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Tempo der Taliban überraschte BND-Präsident: Lage in Afghanistan falsch eingeschätzt

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Ein deutscher Soldat sichert im Juni 2021 das Gelände nahe des Camps Marmal im Norden Afghanistans.

Ein deutscher Soldat sichert im Juni 2021 das Gelände nahe des Camps Marmal im Norden Afghanistans.

(Foto: dpa)

Der Bundesnachrichtendienst hat 2021 nicht mit einer so raschen Eroberung Kabuls durch die Taliban gerechnet. Das räumt BND-Präsident Kahl jetzt vor einem U-Ausschuss ein. Der Geheimdienst habe seine Prognosen damals aber an "Kippunkte" geknüpft, die direkt eingetreten seien.

Der Präsident des Bundesnachrichtendiensts, Bruno Kahl, hat eine Fehleinschätzung des Tempos der islamistischen Taliban eingeräumt, mit dem sie 2021 die afghanische Hauptstadt Kabul einnahmen. Der BND habe jahrelang ein zuverlässiges Lagebild für die Bundeswehr erstellt, das des Öfteren Leben gerettet habe, sagte Kahl im Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestags in Berlin. Und auch, dass die Taliban ein "Emirat 2.0" errichten wollten, sei richtig eingeschätzt worden. "Was wir nicht korrekt vorausgesehen haben, ist das Drehbuch, das auf den letzten Zentimetern abgelaufen ist", räumte er im Zusammenhang mit dem Vorrücken der Taliban aber ein.

Dass die Geschwindigkeit der Taliban "auf der letzten Meile zugenommen hat, ist auch uns nicht verborgen geblieben", sagte Kahl. Dies habe man gesehen, beschrieben und in die prognostischen Teile der Lageberichte eingebaut. Die alles entscheidende Frage sei damals aber gewesen: "Was bedeutet die Entwicklung für die Hauptstadt Kabul." Hier sei der BND wie alle anderen vor Ort präsenten Geheimdienste davon ausgegangen, dass die afghanischen Sicherheitskräfte länger durchhalten und nicht gleich kapitulieren würden, sagte Kahl. Es habe sich aber als Fehleinschätzung erwiesen, dass Kabul nicht schon am Wochenende 14./15. August 2021 fallen würde, räumte der BND-Präsident ein. Auch andere befreundete Dienste hätten keine entsprechenden Hinweise gehabt.

Kahl: BND hat Kipppunkte benannt

Der BND habe seine Voraussagen damals an Bedingungen geknüpft - sogenannte Kipppunkte, die man schon vor der Sitzung des Krisenstabs im Auswärtigen Amt am 13. August auch schriftlich benannt habe, sagte Kahl. Man habe damals deutlich gemacht, dass die Prognosen hinfällig sein würden, wenn diese Kipppunkte eintreffen würden. Dazu zählten die nahezu vollständige Isolierung der Hauptstadt Kabul, die Einnahme von Provinzzentren in deren Großraum sowie der Abzug der US-Streitkräfte und eines Großteils der Botschaften. Diese Punkte seien aber unmittelbar nach der Krisensitzung bis zum 15. August eingetreten. Damit sei die Prognose des BND hinfällig gewesen, sagte Kahl.

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Es habe zuvor keinerlei Hinweise dafür gegeben, dass sich einer der genannten Indikatoren vor dem 15. August 2021 realisieren würde, betonte Kahl. Weder der BND noch ein anderer Nachrichtendienst habe einen solchen Hinweis gehabt. Dies hätte etwa ein Hinweis darauf sein müssen, dass die Amerikaner sich vom 14. auf den 15. August aus ihrer Botschaft zurückziehen würden, ergänzte der BND-Präsident. Darauf habe es keinen Hinweis gegeben - und aus Sicherheitsgründen auch nicht geben sollen, sagte Kahl. Denn in dem Falle wäre der Abzug der USA gefährdet gewesen - "und es hätte sich ein Wettrennen zum Flughafen ergeben, das noch um ein Vielfaches chaotischer gewesen wäre" als das, was man dann erlebt habe, erklärte der BND-Präsident.

Es habe eine "gewisse Delle" beim Nachrichtenaustausch zu befreundeten Diensten vor dem 15. August gegeben, räumte der BND-Präsident ein - offensichtlich auch mit Blick auf die USA. Kahl betonte zugleich, der BND selbst habe "das allergrößte Interesse" an der Aufklärung des Sachverhalts und daran, zur Wahrheit beizutragen. Aus diesem Grund habe man die Aufklärung mit aller Kraft etwa durch eine arbeitsintensive Aktenvorlage unterstützt.

Quelle: ntv.de, lar/dpa

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