Beispiellose Macht über 15 Jahre Bangladeschs Regierungschefin setzte "Traumata als Waffe ein"
05.08.2024, 18:33 Uhr Artikel anhören
Ihre Kritiker warfen Hasinas Regierung jahrelang vor, mit harten Mitteln Andersdenkende zum Schweigen zu bringen.
(Foto: REUTERS)
Erbitterte Fehden mit Gegnern, Vorwürfe der Wahlmanipulation, Beschneidung der Pressefreiheit: Sheikh Hasina zementiert ihre Macht als Bangladeschs Premierministerin, bevor sie von ihrer eigenen Bevölkerung aus dem Land vertrieben wird. Prägend war für sie vor allem der Mord an ihrem Vater.
Nach 15 Jahren an der Macht hat die Regierungszeit von Bangladeschs Ministerpräsidentin Sheikh Hasina ein unrühmliches Ende gefunden: Die 76 Jahre alte Regierungschefin floh nach wochenlangen Protesten in einem Militärhubschrauber aus dem Land.
Beobachter sehen Hasinas politisches Leben von einer Tragödie bestimmt: Am 15. August 1975 wurde ihr Vater, der erste Regierungschef des unabhängigen Bangladesch, Scheich Mujib Rahman, bei einem Militärputsch getötet. In jener schicksalhaften Nacht war die damals 28-jährige Hasina mit ihrer jüngeren Schwester in Deutschland. Eine Gruppe von Offizieren stürmte das Haus der Familie in der Hauptstadt Dhaka und tötete die Eltern, drei weitere Geschwister und das Hauspersonal - insgesamt 18 Menschen.
Die brutale Tat könnte sie dazu motiviert haben, sich beispiellose Macht zu sichern. "Hasina hat als Politikerin eine sehr starke Eigenschaft - und das ist, Traumata als Waffe einzusetzen", sagte Avinash Paliwal, ein ehemaliger Universitätsdozent, der sich auf strategische Fragen in Südasien spezialisiert hat, im Januar vor der Parlamentswahl.
Nach dem Putsch lebte Hasina jahrelang im Exil in Indien, kehrte dann nach Bangladesch zurück und übernahm die Führung der Awami-Liga. Doch die Militärmachthaber des Landes stellten sie in den 80er Jahren immer wieder unter Hausarrest, bis sie nach der Parlamentswahl 1996 zum ersten Mal Ministerpräsidentin wurde.
Hasina baute die Infrastruktur auf
Es folgte ein jahrzehntelanger Machtkampf zwischen Hasina und der ehemaligen Regierungschefin Khaleda Zia, der Vorsitzenden der heute größten Oppositionspartei BNP. Zia steht unter Hausarrest. Die beiden Frauen regierten das Land jahrelang abwechselnd und lieferten sich eine erbitterte Rivalität, die die Politik Bangladeschs spaltete. Hasina warf der BNP oft vorn, sie werbe um Extremisten, die ihre Partei, die sich selbst als gemäßigt und säkular bezeichnet, ausmerzen wollte. Zias BNP gab an, die Awami-Liga halte sich mit Unterdrückung an der Macht.
Als die jüngsten Proteste in Gewalt umschlugen, machten sich die beiden Politikerinnen gegenseitig Vorwürfe. Die BNP unterstützte dabei die Studierenden und forderte wiederholt Hasinas Rücktritt. Die Regierungschefin beschuldigte dagegen die Opposition, die Gewalt anzufachen.
Nachdem Hasina die Parlamentswahl 2001 verloren hatte, wurde sie Oppositionsführerin. Politische Gewalt, Unruhen und militärische Interventionen kennzeichneten die Jahre bis zu ihrer Wiederwahl. 2009 zurück an der Macht, konzentrierte sich Hasina auf die Wirtschaft und baute die Infrastruktur auf: ein leistungsstarkes Stromnetz bis in entlegene Dörfer, dazu Großprojekte wie Autobahnen, Eisenbahnlinien und Häfen. Die Bekleidungsindustrie des Landes wurde zu einer der wettbewerbsfähigsten der Welt. Die Gewinne aus dieser Entwicklung führten zu weiteren Fortschritten. Mädchen erhielten die gleiche Ausbildung wie Jungen und immer mehr Frauen nahmen eine Arbeit auf. Menschen, die ihr nahestanden, beschrieben Hasina als pragmatisch und leidenschaftlich bei der Förderung von Frauen und Armen.
Kontakte zu den USA belastet
International pflegte Hasina Beziehungen zu einflussreichen Ländern wie Indien und China. Doch die USA und andere westliche Länder äußerten Bedenken hinsichtlich Menschenrechtsverletzungen und einer Einschränkung der Pressefreiheit, was die Kontakte belastete. Im Januar, nachdem sie sich eine vierte Amtszeit gesichert hatte, erklärten die USA und Großbritannien, die Wahlen seien nicht frei und fair abgelaufen. Auch frühere Wahlen in den Jahren 2018 und 2014 waren von Vorwürfen der Wahlfälschung und einem Boykott der Opposition überschattet.
Ihre Kritiker warfen Hasinas Regierung jahrelang vor, mit harten Mitteln Andersdenkende zum Schweigen zu bringen, die Pressefreiheit einzuschränken und die Zivilgesellschaft zu beschneiden. Menschenrechtsgruppen erklärten, die Regierung in Dhaka lasse Kritiker verschwinden, was diese bestritt. Als im Juni Demonstrationen gegen ein Quotensystem für Regierungsjobs begannen, setzte die Regierung wieder auf einen harten Ansatz, was allerdings die Proteste nur weiter anheizte, wie Beobachter erklärten. Eher unerwartet entwickelten sich die Proteste zu einem umfassenden Aufstand gegen Hasina und ihre Regierung, die zuvor viele Krisen gemeistert hatte.
Die jüngsten Protestaktionen fielen zusammen mit einer Zeit des wirtschaftlichen Umbruchs in Bangladesch, getrieben von einer globalen Konjunkturschwäche. Schon vor der Wahl im Januar kam es zu Protesten von Arbeitern und einer allgemeinen Unzufriedenheit mit der Regierung. Doch der jüngste Aufruhr verdeutlichte das Ausmaß der wirtschaftlichen Not des Landes, in dem die Exporte sinken und die Devisenreserven zur Neige gehen. Experten zufolge gibt es nicht ausreichend gut bezahlte Arbeitsplätze für junge Absolventen, die zunehmend in stabilere und lukrativere Regierungsjobs streben.
"In den vergangenen 15 Jahren hat es unter der Herrschaft der Awami-Liga viele Proteste gegeben, aber keinen, der so groß, lang und gewalttätig war wie dieser", sagte Michael Kugelman, Direktor des Südasien-Instituts am Wilson Center. Die besonders heftige Reaktion der Regierung mit exzessiver Gewalt, aufgestaute Wut auf den Staat sowie wachsender wirtschaftlicher Druck hätten dann zur Eskalation geführt.
Quelle: ntv.de, lve/AP