Drei Meiler gehen vom Netz Atomkraft kommt zurück - aber nicht in Deutschland
22.12.2021, 18:09 Uhr
Das AKW Brokdorf geht Ende des Jahres vom Netz - zusammen mit zwei weiteren Kernkraftwerken.
(Foto: picture alliance/dpa)
In wenigen Tagen gehen drei der sechs noch laufenden Atomkraftwerke vom Netz. In anderen Ländern wird derweil der Bau neuer Meiler geplant. In Finnland wurde sogar gerade eines in Betrieb genommen.
Ende 2022 soll Schluss sein mit der Kernenergie in Deutschland, dann geht der letzte Meiler hierzulande vom Netz - der Ausstieg aus der Atomenergie ist seit 2011 beschlossene Sache. Und auch die neue Ampel-Regierung schließt - wie im Koalitionsvertrag festgemacht - Atomenergie "weiterhin aus". Eine Verlängerung kommt der neuen Bundesumweltministerin Steffi Lemke zufolge nicht infrage. Während in Deutschland also der Kurs in Richtung erneuerbare Energien aus Wind, Wasser und Sonne geht, setzen einige europäische Länder auf einen ganz anderen Weg. Sogar neue Atommeiler entstehen.
Die EU-Länder handhaben den Umgang mit Atomenergie vollkommen unterschiedlich. Ein Grund dafür ist, dass die EU zwar einen energiepolitischen Rahmen setzt, ihren Mitgliedsstaaten aber nicht vorschreibt, wie sie ihren Strom erzeugen. Aktuell dreht sich ein Streit um die Frage, ob Atomkraft als "grün" eingestuft werden darf. Die Einstufung ist wichtig, weil sie Anlegern Orientierung über nachhaltige Energieformen geben soll.
Beim EU-Gipfel in Brüssel in der vergangenen Woche endeten stundenlange Diskussionen ohne gemeinsame Schlussfolgerungen. Frankreich, aber auch Länder wie Polen und Tschechien standen mit ihrer Meinung, Atomenergie als umweltfreundlich einzustufen, Ländern wie Deutschland, Österreich und Luxemburg gegenüber.
"Das halte ich für den falschen Weg"
Bundeskanzler Olaf Scholz spielte die Diskussion nach dem EU-Gipfel herunter, er sagte, die Frage der Einstufung der Atomkraft werde "überbewertet". Es gehe um Einschätzungen zu Unternehmen, die eher für Anleger wichtig seien. Vonseiten der Grünen regt sich allerdings Widerstand: "Das halte ich für den falschen Weg", sagte Lemke am Mittwoch im "Frühstart" von ntv. "Atomkraft ist nicht nachhaltig. Eine Technologie, bei der es keine Lösung für die Entsorgung von giftigem Müll gibt, kann nicht nachhaltig sein." Voraussichtlich Mitte Januar will die EU eine gemeinsame Entscheidung über die Liste nachhaltiger Energieformen treffen.
Deutschland wird sich Ende 2022 komplett von der Atomkraft verabschieden, mehr als elf Jahre nach dem Entschluss für einen beschleunigten Atomausstieg, der nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima 2011 getroffen wurde. Jahrelang hatte die Technik die Gesellschaft gespalten. Für die drei Kernkraftwerke in Brokdorf in Schleswig-Holstein, im niedersächsischen Grohnde und im bayerischen Gundremmingen erlischt zum 31. Dezember die Berechtigung zum Leistungsbetrieb, wie die Bundesregierung am Dienstag mitteilte. Die übrigen drei Meiler Isar 2, Emsland und Neckarwestheim gehen Ende 2022 vom Netz. Ohnehin sinkt der Anteil der Kernenergie im deutschen Stromnetz beständig. Bis 2030 soll der Anteil der erneuerbaren Energien bei 80 Prozent liegen. Allerdings wird Deutschland wohl auch in Zukunft Atomstrom aus den Nachbarstaaten importieren müssen.
Technisch gesehen könnten die Atomkraftwerke zwar länger am Netz bleiben und sind wegen ihres geringen CO2-Ausstoßes auch für den Klimaschutz von Vorteil. Aber: "Für die Energiewirtschaft in Deutschland ist der Atomausstieg endgültig", sagt die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kerstin Andreae. Viele Energiebetreiber seien bereits auf erneuerbare Energien umgeschwenkt.
Frankreich, Belgien, Niederlande: Atomkraft, ja bitte
Eine ganze Reihe europäischer Nationen folgen dem deutschen Weg nicht. Vor allem Frankreich setzt weiter auf Kernenergie und wird daher Atomstrom in den europäischen Energiebund einspeisen. Noch im November kündigte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Bau neuer Atomkraftwerke an. Nur so könne die Energieversorgung des Landes sichergestellt werden. Derzeit sind in Frankreich 56 Reaktoren in Betrieb. Frankreich liegt auf Platz zwei der weltgrößten Produzenten von Atomstrom. Das Festhalten an der Atomenergie begründet Frankreich auch mit dem Ziel, bis 2050 kohlenstoffneutral zu werden.
Belgien hat bereits 2003 den Ausstieg aus der Kernenergie bis 2025 gesetzlich festgeschrieben. Bis dahin sollen die letzten sieben Atommeiler abgeschaltet werden. Doch dagegen gibt es bereits Widerstand. Innerhalb der Regierung gibt es den Wunsch, die Laufzeit einiger Reaktoren um weitere zehn Jahre zu verlängern, und auch der Bau von neuen Atomkraftwerken ist im Gespräch. Bisher werden 40 Prozent des Strombedarfs in Belgien mit Atomenergie gedeckt. Bis zum Ende des Jahres muss die Regierung noch einmal offiziell den Ausstieg bis 2025 bestätigen.
Die Niederlande dagegen wollen mehr Geld in die Atomkraft stecken, wie es im Koalitionsvertrag der neuen Regierung heißt. Vorgesehen ist die Verlängerung des einzigen Kernkraftwerks der Niederlande, sowie der Bau von zwei neuen Kraftwerken. Ähnlich wie Macron begründete Ministerpräsident Mark Rutte das Bekenntnis zur Atomkraft mit dem "Kampf gegen die Erwärmung der Erde" und der Versorgungssicherheit.
Auch Finnland rüstet in Sachen Atomkraft auf. Der Reaktor Olkiluoto 3 (kurz OL3) sei am Dienstag um 3.22 Uhr hochgefahren worden, teilte die Betreibergesellschaft Teollisuuden Voima Oyj mit. Volle Auslastung soll der Reaktor im Juni erreichen, dann soll er schätzungsweise 14 Prozent des gesamten finnischen Strombedarfs decken. Der Rundfunksender Yle sprach von einem "historischen Tag für die finnische Atomkraft". Dass der Bau eines Atomkraftwerks leichter angekündigt als umgesetzt ist, zeigt das Beispiel aber auch: Der dritte Atomreaktor des Kernkraftwerks Olkiluoto wurde mehr als ein Jahrzehnt später als geplant in Gang gesetzt. Olkiluoto ist eines der beiden Atomkraftwerke in Finnland. Die Anlage befindet sich an der finnischen Westküste rund 250 Kilometer nordwestlich von Helsinki. OL3 hätte eigentlich 2009 in Betrieb gehen sollen, es kam aber immer wieder zu Verzögerungen und gestiegenen Baukosten.
Quelle: ntv.de, khe/lwe