Unions-Vize sieht Linksrutsch Bartsch zu Ampel: "Wenig Konkretes, viel Lyrik"
15.10.2021, 20:59 Uhr
Zumindest die geplante Kindergrundsicherung ist für Linken-Fraktionschef Bartsch "ein richtiger Schritt".
(Foto: picture alliance / photothek)
Wirtschaftsvertreter loben das Programm der Koalition in spe mehrheitlich. Sogar vom DGB kommen positive Reaktionen. Die Union und die Linke fragen dagegen, wer das angekündigte Programm bezahlen soll. Vor allem Verbraucher- und Umweltschützer sehen bisher viele verpasste Chancen.
Die Fraktionen, die bei Koalitionsverhandlungen außen vor bleiben, scheuen nicht vor heftiger Kritik am Sondierungspapier von SPD, Grünen, und FDP zurück. Auch verschiedene Verbände sehen in Bezug auf Umwelt und Verbraucherschutz noch Luft nach oben. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus sprach von einem "ungedeckten Scheck auf die Zukunft", weil wichtige Finanzierungsfragen nicht gelöst seien. Unions-Fraktionsvize Thorsten Frei nennt das Programm keines "der Mitte", sondern einen "harten Linksrutsch". Im Bereich Migration stehe "zu befürchten, dass ihre Vereinbarungen zu deutlich mehr unqualifizierter Zuwanderung und steigenden Asylzahlen führen werden. Maßnahmen zur Bekämpfung von illegaler Migration finden keine Erwähnung".
"Das Sondierungsergebnis liest sich wie ein 'Buch der edlen Vorhaben'. Wenig Konkretes, viel Lyrik", sagte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Auch er kritisiert die vage bis offene Finanzierung, zudem finde keine Umverteilung statt. Positiv äußert er sich hingegen zur geplanten Kindergrundsicherung. Die sei "ein richtiger Schritt", so Bartsch.
Die Deutsche Umwelthilfe warnt davor, dass die mögliche Ampel-Koalition im Verkehrssektor den Kampf gegen die Klimakrise verspielen könnte. Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch fordert konkrete und wirksame Maßnahmen: "Ein Verbrenner-Aus 2025, ein zwingend notwendiges Tempolimit, eine wirkliche Mobilitätswende mit dem Ausbau von Fuß-, Rad- und öffentlichem Verkehr und ein 365-Euro-Ticket".
Keine echte Solarpflicht, kein Tempolimit
Christoph Heinrich, Vorstand von WWF Deutschland, hebt zwar das Engagement der drei Parteien hinsichtlich eines schnelleren Ausstiegs aus der Kohlverstromung hervor, und lobt das klare Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel, sieht aber viel unausgeschöpftes Potenzial. Die Solarpflicht dürfe beispielsweise nicht nur für gewerbliche Neubauten gelten. Der Bundeshaushalt solle nicht nur auf umweltschädliche Subventionen geprüft werden, sondern diese letztlich auch abgeschafft werden. Zudem sei das Tempolimit eine absolut leicht zu pflückende Frucht, die SPD, Grüne und FDP einfach am Baum hängen ließen. Besonders verheerend empfindet er jedoch die Fokussierung auf sogenannte E-Fuels, also künstlicher Kraftstoffe, statt direkt auf elektrisch betriebene Fahrzeuge zu setzen.
Mit Verweis auf den geplanten beschleunigten Ausstieg aus der Kohleverstromung, der "idealerweise" bis 2030 gelingen soll, bemerken die Aktivisten von Fridays for Future auf Twitter süffisant, dass "idealerweise" Schüler:innen auch wieder freitags in die Schule gehen könnten. Die Umwelt-Aktivisten hatten, inspiriert durch Greta Thunberg, damit begonnen, freitags für Umwelt- und Klimaschutz zu demonstrieren, statt in die Schule zu gehen.
Scharfe Kritik kommt auch aus den Reihen von Verbraucherschützern. Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz kritisiert in der Rheinischen Post: "Vier Millionen Pflegebedürftige mit den höchsten Ausgabensteigerungen im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen sind der Ampel keine Zeile wert. Nichts zur Pflege daheim, der Altenpflege und der Zukunftsfähigkeit der Pflegeversicherung steht im Sondierungspapier", so Brysch.
Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband, erkennt Engagement bei SPD, Grünen und FDP, beim Verbraucherschutz müsse aber deutlich mehr kommen. Der am gestrigen Donnerstag veröffentlichte Verbraucherreport habe gezeigt, dass für 90 Prozent der Befragten Verbraucherschutz für ihre persönliche Sicherheit wichtig ist. Dieses Empfinden spiegle sich im Programm nicht wider. So fordert er etwa sozialen Ausgleich mit Blick auf die CO2-Bepreisung. Hier müsse Geld an Verbraucher zurückfließen. Das Wohngeld müsse angesichts steigender Energiepreise steigen, damit Menschen im Winter nicht im Kalten sitzen. Zudem brauche die private Altersvorsorge zwingend einen Neustart. "Der Versuch, die gescheiterte Riester-Rente durch Garantieabsenkungen zu retten, wäre falsch.", so Müller.
Quelle: ntv.de, als/AFP