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Bundesregierung warnt vor Reisen Armee kündigt Übergangsregierung in Bangladesch an

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In Bangladesch eskalieren die Proteste. Soldaten versuchen die Kontrolle in den Straßen der Hauptstadt Dhaka wiederzuerlangen.

In Bangladesch eskalieren die Proteste. Soldaten versuchen die Kontrolle in den Straßen der Hauptstadt Dhaka wiederzuerlangen.

(Foto: AP)

Nach der Erstürmung des Regierungspalastes in der Hauptstadt Dhaka tritt Ministerpräsidentin Hasina zurück und flieht Insidern zufolge nach Indien. Nun übernimmt das Militär das Sagen in Bangladesch und führt nach eigenen Angaben Gespräche mit Oppositionsparteien. Auch die Bundesregierung ist besorgt.

Nach wochenlangen Massenprotesten in Bangladesch ist die seit 15 Jahren herrschende Regierungschefin Scheich Hasina aus dem südasiatischen Land geflohen. Es werde nun eine "Übergangsregierung" gebildet, die die Führung des Landes übernehmen werde, sagte Armeechef Waker-Uz-Zaman in einer im Fernsehen übertragenen Rede an die Nation.

"Diejenigen, die Morde und andere Gräueltaten verübt haben, werden bestraft werden", versprach er zudem. Er rief die Bürgerinnen und Bürger dazu auf, der Armee zu vertrauen. Zuvor hatten Demonstranten den Amtssitz von Hasina gestürmt, die nach Angaben aus ihrem Umfeld mit dem Hubschrauber ins Ausland floh. Die Proteste hatten sich an der Wiedereinführung eines Quotensystems für öffentliche Stellen entzündet.

"Wir werden eine Übergangsregierung bilden", sagte der Armeechef in seiner Fernsehansprache. Dafür werde er mit den wichtigsten Oppositionsparteien sowie Vertretern der Zivilgesellschaft sprechen - nicht aber mit der Partei von Hasina. "Das Land hat sehr gelitten, die Wirtschaft wurde geschwächt, viele Menschen wurden getötet - es ist Zeit, der Gewalt ein Ende zu setzen", fügte der General hinzu. "Ich übernehme die volle Verantwortung." Er hoffe, dass sich die Lage im Land nun beruhige.

Zuvor hatten regierungskritische Demonstranten den Regierungspalast in der Hauptstadt Dhaka gestürmt. Im Fernsehen war zu sehen, wie sie die Tore durchbrachen, Möbel und Bücher plünderten oder auf Betten herumlagen. Auf den Straßen wiederum feierten die Menschen, einige tanzten auf einem Panzer herum.

Flucht per Hubschrauber nach Indien

Hasina ihrerseits wurde an einen "sicheren Ort" gebracht. "Ihr Sicherheitsteam forderte sie zum Verlassen auf, sie hatte keine Zeit, sich vorzubereiten", hieß es aus ihrem Umfeld. Zunächst sei die 76-Jährige in einer Wagenkolonne aus dem Palast evakuiert und später per Hubschrauber aus ihrem 170 Millionen Einwohner zählenden Land geflogen worden. Die 76-Jährige sei nach Indien geflogen worden, bestätigte ein Mitarbeiter des Außenministeriums. Ob sie von dort weiterreisen würde - sie hat Familienangehörige in Großbritannien und den USA - ist unklar.

Die Flucht erfolgte einen Tag, nachdem am Sonntag landesweit hunderttausende Regierungsgegner und -anhänger auf die Straße gegangen waren und sich gegenseitig teilweise mit Messern, Stöcken und Knüppeln angegriffen hatten. Zudem schossen Sicherheitskräfte mit Gewehren in die Menge. Laut AFP vorliegenden Zahlen wurden 94 Menschen getötet. Dies war die höchste Zahl an Opfern an einem Tag seit Beginn der Proteste gegen die Regierung im Juli, bei denen insgesamt mindestens 300 Menschen getötet wurden.

Proteste weiten sich aus

Ursprünglich gingen die Demonstranten gegen eine Quotenregelung für die Vergabe von Jobs im öffentlichen Dienst auf die Straße, die ihren Angaben zufolge Unterstützer von Hasina bevorzugte. Nach dieser Regelung sollten mehr als die Hälfte der Stellen für bestimmte Gruppen reserviert sein. Die Protestierenden warfen Hasina vor, dass dadurch besonders Anhänger ihrer Regierungspartei profitieren würden. Anfangs demonstrierten lediglich Studierende. Sie forderten, dass Jobs im Öffentlichen Dienst nach Leistung vergeben werden. Ein Gericht kam den Forderungen der Demonstranten weitgehend nach. Auch aufgrund des harten Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten weitete sich der Protest auf viele weitere Gruppen aus.

Nach und nach wurde dann der Rücktritt der seit 2009 amtierenden Regierungschefin das Ziel der Protestbewegung, der sich immer mehr Menschen aus allen Bevölkerungsschichten anschlossen. Auch Filmstars, bekannte Musiker und ehemalige Generäle brachten ihre Unterstützung zum Ausdruck, ebenso Firmen der für die Wirtschaft des Landes wichtigen Textilbranche.

Die nun von den Demonstranten erzwungene Flucht der Regierungschefin könnte allerdings nach Ansicht des Südasien-Experten Michael Kugelman "ein großes Vakuum" hinterlassen. Wenn es einen friedlichen Übergang mit einer bis zur Abhaltung von Wahlen agierenden Übergangsregierung gebe, "dann wären die Stabilitätsrisiken gering", sagte der Direktor des in Washington ansässigen Südasien-Instituts am Wilson Center. "Aber wenn es zu einem gewaltsamen Übergang oder einer Zeit der Unsicherheit kommt, könnte das zu weiterer Destabilisierung und Problemen im Inneren und Äußeren führen."

Auch die Bundesregierung zeigte sich besorgt. Es sei "wichtig, dass Bangladesch seinen demokratischen Weg fortsetzt", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. "Wir raten jetzt dringend von Reisen nach Bangladesch ab." Die Regierung verfolge "die Entwicklung natürlich mit großer Sorge", sagte der Sprecher weiter. Die Entwicklung der Lage werde sehr genau beobachtet.

Hasina war im Januar in einer von einem großen Teil der Opposition boykottierten Wahl im Amt bestätigt worden. Ihrer Regierung wurden unter anderem der Missbrauch staatlicher Institutionen zum eigenen Machterhalt und die Unterdrückung von Regierungskritikern vorgeworfen - bis hin zur außergerichtlichen Tötung Oppositioneller.

Armee hat erneut das Sagen

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Angesichts der angespannten Lage hatte Hasinas Sohn vor der Stürmung des Palastes noch die Sicherheitskräfte des Landes aufgefordert, jeden Putschversuch gegen seine Mutter zu verhindern. "Eure Pflicht ist es, für die Sicherheit unseres Volkes und unseres Landes zu sorgen und die Verfassung aufrechtzuerhalten", erklärte der in den USA lebende Sajeeb Wazed Joy im Onlinenetzwerk Facebook.

Nun aber hat die Armee erst einmal das Sagen in Bangladesch. Bereits 2007 hatte das Militär nach politischen Unruhen einen Notstand über das Land verhängt und für zwei Jahre eine von ihm gestützte Übergangsregierung installiert. 2009 kam dann Hasina an die Macht.

Quelle: ntv.de, gut/AFP/dpa

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