Politik

Hilljes Wahlkampfcheck Angriffswahlkampf, aber richtig bitte!

Auch die Grünen täten gut daran, in den Angriffsmodus zu schalten - um die Unterschiede der Programme herauszustellen.

Auch die Grünen täten gut daran, in den Angriffsmodus zu schalten - um die Unterschiede der Programme herauszustellen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Schmutzig ist die Wahldebatte vor allem auf Social Media. Dabei könnte konfrontativ auch informativ sein, wenn die Parteien endlich in die harte Auseinandersetzung gehen würden.

Die einen sagen, der Wahlkampf sei so schmutzig wie nie. Die anderen meinen, früher sei es um einiges dreckiger zu gegangen. Beide Thesen sind teils richtig, teils falsch. Allein: Häufig wird dabei gar nicht über dasselbe gesprochen. Daher lohnt es, in der Debatte um "schmutzig oder nicht schmutzig" etwas aufzuräumen.

Das Phänomen nennt sich "negative campaigning", manche sprechen auch von "dirty campaigning". Per Definition handelt es sich dabei um eine Art der Wahlkampfführung, die den politischen Gegner in ein schlechtes Licht rücken und seine Glaubwürdigkeit beschädigen soll. Dabei kann der Kontrahent persönlich diskreditiert oder seine politischen Entscheidungen attackiert werden - oder eine Kombination von beidem. Die Begriffe kommen aus den USA, wo die "campaign" ("Kampagne") die Wahlkampfführung und -organisation beschreibt.

Streng genommen hat derartiges in diesem Wahlkampf noch nicht stattgefunden. Zwar gab es schon Unmengen an Äußerungen, die zweifellos als "Schmutz" zu qualifizieren sind, aber Absender waren selten die Parteien oder ihr Spitzenpersonal. Dass der meist zitierte und maximal harmlose Vorwurf gegenüber Armin Laschet, er wolle im "Schlafwagen" ins Kanzleramt rollen, von Markus Söder statt der politischen Konkurrenz stammt, zeigt den eher zivilen Umgang der Parteien untereinander. Selbst Markus Blumes vergifteter Spitzname für die Grünen-Kanzlerkandidatin ("Schummel-Baerbock") taugt kaum als kleine Schwester von Trumps "Crooked Hillary" ("betrügerische Hillary") aus dem Wahlkampf 2016. Auch an Herbert Wehners Beschimpfung des CDU-Manns Georg Kliesing als "geistiges Eintopfgericht" in den 1950er Jahren, oder an die perfide Anzweifelung der CDU von Willy Brandts moralischer Integrität aufgrund seiner Flucht vor den Nazis, kommen die Wortmeldungen von heute längst nicht ran. Einen Angriffswahlkampf im eigentlichen Sinne, nämlich als zugespitzte Attacken zwischen den Parteien, gibt es bisher nicht.

Diskurs unter der Gürtellinie

Nichtsdestotrotz vagabundierte der Diskurs in den letzten Wochen mehrmals unter der Gürtellinie: Hashtags wie #LaschetWelle oder #LaschetVariante zu einer möglichen vierten Corona-Welle, gefälschte Nacktbilder von Annalena Baerbock oder zig frauenfeindliche Kommentare gegen eine unglücklich auftretende Grünen-Politikerin aus dem Saarland. Die Debatten auf Social Media sind auf Schlamm gebaut. Der Hashtag #LaschetWelle wurde Ende letzter Woche auf Twitter hochgezogen, von einem Nutzer, der keine Verbindungen zu den Kampagnenteams der Parteien aufweist. "Bekommt man #LaschetWelle zum Trenden?" stand in einem der ersten Tweets. Später nutzten auch Mitglieder der Linken und der Grünen das diffamierende Schlagwort. Anfang dieser Woche berichteten dann einige Medien darüber. Diese Berichte führten wiederum zu neuen Reaktionen auf Twitter.

In der digitalen Erregungsöffentlichkeit ist der politische Diskurs heute eben doch schmutziger als früher. Das hat strukturelle Gründe: Anonyme oder private Nutzer setzen gezielt Lügen oder einen hetzerischen Hashtag in die Welt, die sich daraufhin mal organisch, mal orchestriert verbreiten. Durch ihre Funktionslogiken werden die Plattformen zur Schlammgrube des öffentlichen Raumes. Emotionalisierung und Polarisierung sind ihre Relevanzkriterien, Diffamierung und Desinformation führen nicht zum Ausschluss. Hinzu kommt als Problem: Vereinzelte Parteimitglieder springen auf diese Debatten an, Medien fangen an zu berichten - nicht selten, um im selben Atemzug den schlechten Stil des Wahlkampfs zu beklagen. Dabei müsste doch einleuchten: Wer sich die Hände nicht schmutzig machen will, sollte nicht in der Schlammgrube buddeln. Anders gesagt: Wer sich nach einem sachlicheren Wahlkampf sehnt, sollte nicht allzu häufig in den sozialen Medien danach suchen. Als Taktgeber für die Wahldebatte taugt Twitter nicht. Das sollten sich insbesondere die Parteien, Politiker und die seriösen Medien zu Herzen nehmen. Sie haben die Verantwortung, in diesem Wahlkampf die Themen zu setzen, auf die es wirklich ankommt.

Vorsicht vor Eigentoren

Die allerorten eingeforderte Sachdebatte müssen die Parteien also schon selbst anzetteln. Und diese Debatte wird gerade dann interessant und informativ, wenn sie auch konfrontativ, aber eben nicht unfair geführt wird. Ein Angriffswahlkampf ist destruktiv, wenn er als argumentum ad hominem ausgetragen wird. Nicht selten hat personenbezogenes "negative campaigning" in der Wahlkampfgeschichte zu Eigentoren geführt. Martin Schulz' Vorwurf gegenüber Angela Merkel, ihre Art der politischen Auseinandersetzung sei "ein Anschlag auf die Demokratie", kam als Bumerang zum SPD-Kandidaten zurück. Negativer Wahlkampf hat zwar in der Öffentlichkeit einen schlechten Ruf. Doch wem es gelingt bei den Attacken zwischen Person und Programm zu unterscheiden, kann durchaus eine gewinnbringende inhaltliche Kontroverse herbeiführen. Konflikt ist immer noch einer der wichtigsten Nachrichtenfaktoren und erregt das Interesse der Öffentlichkeit. Denn er macht Unterschiede zwischen den Parteien deutlich, ermöglicht dem Wähler den Vergleich zwischen mehreren Angeboten. Und genau darin liegt das zentrale Erkenntnisinteresse vieler Menschen in diesen Wochen.

Auch den Grünen ist daher nahezulegen, ihre "wir reden gut über uns, aber nicht schlecht über die anderen"-Haltung beiseite zulegen und die Union zielgerichtet auf den wichtigen Politikfeldern zu attackieren. Man würde nicht mit Schlamm, aber gewissermaßen mit dem Urschlamm der demokratischen Kultur hantieren: dem harten Widerspruch in der Sache.

Quelle: ntv.de

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