. Entweder ist es medizinisch nicht möglich, diese Gruppe ist sehr klein. Oder die Personen lehnen eine Impfung vehement ab, diese Menschen sind nur schwer zu überzeugen. Es bleibt eine Gruppe mit Menschen, die sehr lange gezögert haben. Das hat laut dem Verhaltensökonomen Spitzer leicht nachvollziehbare Gründe. Menschen hätten etwa Probleme, Wahrscheinlichkeiten richtig einzuschätzen. "Das führt dazu, dass das Risiko der Erkrankung unterschätzt, aber gleichzeitig die Risiken der Impfung überschätzt werden", sagt Spitzer. Gleichzeitig würden Handlungen, die ihren Ertrag in der Zukunft zeigten, eher aufgeschoben. "Dazu zählt auch das Impfen."
Auch die Wahrnehmung spiele eine Rolle. "Wenn ich mich aktiv dafür entscheiden muss, mich impfen lassen zu müssen, und dann irgendwelche negativen Folgen erlebe, nehme ich das viel problematischer wahr, als wäre mir durch Unterlassung etwas Schlechtes passiert." Genauso gut könnten auch im Corona-Kontext die eigenen Fähigkeiten überschätzt werden. "Etwa indem man glaubt, die Corona-Infektion einfach zu überstehen, zum Beispiel mit einem gesunden Immunsystem."
Doch rational gesehen gibt es kaum Argumente gegen die Impfung und mit dem Auftreten der Omikron-Variante noch mehr dafür. Aktuelle Zahlen aus den USA zeigen, dass zweimal Geimpfte gegenüber Ungeimpften ein deutlich geringeres Risiko haben, schwer zu erkranken oder gar zu sterben. Hinzu kommt, dass Ungeimpfte, die eine Omikron-Infektion durchgemacht haben, nach heutigem Stand offenbar weniger vor anderen Varianten geschützt sind. In der Zukunft könnte das ein Problem werden: Ein Ende der Pandemie braucht eine breite Immunität in der Bevölkerung.
Eine Impfpflicht wird dieses Problem kaum lösen. In Österreich gibt es sie inzwischen, aber allein die Ankündigung im vergangenen November habe keinen starken Effekt auf die Impfquote gehabt, sagt der in Wien lebende Verhaltensökonom Spitzer. Im Gegenteil: Die Impfzahlen seien eher zurückgegangen. Eine Reaktanz der Leute könnte das erklären: "Die Menschen empfinden den medizinischen Bereich als sehr persönlich und mögen es nicht, wenn der Staat dort Vorschriften macht." Es drohe eine weitere Radikalisierung.
Auch Impfarzt Qazi sieht eine Impfpflicht problematisch. "Ich glaube, fast jeder Arzt steht einer Pflicht skeptisch gegenüber." Ärzte bevorzugten Behandlungen, die Patienten auch möchten. "Die Lösung wäre es eigentlich, eine Beratungspflicht durchzuführen. Dass Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, sich wirklich zwangsmäßig zu einem Arzt begeben sollen und dass ein Arzt diese Patienten darüber aufklärt, was ihre Entscheidung bedeutet." Zudem müsse es Kanäle geben, an denen auch einfache Fragen gestellt werden könnten. Das dürfe aber nicht mit langen Wartezeiten verbunden sein. Bis dahin berät Qazi alle Zögerlichen weiter auf Tiktok.
Quelle: ntv.de