Politik

Ukraine-Offensive bei Anne Will "All das wird jetzt auf dem Schlachtfeld entschieden"

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Bei Anne Will redete sich Norbert Röttgen in Rage.

Bei Anne Will redete sich Norbert Röttgen in Rage.

(Foto: Bild: NDR/Wolfgang Borrs)

Die Ukraine steht zu sehr unter Druck, mit der Offensive Erfolge einzufahren, glaubt die ARD-Talkrunde bei Anne Will - und fürchtet dabei Donald Trump. Der Krieg werde noch lange andauern, deshalb fordert Andrij Melnyk ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts Deutschlands für Kiew.

Schon eine Weile wird darüber spekuliert, wann die Ukraine ihre Offensive gegen Russland beginnt, um die besetzten Gebiete zurückzuerobern. "Kann sie die Wende bringen?", fragt Moderatorin Anne Will in ihrer Talk-Sendung am Sonntagabend. Jüngste Angriffe auf russische Infrastruktur werden schon als erster Teil der Offensive gelesen, NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht Kiew gut gerüstet. Aber was, wenn der ukrainische Gegenangriff doch scheitert?

"Es wird erheblichen russischen Widerstand geben", stellt Nicole Deitelhoff gleich zu Beginn klar. "Die Ukraine wird nicht durchspazieren." Die Friedens- und Konfliktforscherin hegt keinen Zweifel: "Die Offensive wird kommen." Die Angriffe auf die russische Infrastruktur sollten zwar "die Bedingungen auf dem Schlachtfeld verändern", sodass man bessere Chancen hat, mit einer Offensive durchzubrechen. Aber anders als bei der Offensive im vergangenen Sommer habe Russland sich nun gut vorbereiten und Verteidigungsbefestigungen bauen und Gräben ausheben können.

Dass Europa kein Wunder von der ukrainischen Gegenoffensive erwarten dürfe, meint auch Wolfgang Ischinger, der ehemalige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Man besitze in Deutschland "falsche Vorstellungen" vom Begriff Offensive, glaube, "dass Divisionen à la 2. Weltkrieg zum Durchbruch marschieren". Das führe laut Ischinger dazu, "dass wir glauben, dass wir nur noch ein paar Monate aushalten müssen und dann ist es vorbei". Das aber "wäre Gift" für die lange Unterstützung, die die Ukraine etwa in Form von Waffenlieferungen noch in den kommenden Jahren brauchen werde. Denn das Land werde wahrscheinlich Monate oder Jahre brauchen, um die besetzten Gebiete freizukämpfen.

Es gehe um die Zukunft Europas

Auch Norbert Röttgen befürchtet, dass wenn es der Ukraine mit der Offensive nicht gelänge, die "Dynamik des militärischen Geschehens zu drehen", manch einer nicht verstünde, dass Deutschlands Unterstützung trotzdem anhalten müsse. Der kommende Gegenangriff werde "nicht die Beendigung des Kriegs mit militärischen Mitteln sein", so der CDU-Außenpolitiker, aber könne "die politische Situation ändern". Ischinger meint ebenfalls, es werde "das ganze nächste Jahr, vielleicht noch länger, um Nachschub und Reparatur-Hubs" gehen und dort "gibt es immer noch eine große Bedarfslücke".

Die Offensive und die andauernde Hilfe für die Ukraine wären von enormer Wichtigkeit, sagt Röttgen. Denn es ginge um nichts Geringeres als "die Zukunft Europas in den nächsten Jahrzehnten". Werde sie friedlich und freiheitlich sein, oder gibt es wieder Aufrüstung? "All das wird jetzt auf dem Schlachtfeld entschieden."

Deshalb dürfe in Sachen Waffen- und Munitionslieferungen "nicht mehr gezögert" werden, sagt ein mittlerweile beinahe in Rage geratener Röttgen und gelangt damit an seinen Lieblingspunkt: Kritik an Olaf Scholz. Der Kanzler sei "immer wieder der Zögerer", wettert der CDU-Mann mit rotem Kopf, und deshalb gäbe es nun etwa zu wenig Munition. Saskia Esken springt natürlich sofort für den Kanzler in die Bresche. Die SPD-Vorsitzende kontert: "Das erzählen Sie immer wieder, aber das entbehrt jeder Grundlage."

