"Hatten eine eigene Mehrheit" Berliner SPD zweifelt an AfD-Stimmen für Wegner
27.04.2023, 20:55 Uhr Artikel anhören
Berlins neuer Landeschef Wegner und seine designierte Regierungsmannschaft: Weil die Wahl geheim war, weiß keiner, wer ihm im dritten Wahlgang zum Durchbruch verholfen hat.
(Foto: picture alliance/dpa)
Angeblich aus "gesamtstädtischer Verantwortung" will die Berliner AfD dem neuen Regierenden Bürgermeister im dritten Durchgang zur Mehrheit verholfen haben. SPD-Chef Saleh glaubt das nicht. Der Erfurter Landeschef Ramelow fühlt sich ungut an Thüringen erinnert. Wegner selbst gibt sich gelassen.
CDU und SPD haben bei der Wahl Kai Wegners zum Regierenden Bürgermeister nach Angaben von Berlins SPD-Landes- und Fraktionschef Raed Saleh eine eigene Mehrheit gehabt. "Ich gehe fest davon aus", sagte Saleh am Abend. "Am Ende hat es funktioniert mit einer eigenen Mehrheit von 86 Stimmen."
CDU-Landeschef Kai Wegner war erst im dritten Wahlgang mit 86 Stimmen gewählt worden. So viele Abgeordnete haben CDU und SPD zusammen im Landesparlament. Die AfD-Fraktion, die 17 Abgeordnete hat, verkündete allerdings in einer Pressemitteilung, sie habe den Beschluss gefasst, Wegner zur erforderlichen Mehrheit zu verhelfen. Zur Frage, wie viele Stimmen es aus ihrer Fraktion wohl gegeben haben könnte, sagte Fraktionschefin Kristin Brinker: "Gehen Sie mal von der Hälfte aus." Zuvor hatte sie noch darauf verwiesen, dass es eine geheime Wahl war und sie daher keine Zahl nennen könne.
Saleh geht von zwei SPD-Abweichlern aus
Saleh kritisierte das Verhalten der AfD: "Sie macht, was sie immer macht. Sie spaltet, sie arbeitet mit den Instrumenten der Desinformation und auch der Lüge und ein Stück weit der Heimtücke", so der SPD-Politiker. Das sei eine Strategie. "Wir nehmen keine Stimmen von Rechtspopulisten und Nazis. Wir brauchen keine Stimmen von Rechtspopulisten und Nazis - und es gab keine Stimmen von Rechtspopulisten und Nazis."
Saleh sagte, es habe in der SPD-Fraktion eine Probeabstimmung gegeben. Zwei Genossen hätten gesagt, Probleme mit der Wahl Wegners zu haben. "Wir haben dann intensive Beratungen gehabt, und auch die CDU hat innerhalb der Fraktion intensiv diskutiert", sagte Saleh. "Ich gehe fest davon aus, dass auch die CDU ihre Leute nochmal bearbeitet hat und nochmal die Diskussion geführt hat", so der SPD-Landeschef. "Und ich gehe fest davon aus, dass am Ende auch die CDU in ihren Reihen für Klarheit sorgen konnte."
Dass drei Wahlgänge nötig gewesen seien, sei nicht schön. "Aber es ist nicht das erste Mal, dass es nicht im ersten oder zweiten Wahlgang funktioniert", sagte Saleh. "Die Verfassung sieht ja genau deshalb drei Wahlgänge vor. Aber ich hätte mir natürlich etwas anderes gewünscht", sagte er. "Es ist jetzt so, dass 86 Stimmen die Koalition zusammengebracht haben, und ich gehe fest davon aus, dass der Senat jetzt seine Arbeit aufnehmen wird."
Ramelow erinnert an Kemmerich-Trauma
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow fühlte sich durch die Berliner AfD an das Debakel in Thüringen erinnert. "Ich sehe hier viele Parallelen zu Thüringen. Denn die AfD nutzt den Parlamentarismus, um ihn verächtlich zu machen. Und der schleichende Zersetzungsprozess nimmt zu", sagte der Linken-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
"Wenn man den Parlamentarismus schützen will, dann darf man sich niemals in die Hand dieser politischen Kraft begeben", sagte Ramelow an die Adresse von CDU und SPD, deren Stimmen nicht zu einer Wahl Wegners im ersten und zweiten Wahlgang reichten. "Dies ist ein schwerer Tag, in Berlin und in Thüringen", sagte der Erfurter Landeschef.
In Thüringen war der FDP-Politiker Thomas Kemmerich im Februar 2020 mit Stimmen aus CDU und AfD überraschend zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Einen Monat später wurde - nach dem Rücktritt Kemmerichs - Ramelow doch noch zum Regierungschef gewählt.
Wegner winkt ab: "AfD will chaotisieren"
Der neue Berliner Landeschef selbst sagte am Abend, er lasse sich nicht beirren. "Ich glaube, dass die AfD hier chaotisieren will", betonte Wegner in einem RBB-Spezial. "Sie will das nutzen. Weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass die AfD einen Regierenden Bürgermeister wählt, der die größte AfD-Jägerin aus ganz Deutschland nach Berlin holt. Von daher ist das 'ne Taktik, 'ne Strategie."
Mit "AfD-Jägerin" dürfte Wegner sich auf die neue Justizsenatorin Felor Badenberg beziehen, die zuvor im Bundesamt für Verfassungsschutz arbeitete und sich auch um die Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall kümmerte.
Quelle: ntv.de, mau/dpa