Panorama

Impfzwang für Pflegekräfte? Wir sind keine Querdenker in Weiß

So geht man in Deutschland mit Helden um: Vor einem Jahr wurden wir Pflegekräfte von Politikern gelobt, nun sind wir Bösewichte, die sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen wollen und deshalb gezwungen werden sollen. Ich möchte aber auf Selbstbestimmung über meinen Körper nicht verzichten.

Soso, nicht nur ein Virus kann also mutieren, sondern auch Krankenschwestern und Pfleger: Eben waren wir noch systemrelevante Retter in der Not und Helden, denen von Rednerpulten und Balkonen Beifall gespendet wurde - nun sind wir in den Augen einiger Politiker und Journalisten unvernünftige Bösewichte und gefährliche "Querdenker in Weiß", für die es statt Dank und Applaus Schelte und Zwang geben soll. Das ist unerhört.

Es wird bestimmt so sein, dass es den einen oder anderen Querdenker unter den Pflegekräften gibt, auch AfD-Wähler und Rechtsradikale. Auch wir bilden, da bin ich sicher, den Querschnitt der Gesellschaft ab. Aber ich persönlich kenne unter meinen Kolleginnen und Kollegen in Altenheimen und Krankenhäusern keinen einzigen Verirrten, der das Coronavirus bestreitet und glaubt, hinter der Pandemie steckten Bill Gates, Jens Spahn und eine Weltverschwörung. Deshalb stößt es mir sauer auf, wenn wir plötzlich über einen Kamm geschoren werden und uns vorgeworfen wird, potenzielle Virenschleudern zu sein, weil sich einige, vielleicht die Hälfte, nicht gegen Covid-19 impfen lassen wollen.

Angst kennt jeder. Dürfen wir keine haben? Allen Bürgern ist es erlaubt, vorsichtig zu sein und abzuwarten, wie verträglich der Impfstoff ist. Krankenschwestern und Pfleger aber sollen diese Sorge nicht haben dürfen, da sie viel zu wichtig sind. Meinetwegen darf das kritisiert werden. Das Recht jedoch, ebenfalls vorsichtig zu sein, muss man uns zugestehen, selbst wenn die Angst, die dahintersteckt, vielleicht irrational ist. Uns deshalb pauschal zu "Querdenkern in Weiß" zu machen, haben wir nicht verdient.

Pflegende sind der Durchschnitt der Bevölkerung

Ich weiß, wovon ich rede: Schon weil ich in meinem Buch schrieb, dass die Verhältnismäßigkeit der Mittel beim - grundsätzlich völlig richtigen - Schutz der Bevölkerung gewahrt werden muss, wurde ich als Verschwörungstheoretikerin beschimpft, was mir in der Seele wehtat. Dabei habe ich nie das Coronavirus oder die Gefahr geleugnet. Ich freue mich, dass der Impfstoff so schnell entwickelt wurde. Aber ich bitte trotzdem darum: Gebt allen, die abwarten wollen, Zeit dazu, ohne sie zu tadeln oder zu drängen. Einige Kolleginnen sind für die Impfung, andere Kollegen wollen lieber warten. Auch das entspricht dem Durchschnitt der Bevölkerung.

Die Impfung schützt den Empfänger des Vakzins. Es existiert bislang kein Beweis, dass er andere vor Ansteckung schützt. Dass wir Pflegekräfte auch ein Privatleben und Familien mit Kindern haben, scheint der eine oder die andere ebenso zu ignorieren wie den Umstand, dass wir einen eigenen Kopf zum Denken haben. Ganz ehrlich, so blöd sind wir auch wieder nicht, dass wir nicht wüssten: Momentan ist gar nicht genug Impfstoff da für alle Pflegerinnen und Pfleger, auch nicht in Bayern. Vorrang müssen aus meiner Sicht sowieso die Hochbetagten und alle anderen haben, die viel gefährdeter sind als eine 28-jährige Pflegerin wie ich.

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Uns zu Querdenkern abzustempeln, ist zudem schlecht für den Kampf für Verbesserungen in der Pflege. So werden wir kleingeredet und miesgemacht. In vielen Teams verbreitet sich schon jetzt Unruhe. Sogar Mobbing macht sich breit, weil jene, die sich nicht impfen lassen wollen, schief angesehen werden.

Seit Ewigkeiten stehen wir Pflegekräfte täglich unsere Frau und unseren Mann, um Menschen bei der Genesung zu helfen oder ihnen den Tod zu erleichtern. Trotz teils miserabler Arbeitsbedingungen und Überstunden ohne Ende haben wir immer zu allem Ja und Amen gesagt: Wir können schließlich unsere Patienten nicht im Stich lassen. Doch daraus abzuleiten, dass wir sogar auf die Selbstbestimmung über unseren Körper verzichten, um der Allgemeinheit zu dienen, ist zu viel der Erwartung. Da hört es auf. Jedenfalls bei mir.

Nur warme Worte

Warum viele meiner Kolleginnen und Kollegen auf die Forderung von Markus Söder so zornig und bockig reagierten, hat mit dem Verhalten der Politik zu tun. Stets wurden unsere Forderungen und Anliegen ignoriert, unsere Klagen überhört. Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Bundesgesundheitsminister in den vergangenen Jahren groß etwas unternommen hat, damit wir physisch und psychisch entlastet werden. Wir wurden mit unserem Stress alleingelassen. Immerhin hatte Herr Spahn, der - bei aller Kritik an ihm - der erste Gesundheitsminister ist, der verstanden hat, dass jede Menge schiefläuft im Gesundheitswesen, die Vorgaben verschärft, wie viele Pflegekräfte zwingend auf einer bestimmten Station sein müssen. Auch wenn er die Personaluntergrenze wegen der Pandemie aufgehoben hat, so ist das doch der richtige Ansatz gewesen.

Schauen wir also lieber nochmals auf den CSU-Mann Söder. Er hat überhaupt keine Ahnung von Gesundheitspolitik. Er redet viel darüber, wie die Schutzmaßnahmen verschärft werden können. Jedoch kenne ich keine einzige kluge Bemerkung von ihm, wie Bund und Länder das Gesundheitswesen fit für die Zukunft kriegen sollen. Er erklärt einfach, wir hätten die Pflicht, erstens Patrioten zu sein, und zweitens uns impfen lassen zu müssen. So einfach kann man es sich machen. Oder? Nein, kann man eben nicht! Dann könnte man auch Lkw-Fahrern oder Supermarkt-Kassiererinnen sagen: Seid Patrioten und lasst euch impfen, auch ihr seid systemrelevant und trefft jeden Tag viele Menschen.

Richtig traurig bin ich, dass Journalisten auf diesen Zug aufspringen und Söders Forderung unterstützen, eine Impfpflicht für Pflegekräfte einzuführen. Wenn ich etwa in einer großen Tageszeitung lese, die Impfung sei "genauso notwendig wie das Tragen von Wegwerfhandschuhen", kann ich nur sagen: Das ist irreführend. Mit den Handschuhen schützt man nachweislich jeden Patienten vor Infektionen, mit der Impfung vielleicht nur sich selbst vor Covid-19. "Meine Toleranz ist groß. Weil aber die 'Querdenker' in Weiß nicht nur ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen, sondern auch das Leben anderer, wird mir mulmig", schrieb der Reporter eines Nachrichtenportals. Und mir wird mulmig, wenn ich solchen Unsinn lese. Das ist aus meiner Sicht eher Diffamierung, die mit Toleranz wenig zu tun hat. Aber so geht Deutschland eben mit seinen Heldinnen und Helden um.

Quelle: ntv.de

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