"Unsere Werte hochhalten" Berlin bleibt sanft zur Türkei
13.03.2017, 14:55 Uhr
Anhänger Erdogans verfolgen seinen Wahlkampf im türkischen Kocaeli.
(Foto: dpa)
Das robuste Verhalten der Niederlande gegenüber der Türkei bringt Deutschland in Zugzwang. Doch die Bundesregierung bleibt bei ihrer weichen Linie. Wahlkampfauftritte wird es geben, ebenso Wahllokale für Millionen Deutschtürken.
Richtig scharf im Ton wird Steffen Seibert nur bei den Nazi-Vergleichen. Der Sprecher der Bundesregierung betont während der Fragestunde in der Bundespressekonferenz mehrfach, diese "müssen aufhören". Kanzlerin Angela Merkel hätte bereits vergangene Woche alles dazu gesagt. War vor einer Woche noch Deutschland das Ziel türkischer Nazi-Vergleiche, sind es nun die Niederlande, die dem türkischen Außenminister am Samstag die Landeerlaubnis entzogen hatten.
Kurze Zeit später meldet sich die Kanzlerin dann noch einmal selbst zu Wort. Die Niederlande hätten ihre "volle Unterstützung und Solidarität", sagte Merkel. Nazi-Vergleiche führten "völlig in die Irre", sagte Merkel. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte niederländische Regierungsmitglieder als "Nazi-Überbleibsel" bezeichnet. Der deutschen Bundesregierung hatte Erdogan "Nazi-Methoden" attestiert.
Für die Bundesregierung bedeutet die Eskalation zwischen der Türkei und den Niederlanden, dass ihre eigene Linie gegenüber der Regierung in Ankara noch stärker in Frage gestellt wird. Die niederländische Regierung ist schließlich bisher nicht als Hardliner bekannt gewesen. Warum die Bundesregierung kein deutlicheres Zeichen der Solidarität mit den Niederlanden aussende wie etwa Dänemark, will ein Journalist wissen. Die Regierung in Kopenhagen dagegen hat den Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim bis auf weiteres abgesagt. Sprecher Seibert sagt dazu nur: "Wir haben als Bundesregierung die niederländischen Maßnahmen weder zu bewerten noch zu kritisieren."
Deutschland stellt Wahllokale für türkisches Referendum
Seibert bekräftigt erneut, dass die Bundesregierung kein generelles Verbot für Auftritte türkischer Politiker in Deutschland plane oder für erforderlich halte. Angesichts der Eskalation der letzten Tage sei aber auch klar, dass die Bundesregierung "die Lage sehr genau beobachtet". Der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, übertrifft Seibert nur kurz an Deutlichkeit. Einem Vertreter der Stadt Rotterdam, die im Zweiten Weltkrieg von den Nazis in Grund und Boden gebombt worden war, Nazi-Methoden vorzuwerfen, sei schon "ein dicker Hund". Er persönlich sei "sprachlos" gewesen über das, was am Samstag in Rotterdam passiert sei. "Traurig und enttäuschend" sei das alles.
Und trotzdem, so Schäfer, dürfe der Blick nicht wegen des Wahlkampfes in der Türkei total verstellt sein auf das, "worauf es wirklich ankommt", nämlich die vielen gemeinsamen Interessen der Türkei, Deutschlands und der EU. "Man kann nur hoffen, dass man wieder in einen Modus gerät, in dem auf vernünftige Weise miteinander geredet werden kann." Deshalb habe die Bundesregierung auch "mit sehr viel Wohlwollen" auf den türkischen Wunsch reagiert, für das Referendum im April zusätzliche Wahllokale in Deutschland eröffnen zu können. Schäfer äußert die Hoffnung, dass viele türkische Staatsbürger ja in den vergangenen Jahrzehnten in der Bundesrepublik die Demokratie zu schätzen gelernt hätten. Wenn die beim Referendum ihre Stimme abgeben könnten, sei das "grundsätzlich nicht falsch".
Türkei hat Rednerliste übermittelt
Das gilt laut Bundesregierung auch, wenn es bei der Wahl um ein äußerst umstrittenes Referendum geht, das jüngst von den Verfassungsexperten des Europarates ("Venedig-Kommission") als "gefährlicher Rückschritt in der demokratisch-verfassungsrechtlichen Tradition der Türkei" bezeichnet wurde. Sprecher Seibert empfiehlt der Türkei, das Urteil der Venedig-Kommission "sehr ernst" zu nehmen. Außenamtssprecher Schäfer fügt an, die türkische Regierung solle "vielleicht in sich gehen und überlegen, ob das der richtige Schritt ist".
Die jüngste Eskalation hin oder her: Linie der Bundesregierung bleibt laut Seibert, demokratische Werte im eigenen Land hochzuhalten. Türkische Politiker dürfen auftreten, wenn sie die Bedingungen dafür erfüllen, sich also etwa vorher anmelden und "keine innertürkischen Konflikte schüren". Innenministeriumssprecher Tobias Plate bekräftigt, man könne eben nicht alles verbieten, was einem nicht gefalle. Äußerst verschwurbelt gibt Außenamtssprecher Schäfer dann noch preis, dass laut einer vertraulichen Liste, die die türkische Regierung der deutschen Gegenseite übermittelt hat, im Moment keine türkischen Minister mehr in Deutschland auftreten werden. Stattdessen werden sich wohl "zwei Dutzend plus" Abgeordnete der Regierungspartei AKP noch auf die Reise machen.
Quelle: ntv.de