
Millionen Menschen in den USA geben in den nächsten Stunden ihre Stimme ab.
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Kurz vor den US-Zwischenwahlen feuert der neue Twitter-Chef Elon Musk rund die Hälfte der Angestellten. Darunter auch jene, die sich um die Entfernung von Hassrede und Falschinformationen kümmern. Verbleibende Mitarbeiter warnen davor, dass Verschwörungstheorien Tür und Tor geöffnet wird.
Keine zwei Wochen ist es her, dass Elon Musk bei Twitter das Zepter übernommen hat. Seitdem folgt ein Aufschrei dem nächsten: Erst boxt der Multimilliardär eine Gebühr von 8 Dollar für das blaue Verifikations-Häkchen durch, dann legt er sich mit Werbekunden an, die sich von der Plattform verabschiedet hatten. Am vergangenen Freitag feuert er die Hälfte der rund 7500 Mitarbeiter per E-Mail - nur vier Tage vor den US-Zwischenwahlen. Letzteres könnte fatale Folgen für die Bekämpfung von Hassrede und Verschwörungstheoretikern im Netz haben.
Seit der Massenentlassung von rund 3700 Mitarbeitern habe Twitter Mühe, auf politische Fehlinformationen und andere schädliche Beiträge auf der Social-Media-Plattform zu reagieren, berichten der Washington Post zufolge verbliebene Mitarbeiter des Unternehmens. Auf Twitter selbst kursieren Tweets von ehemaligen Beschäftigten, deren Aufgabe es laut eigener Aussage war, sich um Hass- und Fehlinformationen auf der Plattform zu kümmern.
Der Aktivist Rashad Robinson behauptet in einem Tweet, dass in einem Fall sogar eine ganze Gruppe gekündigt wurde: "Elon Musk hat das gesamte Team gefeuert, das herausgefunden hat, dass der Twitter-Algorithmus rechtsgerichtete Stimmen gegenüber anderen verstärkt", so der Präsident der antirassistischen Organisation "Color of Change". Es sei nicht das erste Mal, dass "Mitarbeiter - insbesondere schwarze Mitarbeiter - dafür bestraft werden, dass sie darauf hinweisen, wie die Produkte ihres Unternehmens Rassismus ermöglichen und verstärken", schreibt Robinson. Beweise für seine Behauptung legte er allerdings nicht vor.
Wahlbeobachter sehen Sicherheit gefährdet
Ein leitender Angestellter sagte laut "Washington Post", Musk habe nur etwa 15 Prozent der Mitarbeiter gekündigt, die an vorderster Front für die Moderation von Inhalten zuständig sind, während unternehmensweit etwa 50 Prozent der Stellen gestrichen wurden. Allerdings habe Twitter auch die Anzahl der Mitarbeiter, die sich den digitalen Verlauf und das Verhalten eines bestimmten Kontos ansehen können, stark reduziert - eine Praxis, die notwendig ist, um zu untersuchen, ob es böswillig benutzt wurde und um Maßnahmen zu ergreifen, das Konto sperren zu können. Das Unternehmen rechtfertigte den Schritt damit, das "Insider-Risiko" in einer Zeit des Übergangs zu verringern.
Dennoch geben die Entwicklungen bei Twitter kurz vor den Zwischenwahlen Wahlbeobachtern in den USA Grund zur Sorge. Sie befürchten, dass die Plattform nicht in der Lage ist, mit Hassreden und Fehlinformationen umzugehen, die die Sicherheit der Wahl beeinträchtigen könnten. Der Zeitung zufolge könnten Akteure versuchen, Zweifel an den rechtmäßigen Gewinnern der Wahlen im ganzen Land zu wecken, so die Wahlbeobachter. Wie rechte Hetze im Netz zu realer Gewalt umschlagen kann, mussten die USA zuletzt beim Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 erleben.
Fake News zu US-Wahl bleiben auf Twitter
Auch der US-Autor und Journalist Jonathan Rauch sieht erste Anzeichen, dass die Massenentlassungen bei Twitter Auswirkungen auf die Fähigkeiten der Plattform haben, angemessen auf falsche und irreführende Inhalte zu reagieren. "Da Musk der Moderation von Inhalten zudem ideologisch feindlich gegenübersteht, wird Verbreitern von Desinformationen das Leben leichter gemacht", sagt er ntv.de.
Erste Beweise für kursierende Fake News auf Twitter gab es der "Washington Post" zufolge bereits am Freitag. Demnach wurde das Unternehmen über drei Tweets von bekannten Rechtsextremen informiert, die im Vorfeld der Zwischenwahlen falsche Behauptungen über Wahlbetrug aufgestellt hätten. Drei Tage später seien die Beiträge noch online gewesen. Als die ehrenamtliche Plattform für Demokratie "Common Cause" Twitter am Montag um ein Update bat, hieß es, die Beiträge würden "überprüft".
"Bevor Musk die Leitung übernahm, reagierte Twitter viel schneller", sagte Jesse Littlewood, Vizepräsident bei "Common Cause" der "Washington Post". Die Plattform habe in regelmäßigem Kontakt mit Twitter-Mitarbeitern gestanden, bevor Musk sich als "alleiniger Direktor" breit gemacht habe. Jetzt würden sie nur noch automatisch generierte Antworten einer allgemeinen E-Mail-Adresse erhalten.
Soziale Medien beeinflussen Wahlentscheidung kaum
Ob Fehlinformationen auf Twitter die Zwischenwahlen in den USA beeinflussen könnten, ist umstritten, sagt Rauch. Aber die vorhandenen Beweise würden darauf hindeuten, dass Hassreden und Fake News in den sozialen Medien die Wahlentscheidungen der Menschen nicht sehr stark beeinflussen. "Wenn überhaupt", so der Autor, der ein Buch über "Die Verteidigung der Wahrheit" geschrieben hat. "Mit anderen Worten, es kommt selten vor, dass Wähler aufgrund der sozialen Medien von einem Kandidaten zum anderen wechseln." Die meisten Amerikaner seien zu parteiisch, um sich auf diese Weise beeinflussen zu lassen. Konservative Nachrichtensender hätten einen weitaus größeren Einfluss auf solche Entscheidungen.
Was die sozialen Medien jedoch tatsächlich bewirken würden, sei Verwirrung und Polarisierung. "Sie erhöhen den Grad der Empörung gegen die andere Seite, verunsichern die Menschen über das, was sie glauben können und was nicht, und bringen Menschen dazu, motivierte Überlegungen anzustellen, die zu Extremismus führen", erklärt Rauch. Der Sozialpsychologe Jonathan Haidt glaube, dass die sozialen Medien mit der Demokratie unvereinbar seien, weil sich die Menschen ständig bedroht und wütend fühlen. "So weit würde ich nicht gehen", sagt Rauch, aber es gebe dennoch eine Tendenz, die sozialen Medien übermäßig zu beschuldigen, während andere Probleme, wie extremistische TV- und Online-Nachrichten, zu wenig Aufmerksamkeit bekämen.
Musk selbst nutzt Twitter ganz unverholen für Wahlempfehlungen. Einen Tag vor dem Urnengang empfahl er ein Votum für republikanische Kandidaten. "An unabhängig denkende Wähler: Geteilte Macht zügelt die schlimmsten Auswüchse beider Parteien", schrieb er auf Twitter. "Daher empfehle ich, für einen republikanischen Kongress zu stimmen, da die Präsidentschaft demokratisch ist."
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Quelle: ntv.de