Scholz habe Verantwortung übernommen, die Panzerallianz gegründet und als erster Leopard-Panzer in die Ukraine geschickt. Bei den Haubitzen ging es Röttgen dennoch viel zu langsam: "Der Prozess der Lieferungen dauerte Mo-Na-Te", sagt er und betont dabei jede Silbe. Diese Kritik sei auch die "allgemeine Sicht der Dinge" in den USA, Ost- und Westeuropa.

Allianz für Kampfjets gefordert

In Sachen Waffenlieferungen geht Andrij Melnyk noch ein paar Schritte weiter. Der ukrainische Vize-Außenminister ist aus Kiew zugeschaltet und fordert wegen der "Herkulesaufgabe" der Gegenoffensive eine "Allianz für Kampfjets wie bei den Panzern". Er rechnet vor, dass sein Land 40 Eurofighter bekommen könnte, wenn jeder Staat in Europa zehn Prozent seiner Bestände abgäbe. "Vor allem im Kanzleramt" gäbe es aber "immer noch Scheuklappen" und rote Linien, die man nicht übertreten wolle.

Darüber hinaus hat Melnyk, der den Erfolgsdruck für die Frühjahrsoffensive minimieren möchte, einen weiteren Plan für den wohl noch lange andauernden Krieg: Die Bundesrepublik solle "ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts" (BIP) an die Ukraine für Waffen, Munition und Hilfe bereitstellen. "Die Menschen in Deutschland würden das verstehen", glaubt er.

Talkmasterin Will fordert prompt eine Reaktion von Saskia Esken. Zunächst redet die SPD-Chefin sich raus, sagt der Ukraine eine Unterstützung über das Ende des Krieges zu und erklärt, es werde "keinen russischen Diktaktfrieden" geben. Auf erneute Nachfrage erklärt sie, die Unterstützung der Ukraine ließe "sich nicht in Prozent vom BIP rechnen", sondern man liefere, "was zum jeweiligen Zeitpunkt gebraucht wird".

Vom Thema Kampfjets geht es in die USA, die ebenfalls keine ihrer F-16-Bomber an die Ukraine liefern wollen. Ischinger erklärt, Russland plane im Angesicht der kommenden Offensive Kiews mit dem "längeren Atem" und blicke bereits auf den November 2024, wenn in den Vereinigten Staaten die Präsidentschaftswahlen stattfinden und wenn die Kosten der Unterstützung der Ukraine ein noch größeres Thema als jetzt schon werden dürften.

Druck im US-Wahlkampf

Melnyk steht in der Diskussionsrunde mit seiner Ansicht allein da, die "bi-parteiliche Unterstützung für die Ukraine wird hoffentlich die Präsidentschaftskandidaten vereinen und nicht entzweien". Röttgen glaubt, US-Präsident Joe Biden gerate im Wahlkampf unter Druck und "Donald Trump würde es voll ausschlachten", sollte die ukrainische Offensive stecken bleiben. Würden die US-Amerikaner ihre Unterstützung zurückfahren, werde es auch in Europa "mehr kritische Stimmen geben", sagt der Außenpolitiker: "Sind wir dann bereit, mehr zu übernehmen?"

Und was passiert eigentlich, wenn Trump zum zweiten Mal zum US-Präsidenten gewählt wird. Anne Will zeigt einen Einspieler, in dem der Republikaner jüngst erklärte, er könne den Krieg "an einem Tag" beenden. Friedens- und Konfliktforscherin Deitelhoff beschreibt, wie in diesem Fall der Druck auf die Ukraine zunehmen würde, "Gebiete abzutreten". Denn was "Trump unter einem Deal versteht, ist: Frieden für Land". Zusätzlicher Erfolgs- und Zeitdruck also für die ukrainische Gegenoffensive.

Quelle: ntv.de

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