Künstlerin malt für die Ukraine "Den toten Putin stellen wir später in Moskau aus"
30.12.2022, 16:57 Uhr
"Wenn ich zum Beispiel den Kopf eines toten Putin male, geht es mir besser", sagt Anna Sarvira im Interview mit ntv.de.
(Foto: Anna Sarvira / supportukraine-pic.com)
Mit ihren Illustrationen kämpft die ukrainische Künstlerin Anna Sarvira gegen den russischen Angriffskrieg und Putins Propaganda - in Deutschland und weltweit. 2014 gründete sie in der Ukraine den "Pictoric Illustrators Club" mit. Ziel des Kollektivs ist es, durch Ausstellungen auf der ganzen Welt auf die ukrainische Kunst aufmerksam zu machen. Die Darstellungen des toten russischen Präsidenten sind dabei nicht überall in Europa gern gesehen, sagt die 36-jährige Kiewerin, die seit Februar in Köln wohnt, im Interview mit ntv.de.
ntv.de: Wie haben Sie den russischen Einmarsch am 24. Februar erlebt?
Anna Sarvira: Ich habe Glück gehabt. Ich kam am Sonntag vor dem Beginn der Invasion in Köln an, weil mein Freund Deutscher ist und dort lebt. Am 28. Februar wollte ich nach Hause zurückkehren, weil meine Mutter Geburtstag hatte. Doch daraus wurde nichts. Meine Eltern sind in der Ukraine geblieben. Aber ich hoffe, dass sie zu Weihnachten (Orthodoxe in der Ukraine feiern Weihnachten am 7. Januar - Anm. d. Red.) zu mir kommen können.

Mit ihrer Kunst unterstützt die ukrainische Illustratorin Anna Sarvira ihr von Russland angegriffenes Land.
Waren Sie seit Kriegsbeginn schon einmal in der Ukraine?
Nein, und um ehrlich zu sein, will ich das auch gar nicht. Allerdings plane ich bereits eine Reise im April. Ich habe immer noch die Vorstellung von der Ukraine vor dem Krieg im Kopf. Ich habe Kiew im Krieg nicht gesehen und bin noch nicht bereit, es zu sehen. Aber ich vermisse es sehr.
2014 gründeten Sie mit Ihren Mitstreitern den "Pictoric Illustrators Club". Was ist das für ein Verein?
Pictoric ist eine Gemeinschaft von Illustratoren. Gemeinsam organisieren wir Ausstellungen und kulturelle Veranstaltungen in Europa, aber auch in den USA, Japan und so weiter. Unser Schwerpunkt liegt auf der ukrainischen Illustration, wir arbeiten aber auch mit ausländischen Kollegen zusammen. Seit 2014 veranstalten wir internationale Ausstellungen in Kiew und bauen Beziehungen zwischen ukrainischen und ausländischen Künstlern auf. Wir luden sie nach Kiew ein, und sie luden uns zu sich ein. Als der Krieg begann, wurden wir von unseren ausländischen Kollegen sehr unterstützt.
Mit Ihren Ausstellungen sammeln Sie Geld für die Ukraine. Wie genau läuft das ab?
Nach dem Beginn des Krieges haben wir verstanden, dass wir mit unserer Kunst zur Unterstützung unseres Landes beitragen können. Bei den Ausstellungen verkaufen wir Flyer und Plakate; wenn es keine Möglichkeit zum Verkauf gibt, platzieren wir einfach einen QR-Code, mit dem man an bekannte Fonds zur Unterstützung der ukrainischen Armee spenden kann. Wir stecken nichts in eigene Taschen.
Wie viel Geld haben Sie auf diese Weise schon gesammelt?
Wir wissen es nicht genau. In Schweden haben wir zum Beispiel durch den Verkauf 5000 Euro eingesammelt. Die gesamte Summe wurde an "Vostok SOS" überwiesen, eine Organisation, die bei der Evakuierung von Menschen aus der Ostukraine hilft. Das ist jedes Mal anders, mal sind es 500 Euro, mal 5000 Euro. Die Gesamtsumme ist sehr schwer zu berechnen.
An welche Zielgruppe richten sich Ihre Illustrationen eher - Ukrainer oder Ausländer?
Die meisten richten sich eher an Ausländer. Es sind Illustrationen, die zum Beispiel erklären könnten, was in Butscha passiert ist. Oder warum die Kapitulation keine Option für die Ukraine ist. Wir veranstalten aber auch Ausstellungen in der Ukraine. Bevor wir eine Ausstellung veranstalten, lassen wir das Publikum abstimmen, welche Bilder wir zeigen sollen. Und meistens sind die von Ukrainern und Ausländern gewählten Plakate unterschiedlich. Die Ukrainer wollen mehr motivierende Bilder sehen - und die Ausländer eher erklärende.
In der Ukraine geschehen derzeit viele schreckliche Dinge. Haben Sie irgendwelche Einschränkungen beim Zeichnen, irgendwas, was Sie unter keinen Umständen malen wollen?
Jeder von uns zeichnet, was er begreifen kann. Natürlich ist es sehr schwierig, Kriegsverbrechen darzustellen. Man muss auch sehr feinfühlig sein, denn eine Zeichnung ist kein Foto, und man muss metaphorisch zeichnen.
Wie werden die Bilder in Europa wahrgenommen?
Alle Länder stellen unsere Werke auf unterschiedliche Weise aus. In Polen zum Beispiel stellt man alle Motive aus, sogar einen toten Putin. Die Deutschen dagegen würden so etwas eher nicht zeigen. Auch ein Bild mit Molotowcocktails wurde mal abgelehnt, da diese mit linken Bewegungen in Deutschland in Verbindung gebracht werden. Es gibt also einige Besonderheiten. Aber wir nehmen es gelassen. Natürlich ist es schön, mehr Freiheiten zu haben und sich nicht vorschreiben zu lassen, was man tun darf und was nicht, denn es geht ja um den Krieg. Grundsätzlich gilt: Je größer die Institution, die die Ausstellung mitorganisiert, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass wir etwas Beängstigendes wie tote Menschen zeigen dürfen. Es ist ein bisschen traurig, aber okay.
Glauben Sie nicht, dass Europäer von den Bildern des Krieges ermüdet sind?
Ich habe festgestellt, dass in den Medien immer weniger über die Ukraine gesprochen wird. Die Deutschen sind unseres Krieges überdrüssig. Das ist natürlich traurig. Ich verstehe, dass sie ihre eigenen Probleme haben. Aber ich bin sehr froh, dass wir auch für das nächste Jahr Ausstellungen in Deutschland planen, das heißt, sie vergessen uns nicht. Ich habe hier in Köln viel Unterstützung erlebt. Dafür bin ich sehr dankbar.
Wie erholen Sie sich? Werden Sie nicht müde, den Krieg zu malen?
Eigentlich male ich jetzt nicht so oft, weil Ausstellungen sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Aber wenn ich zum Beispiel den Kopf eines toten Putin oder Lawrow male, geht es mir besser. Es ist wie eine Psychotherapie.
Aber der tote Putin wird, wie Sie gesagt haben, nicht überall akzeptiert.
Ja, aber ich habe auch viele andere Bilder. Den toten Putin werden wir später in Moskau ausstellen.
Mit Anna Sarvira sprach Maryna Bratchyk
Quelle: ntv.de