Politik

"Eine Schlange war für Weiße" Aus der Ukraine Flüchtende erleben Rassismus

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Afrikaner warten in Lwiw auf eine Zug Richtung Westen (Bild vom 27. Februar).

(Foto: AP)

Unter den Hunderttausenden Menschen, die aus der Ukraine fliehen, sind auch zahlreiche Studierende aus Afrika und Indien. Auf ihrer Flucht werden manche bedroht, beschimpft und diskriminiert.

Einen Tag nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine macht sich auch Alexander Somto Orah auf den Weg zum Hauptbahnhof von Kiew. Von hier fahren Züge nach Westen, nach Polen, in Sicherheit. Ein Jahr lang hatte der Nigerianer in der Ukraine studiert. Zusammen mit Freunden ist er nun auf der Flucht.

"Wir sind Studenten, wir wollen nur nach Hause", sagt Orah einem kanadischen Sender in einer Videoschalte. Für alle ist es schwierig, in die Züge zu kommen, doch für manche ist es schwieriger. Schwarze seien von den Ordnungskräften am Bahnhof am Einstieg gehindert worden. Die Züge seien nur für Ukrainer, sei ihnen gesagt worden. Pässe habe allerdings niemand kontrolliert - einsteigen durfte, wer weiß war.

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Ein Student aus der Ukraine wird nach seiner Rückkehr nach Nigeria von seiner Mutter begrüßt.

(Foto: REUTERS)

Frauen mit Kindern, selbst Schwangere, seien abgewiesen worden, auch Frauen mit ukrainischem Pass, so Orah. Es sei klar gewesen, dass es um die Hautfarbe gegangen sei. Der 25-Jährige und zwei Freunde schafften es trotzdem in einen Zug, indem sie aufsprangen, als er bereits abfuhr. "Wir waren nur drei Afrikaner in diesem Zug. Und der Zug war nicht voll", sagt er dem US-Sender NBC.

Orah ist kein Einzelfall. Eine Frau aus Kamerun berichtet dem Sender CNN, sie und eine andere schwarze Frau seien immer wieder zurückgestoßen worden. Ein Schwarzer sei mit vorgehaltener Waffe gezwungen worden, den Zug zu verlassen. Sie lebte mehrere Jahre in der Ukraine und betont, die Menschen seien sonst immer freundlich gewesen.

UN-Generalsekretär zeigt sich schockiert

Insgesamt hielten sich nach Zahlen aus dem Jahr 2020 mehr als 76.000 ausländische Studierende in der Ukraine auf, davon allein 20.000 aus Indien. Nach Angaben der BBC studierten sie dort vor allem Medizin, Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften. Viele Kurse waren auf Englisch, die Kosten überschaubar. Die Abschlüsse werden in vielen Ländern anerkannt und haben einen guten Ruf. Dem britischen Sender zufolge haben es Hunderte noch nicht geschafft, das Land zu verlassen. Ein indischer Journalist twitterte, in Sumy im Nordosten der Ukraine sei die Situation schrecklich, viele der dort Festsitzenden seien ohne Strom und Nahrung.

Mit den Rassismus-Vorwürfen beschäftigen sich mittlerweile auch die Vereinten Nationen. UN-Generalsekretär António Guterres sei "schockiert über die zahlreichen Berichte über Rassismus, Belästigung und Diskriminierung", sagte ein Sprecher. Auch die Afrikanische Union sprach am Mittwoch von einer "schockierend rassistischen" Behandlung ausländischer Studierender an den ukrainischen Grenzen.

Der 23-jährige Gagandeep Singh, ein Medizin-Student aus Indien, berichtet, seine Gruppe sei auf dem Weg zur Grenze von einem Mob angegriffen und beschimpft worden. "Mit Gottes Hilfe habe ich es geschafft, aber ein paar meiner Freunde sind nicht vorbeigekommen", sagt er dem britischen Sender Sky News. An der Grenze zu Polen habe es zwei Warteschlangen gegeben. "Eine war für Weiße, die andere für alle anderen." Die Grenzer hätten ihm gesagt, für 15 Ukrainer würden sie einen Ausländer durchlassen. Der Nigerianer Orah hörte nach eigenen Angaben an der Grenze, mit hundert Ukrainern würden zwei Ausländer durchgelassen.

Vorwürfe auch gegen Polen und Deutschland

Die Vorwürfe betreffen nicht nur die Ukraine. Der Gründer der britischen Hilfsorganisation Khalsa Aid, Ravi Singh, warf den polnischen Behörden vor, eine größere Gruppe indischer Studenten an der Einreise gehindert zu haben. In der Stadt Przemyśl an der Grenze zur Ukraine attackierten Rechtsradikale afrikanische und indische Flüchtlinge, die aus der Ukraine kamen, wie der "Guardian" berichtet. Ein Reporter der "Berliner Morgenpost" filmte eine Gruppe rechter Hooligans, die am Bahnhof gegen arabische und afrikanische Geflüchtete hetzte. Nach einem Bericht der "Welt" gibt es kostenlose Zugtickets für die Weiterfahrt in der Bahnhofshalle von Przemyśl nur für Ukrainerinnen und Ukrainer.

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Erleichterung auch in Indien: Eine Mutter empfängt ihre aus der Ukraine zurückgekehrte Tochter.

(Foto: AP)

Rassismusvorwürfe gab es auch gegen die Bundespolizei an der deutsch-polnischen Grenze. Im Zug von Frankfurt (Oder) nach Berlin seien nur Schwarze kontrolliert worden, sagten Helferinnen und Helfer der "taz". Die Bundespolizei wies das zurück "Uns geht es nicht um die Person, wo sie herkommt. Uns geht es um den Status dieser Person", sagte ein Sprecher der Bundespolizei dem RBB. Das Ziel sei, "Trittbrettfahrer" zu finden.

Bis Freitagmittag registrierte die Bundespolizei in Deutschland mehr als 18.000 Flüchtlinge aus der Ukraine, darunter 15.000 ukrainische Staatsangehörige. Bei dem Rest handele es sich um Drittstaatler, die zuletzt in der Ukraine gelebt hatten. Die meisten von ihnen müssen wie die ukrainischen Staatsangehörigen kein Asylverfahren durchlaufen. Ein Sprecher der Bundespolizei sagte, dies gelte insbesondere dann, wenn die Betroffenen einen festen Wohnsitz in der Ukraine hatten oder etwa einen Flüchtlingsstatus besitzen: "Sie bringen diesen Status sozusagen mit." Somit werde nur in "sehr wenigen Fällen" ein Asylverfahren erforderlich sein.

Quelle: ntv.de, mit AFP

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