
Nicht nur in Heidelberg ist der Ton freundlicher geworden.
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Der Staat ist durch die Corona-Krise mächtiger und seine Rolle umstrittener denn je. Zugleich gewinnt man den Eindruck, Beamte und öffentliche Angestellte waren in den vergangenen Wochen freundlicher und hilfsbereiter als früher. Es wäre ein Fortschritt, wenn sie es in Zukunft bleiben.
Geht doch! Das möchte ich in großen Buchstaben an alle Behörden plakatieren, aus denen traditionell Fristen diktiert werden, Mahnungen flattern und in denen die Damen und Herren Staatsdiener mit "Hochachtungsvoll" zeichnen, wenn sie keine Lust mehr auf "freundliche Grüße" haben - und das alles ohne Vornamen.
Seit Jahrzehnten, nein, seit Jahrhunderten wird in deutschen Amtsstuben mit der Überzeugung preußischer Bürokraten gehandelt: dass der Bürger niemals König, sondern am Ende ein kleines Würstchen ist, der warten und zahlen muss und gemaßregelt werden kann, falls erforderlich - stets im Namen und im Dienst von Staat und Gesellschaft.
Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass ich in den Wochen der Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote, mit denen der Staat auf die Corona-Pandemie reagiert hat, aus deutschen Ämtern überraschend viel Zuvorkommen vernommen habe. Jedenfalls hatte ich den Eindruck: am Telefon, in Briefen und E-Mails, auf Websites oder in Hinweisen, die öffentlich aushingen, manchmal provisorisch von Hand geschrieben und mit Tesafilm angebracht.
Die Beamten sind wie ausgewechselt
Seit März wirken Beamte und öffentliche Angestellte wie ausgewechselt. Sie sparen nicht mit Freundlichkeiten und legen gelegentlich eine Hilfsbereitschaft an den Tag, von der man bis dato nur träumen konnte.
Bei der Polizei war zu lesen: "Wir wünschen Ihnen alles Gute und Gesundheit." An einem Spielplatz in unserer Nähe hatte das Bezirksamt Berlin-Schöneberg mit einem Grundton der Gegenseitigkeit geschrieben: "Wir verstehen, wenn es Ihren Kindern und Ihnen schwerfällt, zu Hause zu bleiben … ebenso bitten wir um Ihr Verständnis."
Unterdessen bekam ich vom Bürgeramt einen Rückruf angeboten und eine Frage gestellt, die man sonst von Kellnern und Hotelangestellten kennt: "Wie kann ich Ihnen noch helfen?" Und eine Mitarbeiterin im Jugendamt, der ich als Patchwork-Vater ein paar Fragen stellen musste, bot mir umgehend einen "Videocall" an. Nicht bloß die technische Versiertheit, sondern auch die unbürokratische Spontanität wären früher unvorstellbar gewesen.
Weihnachtskarte vom Finanzamt
Vor allem die Finanzbeamten überraschten mich: mit einer unerschrockenen Kein-Problem Haltung! Fristen wurden verlängert, ausstehende Beträge wurden gestundet und Steuererklärungen wurden anstandslos bearbeitet und verrechnet - innerhalb von zwei Tagen. Unter diesen neuen kundenorientierten Umständen würde ich mich kaum noch wundern, im Dezember eine Weihnachtskarte zu erhalten, in der das Finanzamt für die Zusammenarbeit dankt.
Während sich die Bürger in den vergangenen Wochen mit Yoga und Jogging fit hielten, haben die Staatsbediensteten offenbar auch eine Lockerungsübung entdeckt, für die es noch keinen Namen gibt. Gleich von einem "Bürokratieabbau" zu sprechen, wäre wohl zu großspurig. "Bürger-" oder "Kundennähe" wäre hingegen zu oberflächlich - außerdem übt man sich darin schon seit Jahren. Es war etwas anderes, das mir aufgefallen ist: Eine tiefere und zugleich überzeugendere Haltung, die mir solidarisch erschien, weil sie von einem gewissen Mitgefühl geprägt war, und die ich als "bürgerdienend" bezeichnen möchte. Wie schön wäre es, wenn wir statt vom "Staatsdiener" fortan vom "Bürgerdiener" sprechen könnten.
Wie immer ist es der Ton, der die Musik macht. Und das Tempo. Seit der Corona-Krise wissen wir, dass unsere Bürgerdiener beides virtuos beherrschen - wenn sie nur wollen. Wenn ich alleine an die Zuschüsse denke, die binnen weniger Tage an Selbstständige ausgezahlt wurden. Selbst wenn in Berlin oder Nordrhein-Westfalen etwas schnell geschossen wurde und nicht jeder Empfänger berechtigt war, so war doch zu spüren, dass man rasch und unkompliziert kooperieren wollte.
Ein Staat für den Bürger
Selbstverständlich plädiere ich hier nicht für einen Staat, der schlampig und übereilt handelt und am Ende der Depp ist. Es muss immer um Korrektheit und Fairness gehen - auf beiden Seiten. Nur so ist Kooperation möglich. Und gegenseitiges Vertrauen. Gibt es einen Zweifel, sollte der Staat für den Bürger sein, nicht gegen ihn. Für meinen Geschmack ist dieser Grundsatz in der Vergangenheit zu kurz gekommen. Ob sich das in Zukunft ändert?
Würde sich der Umgang zwischen dem Staat und seinen Bürgern tatsächlich nachhaltig wandeln, wäre es ein großer Schritt - um nicht zu sagen: ein Fortschritt! Erstens, weil das Volk in der Demokratie letztendlich der Auftraggeber - der oberste Dienstherr - allen staatlichen Handelns ist. Und zweitens, weil seit Jahren das Vertrauen der Bürger in ihren Staat und abnimmt, um nicht zu sagen: verschwindet! Noch zu Beginn des Jahres wurde dieser Trend in verschiedenen Befragungen bestätigt – bevor ihm das Coronavirus plötzlich zusetzte …
Denn dann kam der April - und auf einmal strahlte der Staat "soziale Wärme" aus. So hat es Horst Opaschowski vom Hamburger Institut für Zukunftsforschung formuliert. Und er ging noch weiter: "Die Krise kann zur Chance für einen neuen Staat-Bürger-Dialog werden, wie es ihn schon lange mit mehr gegeben hat." Wir stehen also eventuell vor einem zarten Pflänzchen der Zuversicht und des Vertrauens.
Es wäre ein schönes Fazit, wenn sich das Coronavirus als ein natürlicher Feind des Amtsschimmel entpuppt hätte. Fest steht, dass die üblichen strengen Fristen und die sonst lahmarschigen Reaktionszeiten unserer Verwaltung innerhalb weniger Wochen zum Beispiel ad absurdum geführt wurden. Ich sehe akut keinen Grund, warum unsere Bürgerdiener zurückkehren sollten zur alten, bevormundenden "Hochachtungsvoll"-Kultur. Überhaupt: Kann man diesen schrecklichen Gruß nicht einfach gleich abschaffen? Es wäre ein Anfang.
Quelle: ntv.de