Spurensuche in Herne Wie Marcel H. zum Doppelmörder wurde
11.03.2017, 10:18 Uhr
In der Fleithestraße lebte H. mit seinem ersten Opfer jahrelang Tür an Tür.
(Foto: imago/Reichwein)
Intelligent. Introvertiert. Eiskalt. Marcel H. hat in Herne zwei Menschenleben ausgelöscht und diktiert in den Verhören ungerührt die Details seiner brutalen Taten. Sein Motiv: Mordlust! Doch wie ist der 19-Jährige so geworden?
Marcel H. Dieser Name hat in den vergangenen Tagen dafür gesorgt, dass Eltern ihre Kinder im Ruhrgebiet nur mit einem unguten Gefühl zur Schule und in den Kindergarten gebracht haben. Nach dem brutalen Mord am neunjährigen Jaden war der arbeitslose 19-Jährige untergetaucht. Sein Verschwinden sorgte für Unruhe. Nicht nur in seiner Heimatstadt Herne. Sondern in ganz Deutschland. Bis er sich am Donnerstagabend stellt.
H. gilt als Außenseiter. Immer schon. Soziale Kontakte pflegt er vornehmlich über das Internet. In der Öffentlichkeit senkt er den Blick, wenn er über die Straße läuft. Das erzählt der Mitarbeiter eines Supermarktes ganz in der Nähe des Hauses, in dem H. mit seiner Familie gewohnt hat und aus dem sie vor kurzem ausgezogen sind. Die Polizei sagt, Familie H. sei in die Nachbarstadt gezogen. Welche das ist, ließ sie offen. Und genau dieser Umzug ist einer der Auslöser für H.s grausame Taten.
Der Polizei sagte er, dass der – zumindest vorübergehende - Verlust des Internetzugangs durch den Umzug ihn schwer belastet habe. Der 19-Jährige beschreibt sich selbst als internet- und spielsüchtig. Gepaart mit einer Absage der Bundeswehr, bei der er sich beworben hatte, entstand der gefährliche Cocktail, der ihn zum Mörder machen sollte. Eigentlich, so gab H. gegenüber der Polizei an, habe er sich in seinem Elternhaus, zu dem er nach wie vor Zugang hatte, selbst das Leben nehmen wollen. Sogar zwei Mal. Erst durch Strangulation, dann durch Erstickung. Beide Versuche scheiterten. Und H. fasste den Entschluss, jemand anderem das Leben zu nehmen, um ins Gefängnis zu kommen, wie er der Polizei sagte.
Gewissenslose Seelenstruktur
Dass der Nachbarsjunge Jaden sein erstes Opfer wurde, ist Zufall. 52 Mal stach er im Keller auf den Grundschüler ein, ließ seine Leiche im Keller liegen und verschwand. "Er hätte auch ein Amokläufer werden können, wenn er Schusswaffen besessen hätte", sagte der Kriminalpsychologe Rudolf Egg. Aus der Ferne attestiert er dem 19-Jährigen eine narzisstische Persönlichkeitsstörung. H. halte sich für größer, besser, stärker und schlauer als der Rest der Gesellschaft.
Woher diese gewissenslose Wesensstruktur kommt, ist noch unklar. Er habe an ADHS gelitten, sei auch zu Schulzeiten schon auffällig gewesen, heißt es aus dem direkten Umfeld des 19-Jährigen. Allerdings nicht strafrechtlich relevant, wie der Leiter der Mordkommission, Klaus-Peter Lipphaus, sagte. Wenn er sich nicht mit Internet-Spielen beschäftigte, trainierte er Schwertkampf im Garten seines Elternhauses, berichten Nachbarn.
Oder er las. Mit Büchern schottete er sich von der Umwelt ab. Gleiches gilt für seinen gesenkten Blick. Beides untermauert die These des Einzelgängers. Seine sozialen Interaktionen sind auf ein Minimum beschränkt. Ein Umstand, der die Ermittlungen der Polizei nicht zwingend vereinfacht. "Er ist ein ungewöhnlicher junger Mann", sagte Egg.
Vieles passt nicht zusammen
Ungewöhnlich, weil die Art und Weise, wie er sich der Polizei gestellt habe, nicht zu seinem Verhalten passt. Auch, wie er sich innerhalb der polizeilichen Vernehmungen gebe, entspreche nicht dem Bild, welches sich nach ersten Erkenntnissen abzeichnet habe. "Ich habe nur an wenigen Sachen, die er sagt, Zweifel", sagte Lipphaus.
Ob die mögliche Persönlichkeitsstörung des Außenseiters Einfluss auf seine Schuldfähigkeit hat, ist unklar. Ein Gutachten eines forensischen Sachverständigen sei Teil der laufenden Ermittlungen, sagte Staatsanwalt Danyal Maibaum. Dieses sei jedoch noch nicht angefertigt.
Bis zum vergangenen Sommer hat H. ein Berufskolleg in Herne besucht, dort seinen Realschulabschluss gemacht. Seine Freizeit, so sagen Polizei und Nachbarn, habe er vornehmlich zurückgezogen verbracht. Ein ehemaliger Schulkamerad sagte im Gespräch mit der Rheinischen Post, "H. sei allein in seiner Welt gewesen". Ein Soziopath? Zumindest gibt es Anhaltspunkte, die dafür sprechen. Seine Bestätigung holte sich der 19-Jährige über Online-Spiele und in verschiedenen Chatforen. Ein Sprecher der Bochumer Polizei nannte ihn in einem ersten Statement "gemeingefährlich".
Und wie unberechenbar er ist, zeigt sein zweiter Mord. Als ihn der 22-Jährige, bei dem er übernachtet hatte, am Morgen damit konfrontierte, dass er wegen Mordes gesucht werde und ankündigte, zur Polizei gehen zu wollen, brachte er ihn mit 68 Messerstichen um. Drei Tage später zündete er die Wohnung des 22-Jährigen an – und stellte sich der Polizei.
Quelle: ntv.de